Süddeutsche Zeitung

Rumänien:"Der Albtraum ist beendet"

Die Opposition stürzt die postkommunistische Regierung durch ein Misstrauensvotum im Parlament.

Von Florian Hassel, Warschau

Rumäniens von der postkommunistischen PSD geführte Regierung ist durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden. Bei einer gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern stimmten 238 Parlamentarier für die sofortige Entlassung der Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă - fünf mehr als die für eine Ablösung erforderliche absolute Mehrheit von 233 Abgeordneten. "Der Albtraum, durch den Rumänien in den letzten drei Jahren gegangen ist, ist beendet", feierte Oppositionsführer Ludovic Orban den Sturz der Regierung.

Rumäniens konservativer Präsident Klaus Johannis schlägt nun einen neuen Ministerpräsidenten vor - Orban gilt hier als Favorit. Der Kandidat hat nach der Nominierung zehn Tage, um sich samt seiner Ministerliste vom Parlament bestätigten zu lassen. Scheitert dieser Kandidat, schlägt der Präsident einen zweiten Kandidaten vor. Fällt auch dieser durch, wird neu gewählt. Eine Neuwahl könnte allerdings erst 2020 stattfinden: Rumänien wählt bereits in voraussichtlich zwei Wahlgängen am 10. und 24. November einen neuen Präsidenten.

Der Sturz der Regierung Dăncilă kam nach etlichen Skandalen, unter denen die Popularität der Postkommunisten seit ihrem letzten Wahlsieg im Dezember 2016 stark gelitten hatte. Bei der Europawahl im Mai kam die PSD nach 45 Prozent bei der rumänischen Wahl 2016 nur noch auf 22,5 Prozent. Zudem musste Liviu Dragnea, der als Parlamentspräsident und PSD-Parteichef der eigentliche Regierungschef und mächtigste Politiker Rumäniens war, am 27. Mai wegen Amtsmissbrauchs ins Gefängnis. Seine Nachfolgerin als PSD-Chefin, Ministerpräsidentin Dăncilă, galt als Marionette Dragneas und vielen Rumänen wegen etlicher politischer Fehltritte als inkompetent.

Das Vorspiel zum politischen Königsmord und Dăncilăs Sturz begann im August: Da verließen die bisher mit der PSD koalierenden Liberaldemokraten (Alde) unter dem bisherigen Senatschef Călin Popescu-Tăriceanu die Regierung und wechselten in die Opposition - offenbar im Bemühen, sich politisch neu zu erfinden und bei den spätestens im Dezember 2020 anstehenden Parlamentswahlen nicht zusammen mit den diskreditierten Postkommunisten unterzugehen.

Für die PSD ging es bei dem Misstrauensvotum um mehr als nur um die Macht: Nach ihrem Sturz dürften unter einer neuen Regierung etliche von der PSD und ihren Alliierten verzögerte oder gestoppte Ermittlungen und Verfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauch wiederaufgenommen werden. Die rumänische Newsweek-Ausgabe veröffentlichte den Mitschnitt eines Auftrittes Dăncilăs vor Parteigenossen, in dem sie sagte, bei dem Misstrauensvotum gehe es nicht nur um den Posten des Regierungschefs. "Der Einsatz ist viel höher, es geht um Akten, um die Spezialabteilung (für Korruptionsermittlungen), um die Ernennung von Staatsanwälten." Die PSD versuchte vor der Abstimmung ebenso fieberhaft wie vergeblich, Abgeordnete der Opposition noch auf ihre Seite zu bringen.

Vor der Abstimmung versuchte die Regierung mit aller Macht, Abgeordnete für sich zu gewinnen

Präsident Johannis, der selbst aus der größten Oppositionspartei, der liberalkonservativen PNL kommt, kann als nächsten Ministerpräsidenten entweder einen geschäftsführenden Technokraten vorschlagen oder PNL-Parteichef Orban. Am vergangenen Wochenende, als das Misstrauensvotum gegen die Regierung bereits im Parlament eingebracht worden war, sagte Johannis auf einem PNL-Kongress, die Partei solle sich "bereit zum Regieren machen". Die neue Regierung werde in jedem Fall nur ein kurzes Mandat bis zu 2020 anstehenden Wahlen haben. Ihre Hauptaufgaben seien die Verabschiedung des Haushalts und die Durchführung der Präsidentschaftswahl.

Bei der Bevölkerung gilt der konservative Johannis, der sich in den vergangenen Jahren oft gegen die PSD-Regierung stellte, als Favorit. Einer IMAS-Umfrage vom August zufolge wollten 45 Prozent der Befragten für Johannis stimmen - weit vor dem Zweitplatzierten Mircea Diaconu (16,6 Prozent), dem Liberalen Dan Barna (14,2 Prozent) und PSD-Chefin Dăncilă (12,4 Prozent). Bekommt beim ersten Wahlgang am 10. November kein Kandidat eine absolute Mehrheit, gehen die beiden Erstplatzierten am 24. November in die Stichwahl um das Präsidentenamt.

Präsidentschaftskandidat Barna, der auch Parlamentarier der Opposition ist, schlug vor, das Parlament solle beide Vorschläge von Johannis für einen Ministerpräsidenten ablehnen, um so schon Anfang 2020 Neuwahlen zu erreichen anstatt erst im Dezember 2020. Dass es so kommt, ist unwahrscheinlich. Neben den Postkommunisten haben auch andere im Parlament vertretene Parteien, deren Popularität gelitten hat, kaum Interesse an einer schnellen Neuwahl.

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SZ vom 11.10.2019
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