Wie steht es inzwischen um die Rechtsstaatlichkeit in Rumänien und Bulgarien, den beiden Ländern im Südosten des Kontinents, die 2007, begleitet von sehr grundsätzlichen Bedenken, der EU beigetreten sind? Die Frage ist gerade wieder akut aufgeflammt, nachdem Ende vergangener Woche das rumänische Verfassungsgericht nachträglich das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl annulliert hat.
Das Ergebnis der Wahl vom 24. November hatte auch Wahlforscher überrascht: Entgegen der meisten Prognosen holte der parteilose Rechtsaußen-Kandidat Călin Georgescu die meisten Stimmen. Seine Kampagne, voller mystisch-religiöser Anklänge an die vermeintlich besseren Zeiten einer starken rumänischen Nation, betrieb er primär über das chinesische Online-Netzwerk Tiktok. Zuvor hatte er Sympathien für Rumäniens faschistisches Regime zur Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie für den russischen Machthaber Wladimir Putin bekundet. Und er stellte die zentrale Rolle des Nato-Mitglieds Rumänien bei der Unterstützung des von Russland überfallenen Nachbarlands Ukraine infrage.
Die Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts steht in der Kritik
Unter Rumäniens Partnern in EU und Nato war die Aufregung enorm: Bricht da eine sicher geglaubte Bastion an Europas Südostflanke weg? Georgescus Gegenkandidatin für die zwei Wochen später geplante Stichwahl, die proeuropäische Liberale Elena Lasconi, verkündete, man befinde sich nun in einem „Existenzkampf um die rumänische Demokratie“.
Zu der Stichwahl am 8. Dezember kam es dann allerdings nicht: Das Verfassungsgericht in Bukarest erklärte zwei Tage vorher das Ergebnis der ersten Runde für ungültig und ordnete Neuwahlen an. In der später nachgereichten Begründung für den einstimmigen Beschluss der neun Richter war von „Manipulation von Wählerstimmen“ und einer „Verzerrung der Chancengleichheit unter den Kandidaten“ die Rede. Zuvor hatte Präsident Klaus Johannis Geheimdienstberichte für die Öffentlichkeit freigegeben, wonach etwa 800 Tiktok-Konten, die Georgescus Wahlkampagne gestützt hatten, durch einen „ausländischen Staat“ geschaffen worden seien. Rumänien werde „von den Entscheidungszentren in Moskau als feindlicher Staat wahrgenommen“. Auch die Plattform Tiktok selbst habe gegen rumänisches Recht verstoßen, indem sie Wahlwerbung nicht als solche kenntlich gemacht habe.
Nicht nur Georgescu, auch die liberale Gegenkandidatin Lasconi kritisierte den Gerichtsentscheid: Dieser habe die „Demokratie mit Füßen getreten“. Tatsächlich hinterließ das Urteil auch unter den Gegnern des vermeintlichen Gewinners einen Beigeschmack, eine Sorge um das Vertrauen in die staatlichen Institutionen: Hatte das Verfassungsgericht nicht erst vier Tage zuvor, nach einer Neuauszählung der Stimmen, das Ergebnis für rechtsgültig erklärt? Und sind die neun Richter wirklich frei von Einfluss der beiden etablierten Parteien, der konservativen PNL und der postkommunistischen PSD, die über das Parlament, den Senat und das Präsidialamt über die Vergabe der Richterposten bestimmen?
Auch Bulgarien leidet unter russischen Desinformationskampagnen
Vlad Perju, aus Rumänien stammender Rechtsprofessor an der Harvard Law School, kommt nach Analyse der Urteilsbegründung zu dem Schluss, dass die vorliegenden Belege „hinreichend zahlreich sind, um daraus zu folgern, dass die Wahlintegrität verletzt wurde und Neuwahlen vonnöten sind“. Gleichwohl fürchtet er, dass ähnliche Begründungen künftig auch eingesetzt werden könnten, „um einen legitimen Kandidaten bei einer Präsidentschaftswahl zu neutralisieren“.
Sorin Ioniță, Leiter des Bukarester Polit-Thinktanks Expert Forum, sieht schwere Versäumnisse schon im Vorfeld der Wahlen: Es heiße nun, Rumänien sei einer „beispiellosen hybriden Attacke ausgesetzt gewesen“, sagte er dem Recherchenetzwerk BIRN, dabei habe man ähnliche Angriffe erst kürzlich in der benachbarten Republik Moldau gesehen. „Was tatsächlich beispiellos ist“, sagte Ioniță, „das ist die Schwäche der Institutionen im Umgang mit solchen Angriffen.“
Das benachbarte Bulgarien ringt derweil, nach der siebten Wahl binnen Jahren, um die Bildung einer stabilen Regierung – was zusätzlich durch Desinformationskampagnen aus Russland erschwert wird. Ende November stoppte die EU-Kommission vorläufig die Auszahlung von Hilfsgeldern aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds an Bulgarien: Das Land sei seinen Verpflichtungen unter anderem bei der Korruptionsbekämpfung nicht nachgekommen.
Im September 2023 erst hatte die EU-Kommission das spezielle „Kooperations- und Kontrollverfahren“ eingestellt, dem sich Bulgarien und Rumänien seit ihrem Beitritt 2007 regelmäßig hatten unterwerfen müssen: Die beiden Länder hätten „in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit alle Verpflichtungen erfüllt, die zum Zeitpunkt ihres EU-Beitritts festgelegt wurden“. Kritiker mahnten damals, in dieser Bewertung stecke eine nennenswerte Portion Wunschdenken.
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