PräsidentenwahlEr muss gewinnen, andernfalls fällt Rumänien den Russland-Freunden anheim

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Nicușor Dan gilt als sachorientierter Lokalpolitiker, der nicht mehr verspricht, als er halten kann.
Nicușor Dan gilt als sachorientierter Lokalpolitiker, der nicht mehr verspricht, als er halten kann. (Foto: Andreea Alexandru/AP)

Der Mathematik-Professor Nicușor Dan ist derzeit Bürgermeister von Bukarest. Am Sonntag nun tritt er im Stichentscheid gegen den Ultranationalisten und früheren Hooligan George Simion an.

Von Verena Mayer

Die Mathematik, hat Nicușor Dan einmal in einem Interview gesagt, ist fast wie Literatur oder Kunst. Eine Form, Fragen über das Sein zu stellen und sich durch die Art der Fragen dann auch selbst näherzukommen. Dan weiß, wovon er spricht, er war Mathematik-Professor und gehörte zu den besten seiner Zunft, als er am Bukarester Institut für Mathematik forschte.

Doch seine mathematischen Leistungen sind es nicht, denen Dan die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verdankt. Sondern der Tatsache, dass er am Sonntag in der zweiten Runde der rumänischen Präsidentenwahl gegen den Ultranationalisten George Simion antritt. Einen früheren Hooligan, der die EU kritisch sieht, die Ukraine-Hilfen seines Landes einstellen will und auch sonst Positionen vertritt, die Russland gefallen dürften. Den ersten Wahlgang vor zwei Wochen hat der Gründer der „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR) gewonnen und seither immer wieder betont, dass er sein Land bei den rechten bis extrem rechten Kräften Europas verortet.

Es geht darum, ob das Land ein verlässliches Mitglied der EU und der Nato bleibt

Es steht viel auf dem Spiel bei der Stichwahl am Sonntag, so viel wie wahrscheinlich schon lange nicht, seit 1989 der kommunistische Diktator Nicolae Ceaușescu gestürzt wurde. Es geht darum, ob Rumänien das verlässliche Mitglied der EU und der Nato bleibt, das es immer war. Oder ob es sich in die Richtung von Viktor Orbáns Ungarn oder der Slowakei unter Robert Fico bewegen wird.

Letzteres soll der frühere Professor Nicușor Dan, 55 Jahre alt, aufgewachsen als mathematisches Wunderkind in Siebenbürgen, Gewinner mehrere Mathematik-Olympiaden, verhindern. Ein politischer Quereinsteiger, was nicht heißt, dass er keine politische Erfahrung hat. 2020 wurde er zum Bürgermeister von Bukarest gewählt. Er gewann die Wahl, weil er in Aussicht stellte, gegen die Korruption in der Kommunalverwaltung vorzugehen. Seither gilt er als sachorientierter Lokalpolitiker, der nicht mehr verspricht, als er halten kann.

Das allerdings könnte ihm nun schaden. Dan wird als nicht besonders charismatisch wahrgenommen, bei den Fernsehduellen kam er recht steif rüber. Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Simion, der die Fähigkeit vieler Populisten besitzt, sofort auf die Stimmungslage seines jeweiligen Publikums zu reagieren. Die vergangenen Wochen hat Simion dann auch damit verbracht, über die Dörfer zu tingeln und sich in Ansprachen vor allem immer wieder an die Millionen Auslandsrumänen zu richten, die oft in Westeuropa als Billigarbeitskräfte schuften. Simion nennt sie den „wertvollsten Reichtum dieser Nation“ und verspricht, sie zurückzuholen und mit ihren Familien zu vereinen.

In den Umfragen liegt der Rechtspopulist Simion vorne

Doch viele Auslandsrumänen haben auch hoch qualifizierte Jobs, sie sind die Hoffnung Dans, der einen liberalen, prowestlichen Kurs vertritt und eine „Kultur des Wissens und des Dialogs“ pflegen will, wie er das kürzlich nannte. Sein Erfolg wird davon abhängen, wie gut er die Unzufriedenen mobilisieren kann, die dem ersten Wahlgang ferngeblieben sind, immerhin 47 Prozent der Wahlberechtigten. Dan hat den Vorteil, dass er ebenfalls nicht mit dem politischen System in Verbindung gebracht wird, das Rumänien seit Jahrzehnten geprägt hat und für beispiellose Korruption verantwortlich war. Die postsozialistische Partei PSD und die konservative PNL haben das Land bisher mit wechselnden Mehrheiten regiert. Die Koalition, die sie zuletzt zusammen mit der Kleinpartei der ungarischen Minderheit bildeten, zeigte seit der Präsidentenwahl Auflösungstendenzen, was das Vertrauen in die etablierten Parteien nicht gerade stärken dürfte.

Derzeit liegt in den Umfragen der Rechtspopulist Simion vorne, der das bisherige politische System zertrümmern will. Aber auch Dan hat gute Chancen, von denen viele hoffen, dass es nicht nur mathematische sind.

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