Süddeutsche Zeitung

Rumänien:Ohne Rücksicht auf Skandale

Die Postkommunisten stehen vor einem Sieg bei der rumänischen Parlamentswahl. Viele der ärmeren Wähler kümmert es nicht, dass die wichtigsten Parteiführer in Affären verstrickt sind.

Von Florian Hassel, Craiova

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl, als Lia Olguta Vasilescu im Kongresszentrum von Craiova Vorbereitungen für eine Großversammlung ihrer Partei inspiziert.

Vasilescu ist nicht nur Bürgermeisterin der 300 000-Einwohner-Stadt drei Autostunden westlich von Bukarest, sie gehört auch zur Führung der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Nachfolgerin der kommunistischen Partei Rumäniens.

Vasilescu, 43, mit rotem Haar zum dunkelblauen Kostüm, schaut, dass es läuft für den bevorstehenden Auftritt von Parteichef Liviu Dragnea, der kurz darauf in der Parteihochburg Craiova Tausende Anhänger auf Rumäniens Parlamentswahl am Sonntag einstimmt. Und, so sagen es Umfragen voraus, auf einen Sieg der PSD. Rumänien, mit 19 Millionen Einwohnern das größte Balkanland, hätte dann wieder eine sozialdemokratische Regierung.

Dabei schienen Rumäniens Postkommunisten schon am Ende zu sein. Es war Oktober 2015, als Zehntausende Menschen auf die Straße gingen, nachdem Korruption und Missachtung von Feuerschutzvorschriften eine Brandkatastrophe im Bukarester Club Colectiv verursacht hatte. 64 Rumänen starben.

PSD-Ministerpräsident Victor Ponta, ohnehin angeschlagen durch eine Anklage wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche, trat mit der gesamten Regierung zurück. Ihr folgte eine aus Technokraten bestehende Übergangsregierung. Rumänien schien zur Ruhe zu kommen und notwendige Reformen zu starten.

Nach 38 Jahren Arbeit erhält ein pensionierter Mechaniker eine Rente von 221 Euro

Doch der erste Eindruck täuschte. Die PSD und ihre Verbündeten kontrollierten weiter das Parlament und bauten bei den Kommunalwahlen im Juni auch ihre Kontrolle über Städte und Gemeinden aus - in Rumänien die eigentliche Grundlage der Macht.

Die PSD siegte mit weitgehend dem alten Personal. Ein Prozess gegen Ex-Premier Ponta steht noch aus. Der neue Parteichef Liviu Dragnea wurde vom Obersten Gericht wegen Wahlfälschung im Mai zu zwei Jahren Haft verurteilt. Doch da die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, kann Dragnea in Partei und Parlament wirken wie zuvor. Auch Craiovas Bürgermeisterin Vasilescu, Nummer drei der Partei, muss noch vor Gericht.

Draußen sind es fünf Grad unter null, drinnen nur wenig wärmer

Doch in Craiova stören sich viele Einwohner nicht an PSD-Skandalen, Anklagen oder Schuldsprüchen. Doru Boureanu, 65, ist in seine Lieblingsbar gekommen, um die Liveübertragung des Fußballspiels Craiova gegen Temeswar zu sehen.

Draußen sind es fünf Grad unter null, in der Bar nur wenig wärmer. Eingepackt in eine gefütterte Lederjacke, mit Baskenmütze und einem weißen Schal erzählt Boureanu, warum er immer die Postkommunisten wählt. "All die Liberalen und Reformer, die wir schon hatten, kürzen immer die Löhne und Renten. Die PSD erhöht meine Rente. Jedes Jahr im Januar."

Das ist für Boureanu, einen pensionierten Mechaniker, das Wichtigste. Nach 38 Jahren Arbeit bekommt er eine Rente von 221 Euro. Das Glas Rotwein zum Fußball kann er sich nur leisten, weil ihm seine Wohnung gehört und er sich auf seinem Schrebergarten auf dem Land Kartoffeln und Gemüse zieht.

Mit schmucklosen Wohnblocks und nur wenigen modischen Geschäften, Cafés und Restaurants ist Craiova weit entfernt von der Dynamik Bukarests. Seit dem Ende des Kommunismus hat die Stadt "50 000 Arbeitsplätze verloren", sagt Bürgermeisterin Vasilescu der SZ. So sind Staatsunternehmen und Stadtverwaltung große Arbeitgeber: Vasilescu zufolge arbeiten 40 000 Einwohner im öffentlichen Sektor.

Der Einfluss der PSD ist enorm. In der kriselnden staatlichen Flugzeugfabrik Avioane etwa wurden die Arbeiter durch den ebenfalls zur PSD gehörenden Gewerkschaftsführer aufgefordert, wieder für die PSD zu stimmen, berichtet ein Betroffener. "Das Argument war, dass sonst Liberale oder Reformer an die Macht kommen - und die Fabrik schließen."

Tudor Valentin von der Lokalzeitung Gazeta de Sud sagt, "von etwa 180 000 Wahlberechtigten gehen höchstens 100 000 wählen - viele sind Stammwähler der PSD. Wir haben Zehntausende Beamte und Angehörige von Staatsfirmen und weitere 20 000 Menschen, die Sozialhilfe, Rente oder Überweisungen erhalten und dies oft als Wohltat des Bürgermeisters sehen. Die Jungen, besser Gebildeten, die die PSD ablehnen, gehen oft nicht wählen - sie protestieren nur auf Facebook. Das ist unser Problem."

Mechaniker Boureanu gefällt vor allem, dass die Bürgermeisterin "unsere Stadt schöner macht". Die Straße vor seiner Haustür wurde zur Wahl frisch asphaltiert. "Und in der Fußgängerzone sind in der Altstadt jetzt Leuchtstrahler im Boden eingelassen - es sieht aus wie im Märchen."

Es entsteht der Eindruck, dass illegal Geld abgezweigt wurde

Die Sanierung der Altstadt von Craiova wurde vor allem mit EU-Mitteln bezahlt. Auch neben dem Rathaus würden Hausfassaden gestrichen, ließ die Bürgermeisterin verkünden. "Das aber ist nicht Sache der Stadt", sagt Petre Becheru, Leiter der Eigentümergemeinschaft "Romarta". "Ich sagte, dass wir einen Anstrich weder bräuchten noch wollten und nicht zustimmten."

Die Stadtverwaltung ignorierte dies. Verblüfft sah Becheru an einem Frühlingsmorgen 2014, wie Maler an seinem Haus ein Gerüst aufbauten. Es waren die gleichen Firmen, die die Altstadt sanierten. Der Anstrich werde über eine eigens gegründete Organisation und Spenden von Unternehmen finanziert, so die Stadtverwaltung.

Der misstrauische Becheru sah einen Vertragsentwurf ein und wurde noch misstrauischer. "Der Preis für das Streichen unseres Hauses lag dreifach über dem Marktpreis. Ich bekam den Eindruck, dass hier illegal Geld für den nächsten Wahlkampf der Bürgermeisterin abgezweigt wurde."

Becherus Darstellung zufolge versuchten Mitarbeiter der Bürgermeisterin mit Drohungen und Einschüchterungen seine Zustimmung zur Haussanierung zu erreichen - und versuchten, als er nicht nachgab, ihn als Vertreter der Wohnungseigentümer absetzen zu lassen.

Becheru erstattete Anzeige bei Rumäniens Anti-Korruptionsbehörde DNA. Den Ermittlern zufolge wurden Craiovas Baufirmen von der Bürgermeisterin und Mitarbeitern gezwungen, "Spenden" zu leisten - andernfalls wären andere Rechnungen der für die Stadt tätigen Baufirmen nicht bezahlt worden.

Im März 2016 klagte die DNA Bürgermeisterin Vasilescu wegen wiederholter Bestechlichkeit, Amtsmissbrauch und Geldwäsche an. Die Anklage beeindruckte die Wähler von Craiova jedoch nicht: Im Juni bestätigten sie Vasilescu mit 60 Prozent der Stimmen im Amt.

Der SZ stellt sie sich als verfolgte Unschuld dar: "Ich wollte meine Stadt schöner machen - dafür soll ich nun ins Gefängnis." Die DNA sei ein politisches Kampforgan des gegen die Postkommunisten vorgehenden jeweiligen rumänischen Präsidenten.

Tatsächlich klagt Rumäniens Antikorruptionsbehörde seit Jahren korrupte Politiker aller Lager an. Doch die Parteipropaganda verfängt zumindest bei vielen Stammwählern. Auch Boureanu hat die Bürgermeisterin wiedergewählt und sagt zu den Anklagen: "Das sind alles fabrizierte Sachen, mit denen die PSD ausgeschaltet werden soll."

Die Liberalen hoffen auf eine Koalition mit einem Reformbündnis

Nach ihrer Wiederwahl erklärte Vasilescu ihre Kandidatur für das rumänische Parlament. Das Korruptionsverfahren steht noch aus. Auf Facebook und in den Medien begann die Bürgermeisterin, den Kronzeugen Petre Becheru zu diffamieren.

Auch der SZ sagt Vasilescu über Becheru: "Diese Person braucht psychiatrische Behandlung. In Rumänien kann jeder einen Politiker anklagen. Und wenn dieser Politiker beseitigt werden soll, wird er beseitigt, selbst wenn die Anklage von jemandem mit psychischen Problemen kommt."

Becheru, ein 30 Jahre alter Computerprogrammierer, sagt trocken: "Ich zahle den Preis, den hier jeder zahlt, der sich mit einem mächtigen Politiker anlegt."

Vasilescus Sieg bei der Parlamentswahl stellt in Craiova niemand infrage. Auch national liegt die PSD in Umfragen mit 40 Prozent an der Spitze. Auch weil die noch vor einem Jahr als kommende Regierungspartei erscheinende, in der Mitte angesiedelte PNL von Staatspräsident Klaus Johannis wegen etlicher Skandale einen Absturz erlebt hat.

Einzige Hoffnung der Liberalen ist, zusammen mit einem Reformbündnis und gestützt auf die Popularität des skandalfreien Übergangspremiers Dacian Colos, genug Stimmen für eine Koalition zu bekommen.

Doch auch die PSD hat Bündnispartner gesammelt und steht so vor der Rückkehr an die Macht. Kurz vor der Wahl hat die PSD zweistellige Gehaltserhöhungen für Staatsbedienstete beschlossen. Auch die nächste Rentenerhöhung dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2016/pak
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