Rumänien:Jobbörse in Sibiu

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In Hermannstadt treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Wer wird der nächste EU-Kommissionschef, wer neuer Ratspräsident und wer leitet künftig die EZB? Die Personalfragen bestimmen den EU-Sondergipfel in Rumänien.

Die passenden Argumente hat Xavier Bettel in mehreren Sprachen parat. "Nur Journalisten und wir Politiker reden über Spitzenkandidaten. Fragen Sie meine Wähler, die haben keine Ahnung, wer das bei irgendeiner Partei ist", sagt Luxemburgs Premierminister bei seiner Ankunft im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) auf Englisch. Eigentlich wollen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem EU-Sondergipfel beraten, welche Rolle Europa in der Welt spielen soll, und auf welche Prioritäten man sich konzentrieren will; doch mindestens so wichtig ist die Frage, wer nach der Europawahl in zwei Wochen welchen der vielen Top-Posten bekommt. Keine Frage, das Ringen um Europas mächtigste Ämter hat begonnen.

Dass Bettel das Spitzenkandidaten-Prinzip, das 2014 bei der Kür von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erstmals praktiziert wurde, skeptisch sieht, ist bekannt - und vor den Kameras führt er seine Gründe auch auf Deutsch aus: Manfred Weber und Frans Timmermans seien "nur Parteikandidaten", die auf Kongressen von der Europäischen Volkspartei (EVP) beziehungsweise den Sozialdemokraten gewählt worden seien. Wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert Bettel die Einführung transnationaler Listen, damit die EU-Bürger länderübergreifend ihre Kandidaten bestimmen können.

Ähnlich sieht das der Belgier Charles Michel, der wie Bettel zu den Liberalen gehört und Margrethe Vestager als ideale Nachfolgerin für Juncker bezeichnet. Doch die Wettbewerbskommissarin aus Dänemark kandidiert nicht für das Europaparlament, weshalb zahlreiche Abgeordnete versichern, sie nicht wählen zu wollen - obwohl sich viele eine Frau an der Spitze der EU-Kommission wünschen würden. Durch die malerische Altstadt Sibius schwirren so viele Theorien und Spekulationen, dass Reporter auch Angela Merkel ein "Sind Sie eine Kandidatin für den Job der Kommissionschefin?" zurufen. Die Reaktion der Bundeskanzlerin: Sie geht einfach weiter den roten Teppich entlang.

Die "Erklärung von Sibiu" besteht vor allem aus zehn luftigen Selbstverpflichtungen

Dass in Brüssel und den Hauptstädten so intensiv über Personal- wie über Sachfragen diskutiert wird, hat Gründe. Es naht die Phase der Vorentscheidungen: EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die Staats- und Regierungschefs der EU-27 gebeten, zwei Tage nach der Europawahl zu einem Sondergipfel nach Brüssel zu kommen. Bei einem Abendessen werden sie über das weitere Vorgehen beraten (wie in Sibiu wird die Britin Theresa May fehlen). Gerade für CSU-Vize Weber, der sich in Sibiu mit seinen EVP-Verbündeten trifft, wird es wichtig, bis zu jenem Dienstagabend möglichst viel Unterstützung gewinnen. Am deutlichsten wird Österreichs Bundeskanzler Kurz: "Wenn die Europäische Volkspartei stärkste Kraft wird und Manfred Weber die Wahl gewinnt, dann ist er derjenige, der den Anspruch hat, Kommissionschef zu werden." Merkel äußert sich zu dieser Frage erst ganz am Ende ihrer Pressekonferenz: "Ich unterstütze Manfred Weber, damit das klar ist." Für diese Personaldebatten bleibt auch deshalb so viel Zeit, weil es bei diesem Gipfel nicht um Entscheidungen geht. Die "Erklärung von Sibiu" war vorab längst abgenickt worden und besteht ohnehin vor allem aus zehn luftigen Selbstverpflichtungen wie "Wir werden vereint durch dick und dünn gehen" oder "Europa wird seine globale Führungsrolle verantwortungsbewusst wahrnehmen". Vorab hatte es erhebliche Kritik von Aktivisten und jungen Europäern daran gegeben, dass der Kampf gegen den Klimawandel nur in einem Halbsatz im letzten Punkt erwähnt wird. Auch der öffentliche Appell von acht EU-Staaten zu mehr Ehrgeiz änderte daran nichts. Deutschland gehört nicht zu dieser Gruppe, obwohl Kanzlerin Merkel nach Abschluss des Gipfels erklärt: "Weite Teile dieser Initiative teile ich".

Sie ziehe aber eine "Koalition der Willigen" vor. Die "Strategische Agenda" für die kommenden fünf Jahre soll erst beim EU-Gipfel Ende Juni beschlossen werden. Dann will Ratspräsident Tusk möglichst schon ein Personalpaket vorstellen, zu dem neben dem Präsidenten der EU-Kommission idealerweise auch seine eigene Nachfolge sowie die Chefsessel von EU-Parlament und Europäischer Zentralbank gehören. Hier gilt es, nicht nur Kompromisse zwischen den Parteien zu finden, sondern den regionalen Proporz einzuhalten und das Geschlechterverhältnis zu bedenken. Und natürlich ist es legitim zu fragen, wer die EU auf der Weltbühne gegenüber den Supermächten USA und China vertreten soll.

Warum also nicht einer der Staats- und Regierungschefs? Im Gespräch sind der Niederländer Mark Rutte oder Litauens scheidende Präsidentin Dalia Grybauskaite. Doch beide winken ab. Auch sonst halten sich die meisten zurück. Ausnahme ist Griechenlands linker Premier Alexis Tsipras. Er wünsche sich einen Kommissionschef, der sich gegen Neoliberalismus und Fremdenfeindlichkeit stelle: "Dieser Präsident ist nicht Weber, das ist meine Position." Ein Veto hat der Grieche aber nicht. Zur Nominierung eines Kandidaten reicht die qualifizierte Mehrheit.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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