RumänienDie Angst vor der Wahl: „Alles kann passieren“

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Eine Frau gibt in Bukarest ihre Stimme ab: In Rumänien wird am Wochenende die erste Runde der annullierten Präsidentschaftswahl wiederholt.
Eine Frau gibt in Bukarest ihre Stimme ab: In Rumänien wird am Wochenende die erste Runde der annullierten Präsidentschaftswahl wiederholt. (Foto: Louisa Gouliamaki/REUTERS)

Seit 18 Jahren in der EU, noch länger in der Nato – junge Rumänen kennen ihr Land als westliche Demokratie.  Jetzt sorgen sich viele um ihre Zukunft. Denn bei der Wiederholung der Präsidentschaftswahl am Sonntag droht ein Rechtsruck.

Von Verena Mayer, Bukarest

Denisa Cotor hat das erste Mal in ihrem Leben Angst. Angst, dass in ihrem Land etwas gewaltig schiefläuft. Cotor, 21, studiert Kommunikationswissenschaft und arbeitet in Bukarest, sie spricht mehrere Sprachen und könnte überall auf der Welt leben. Sie gehört einer Generation in Rumänien an, die alles erreichen kann und die nur erlebt hat, wie in ihrem Land vieles besser wurde seit dem Beitritt zur EU 2007. Und doch sagt sie jetzt: „Man kann sich nicht mehr sicher sein.“ Und dass sie sich gar nicht mehr daran erinnern könne, wie es vor dem November war, als alles normal schien in Rumänien.

Im November 2024 wurde in Rumänien ein neuer Präsident gewählt, und im ersten Durchgang lag, anders als erwartet, keiner der Kandidaten der Regierungsparteien, also der Sozialdemokraten und der Konservativen, vorn und auch nicht der Rechtsaußen-Mann der Opposition. Es gewann wie aus dem Nichts heraus der Rechtsextreme Călin Georgescu, der die EU und die Nato ablehnt und einen historischen Faschistenführer bewundert. Der rumänische Geheimdienst vermutete Wahlmanipulation, möglicherweise mit Hilfe aus dem Ausland; das Verfassungsgericht annullierte daraufhin die Wahl.

„Gen, știri“ versorgt die Generation Z mit überprüften Nachrichten auf Tiktok und Instagram

Seither beäugt die Welt Rumänien, das bis dahin als verlässlichstes Mitglied der EU und der Nato in Südosteuropa gegolten hatte. Vor allem in Europa fragt man sich, ob da ein Land wegzudriften droht, das in Zeiten wie diesen eine geopolitische Schlüsselposition hat. Rumänien teilt nicht nur die längste Grenze mit der Ukraine, hier entsteht auch gerade die größte Nato-Basis Europas.

Am Sonntag wird nun der erste Wahlgang wiederholt. Denisa Cotor rechnet mit allem. Sie sitzt in einem Büro in der Nähe der Piața Romană in Bukarest. Rundherum renovierte Gründerzeitbauten, Cafés, Bars. Bukarest sieht hier aus wie viele andere europäische Metropolen, und auch das Start-up, für das Cotor arbeitet, könnte sich in Berlin oder Paris befinden. Ein Onlinemedium, das sich an junge Menschen richtet. Gen, știri recherchiert und überprüft Nachrichten und bereitet sie für die Generation Z auf. Jene Generation, die politisiert ist wie kaum eine andere, sich von den klassischen Medien aber längst abgewandt hat.

Denisa Cotor und ihr Kollege Rares Antal im Büro des Nachrichten-Start-ups „Gen, știri“, das es auf 29 Millionen Views im Monat bringt.
Denisa Cotor und ihr Kollege Rares Antal im Büro des Nachrichten-Start-ups „Gen, știri“, das es auf 29 Millionen Views im Monat bringt. (Foto: Verena Mayer)

Gen, știri ist genau dort beheimatet, wo auch die Wahlmanipulation stattfand, auf Instagram und Tiktok. Inzwischen hat Tiktok selbst offengelegt, dass in den Monaten vor der Präsidentschaftswahl mehrere Desinformationsnetzwerke mithilfe Zehntausender Fake-Accounts den Algorithmus manipulierten. Georgescu war dadurch allgegenwärtig, zeitweise lag er auf Platz neun der internationalen Tiktok-Trends. Wer diese Kampagne steuerte, ist nach wie vor unklar. Aber man weiß, wer Georgescu dort und auch in anderen sozialen Medien wie Facebook sah und danach wählte.

Auch die Eltern von Denisa Cotor hatten Georgescu gewählt

Leute wie Cotors Eltern zum Beispiel. Sie sind um die 60, leben in einer siebenbürgischen Kleinstadt und haben eigentlich gute Jobs als Agrartechniker. Doch in den vergangenen Jahren machten die Unternehmen, für die sie arbeiteten, dicht. Sie mussten mehrmals umziehen, hatten ein Jahr lang gar keine Arbeit. Dazu kamen die gestiegenen Energie- und Lebenskosten; ein Restaurantbesuch in Bukarest ist inzwischen fast so teuer wie in Berlin.

Ihre Eltern haben dann Georgescu gewählt, der „das System“ bekämpfen und Rumänien wieder groß machen will. Jenen grauhaarigen, gut angezogenen Mann, den sie ständig in den sozialen Medien sahen und der auf sie sympathisch und anständig wirkte. Ihre Eltern seien ganz normale Leute, sagt Cotor, heimatverbunden, gläubig, „das sind keine verrückten Rechtsextremen“. Sie wollten einfach, dass sich an ihrer Situation etwas ändert, „aber niemand spricht zu diesen Leuten, außer die extreme Rechte“.

Am Sonntag werden sie den ebenfalls extrem rechten George Simion wählen, glaubt Cotor. Simion ist schon länger im Geschäft, seine Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) wurde bei der Parlamentswahl vergangenes Jahr zweitstärkste Kraft. Simion hat sich einen Namen als Politiker gemacht, der den Rumänen ein goldenes Zeitalter verspricht und auch die vielen Auslandsrumänen erreicht, die in Europa oft unter schlimmsten Bedingungen auf dem Bau oder den Feldern schuften müssen, um ihre Familien daheim zu ernähren. Im Verhältnis zu seiner Bevölkerung hat Rumänien eine so große Diaspora wie kaum ein anderes europäisches Land. Eine Tatsache, die zur Zerrissenheit einer Gesellschaft beiträgt; inzwischen wächst eine zweite Generation in Rumänien in Abwesenheit der Eltern auf. Simion verspricht, die Auslandsrumänen zurückzuholen und ihnen gute Jobs im eigenen Land zu verschaffen.

Und er ist derjenige, der das Urteil des Verfassungsgerichts am vehementesten kritisiert, demzufolge Călin Georgescu nicht noch einmal antreten darf. Er hebt auf das Gefühl vieler Rumänen ab, die Wahl sei ihnen durch eine undurchsichtige Gerichtsentscheidung gestohlen worden. Als Simion sich Anfang der Woche zusammen mit vier anderen Kandidaten einem TV-Duell im Schloss Cotroceni, dem Amtssitz des rumänischen Präsidenten, stellen sollte, ging er demonstrativ von der Bühne. Auf der Demokratie sei herumgetrampelt worden, sagte er, weshalb er aus Respekt für die Demokratie und für Georgescu, der hier auch stehen sollte, nicht mitdebattieren würde.

Gute Chancen im ersten Durchgang hat nun George Simion. Seine Vorbilder sind Orbán und Fico

Es gilt als wahrscheinlich, dass er den ersten Durchgang gewinnen wird. Zwar wird Simion nicht an der in der rumänischen Verfassung festgelegten Mitgliedschaft in der EU und der Nato rütteln. Aber er würde das Land deutlich autoritärer regieren, seine politischen Vorbilder sind Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei. Unter ihm würde wohl auch die Hilfe für die Ukraine, die Rumänien bislang unauffällig, aber im großen Stil leistet, zurückgefahren. Chancen auf den zweiten Platz haben der von der Regierungskoalition aufgestellte Konservative Crin Antonescu, der liberale Bukarester Bürgermeister Nicuşor Dan sowie der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident und inzwischen glühende Trump-Fan Victor Ponta, dessen Amtszeit bis 2015 mit beispielloser Korruption verknüpft war. Und der nicht zuletzt dazu beitrug, dass der Unmut über das „System“ bei vielen so groß ist.

In Bukarest fällt auf, wie wenig man in diesen Tagen von der Wahl mitbekommt. Wer durch die Straßen geht, sieht nur wenige Slogans, kommt an keinen Veranstaltungen vorbei. Noch nie seien die Plakatwände so leer gewesen, sagt Bogdan Oprea, der an der Universität Bukarest über Desinformation forscht. Die rumänische Präsidentschaftswahl wird fast ausschließlich online geschlagen, 95 Prozent des Wahlkampfs finden auf Social Media statt.

Eine Entwicklung, die man auch in Europa im Auge behalten müsse, sagt Oprea. Denn wo nur mehr wahlentscheidend ist, was viral geht, sei die Gefahr von Desinformation und Manipulation besonders groß. Oprea, der schon 2019 zu Fake-Accounts auf Facebook recherchierte, hat solche Effekte auch in Moldau und der Ukraine beobachtet. Aber noch nie habe die Manipulation von Algorithmen so gewaltige Folgen gehabt wie in Rumänien im November. „Unsere junge Demokratie erlebte einen sehr schwierigen Moment.“

Oprea sagt, das Problem seien nicht nur Menschen, die auf die Desinformation hereinfielen, sondern auch Politikberater, Sprecher oder PR-Strategen, die glaubten, auf jeden Social-Media-Trend aufspringen zu müssen. Auch diese müssten über die Anfälligkeit der sozialen Medien für Manipulation geschult werden. „Sie schaden sonst der Demokratie.“

Die Sichtbarkeit der Social-Media-Seiten des liberalen Kandidaten wurden eingeschränkt

Ausschläge von einem Ausmaß wie im Fall Georgescu scheint es im Netz diesmal nicht zu geben. Allerdings stellte der liberale Kandidat Nicuşor Dan fest, dass seine Social-Media-Accounts innerhalb kürzester Zeit plötzlich Zigtausende Interaktionen verzeichneten, weshalb die Plattformen Bot-gesteuerte Aktivitäten vermuteten und die Sichtbarkeit seiner Seiten einschränkten. Was oder wer genau dahintersteckt, ist bislang unklar.

Die EU müsse die Netzwerke strenger regulieren, fordert Teodor Tiță, Mitgründer von „Gen, știri“.
Die EU müsse die Netzwerke strenger regulieren, fordert Teodor Tiță, Mitgründer von „Gen, știri“. (Foto: Verena Mayer)

Im Newsroom von Gen, știri lässt sich Teodor Tiță, einer der Gründer, in einen Sessel fallen. Er war früher selbst Journalist und hat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine festgestellt, dass Jugendliche nach verlässlichen Informationen gieren, aber keine finden, die auf sie zugeschnitten sind. Er hat dann junge Leute für sein Projekt gewonnen und ihnen die journalistischen Standards vermittelt, nach denen sie nun arbeiten. Inzwischen hat Gen, știri im Monat 29 Millionen Views.

Tiță sagt, was in Rumänien passiert, sei ein Warnzeichen für Europa. Die EU müsse die Netzwerke strenger regulieren. „Damit meine ich nicht, dass Ursula von der Leyen irgendwelche Accounts sperren soll, sondern dass Algorithmen transparent gemacht werden. Regierungen müssen wissen, welche Algorithmen wirken.“ Vor allem aber müsse das verlorene Vertrauen wiedergewonnen werden. In Rumänien glaube man seit 35 Jahren an den demokratischen Prozess. „Wenn man den Leuten aber dieses Vertrauen wegnimmt, kann alles passieren.“

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