Rüttgers und die Videobeobachtung:Suspekte Strategien

Lesezeit: 4 min

Die Videoaffäre und ihre Hintergründe: Sein engster Vertrauter Boris Berger bringt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten in Bedrängnis, weil er Partei- und Regierungspolitik vermischt.

D. Graalmann und J. Nitschmann

Andreas Krautscheid tat sichtlich empört. "Wir unterscheiden sauber zwischen Parteiarbeit und Regierungsarbeit", tönte der nordrhein-westfälische Europaminister jüngst in einer Fragestunde des Landtags zu den Rumänien-Äußerungen von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU). Die Äußerungen seien auf Parteiveranstaltungen gefallen, mit denen die Staatskanzlei nichts zu tun habe. Offenbar dächten die Sozialdemokraten bei ihren Unterstellungen "irrig an liebe Gewohnheiten" aus eigenen Regierungszeiten.

Ob es in der Ära Rüttgers nun wirklich so viel anders in der Regierungszentrale zugeht, daran mehren sich die Zweifel. Seit am Mittwoch durch vertrauliche E-Mails bekannt wurde, dass Rüttgers' enger Vertrauter Boris Berger als Leiter der Abteilung III für Regierungsplanung in der Staatskanzlei offenkundig die Video-Beobachtung der SPD-Landeschefin Hannelore Kraft nicht nur duldete, sondern aus der Staatskanzlei befeuerte, tobt in Düsseldorf ein heftiger Kampf.

Scharfer Beschuss auf beiden Seiten

Es wird scharf geschossen - auf beiden Seiten. Die Opposition echauffiert sich über die Verquickung von Partei- und Regierungsgeschäften, der SPD-Parteichef Franz Müntefering rückte Rüttgers am Donnerstag gar in die Nähe von Richard Nixon und Watergate; die Staatskanzlei dagegen ist erzürnt über "den ungeheuerlichen Vorgang", dass vertrauliche E-Mails an die Öffentlichkeit gelangten. Die Staatskanzlei werde offenkundig "systematisch bespitzelt".

Das NRW-Innenministerium setzte prompt das Landeskriminalamt in Marsch. Wer ist Opfer, wer Täter? Und werden Täter zu Opfern, weil man ihre Täterschaft nur mit fragwürdigen Mitteln nachweisen kann?

Die NRW-Staatskanzlei versucht verzweifelt, den Vorgang herunterzudimmen. Kontakte zwischen Staatskanzlei und Partei seien "üblich und entsprechen den Gepflogenheiten und Notwendigkeiten der Parteiendemokratie". Business as usual also. Zudem ergebe sich aus dem E-Mail-Verkehr zwischen Staatskanzlei und CDU-Zentrale, "dass auch der Abteilungsleiter der Staatskanzlei, Herr Dr. Berger, sich lediglich an der Diskussion über Berichte von öffentlichen Veranstaltungen beteiligt hat".

Was die Staatskanzlei offenkundig unter Teilnahme am Diskurs versteht, liest sich im Original etwa so: "Gute Infos, danke!", mailt Berger am Abend des 8. September an den Sprecher der NRW-CDU, Matthias Heidmeier, der ihm kurz zuvor die Auswertung einer Video-Beobachtung geschickt hatte. Und Berger fragt: "Wie bündeln wir solche Infos, wie organisieren wir die dauerhafte Beobachtung und Archivierung der Infos?"

Längst belastet die Affäre auch die Glaubwürdigkeit von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Der 36-jährige Berger, ein promovierter Politologe und ehemaliger Berufssoldat, gilt in der Staatskanzlei als engster Vertrauter von Ministerpräsident Rüttgers. Bis zur Ablösung der rot-grünen Landesregierung 2005 saß der frühere Feldjäger als Kampagnenplaner in der Düsseldorfer CDU-Zentrale; mit der Regierungsübernahme von Rüttgers wechselte der gerissene Stratege in die Staatskanzlei.

"Der Ministerpräsident lügt"

Der stets fein gewandete Berger, der seinen Chef Rüttgers in Anlehnung an Konrad Adenauer gern "den Alten" nennt, habe "nur den Schreibtisch gewechselt und sein Gehalt zahlt jetzt nicht mehr die Partei, sondern der Steuerzahler", empört sich SPD-Generalsekretär Michael Groschek. Die Sozialdemokraten verlangen Bergers sofortige Ablösung, weil er gegen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Regierungs- und Parteiarbeit "wiederholt grob verstoßen" habe. Notfalls will die SPD sogar einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, um das dunkle Treiben von Berger zu erhellen.

Schon wenige Monate nach Amtsübernahme hatte ein CDU-Spitzenfunktionär am Rande einer Landesvorstandssitzung besorgt vor den Praktiken des Rüttgers-Beraters gewarnt: "Der Berger bringt den Rüttgers noch mal um." Doch in der Staatskanzlei kann der Regierungsplaner offenkundig nach eigenem Gusto schalten und walten. Bereits Anfang 2006 war Berger politisch in Bedrängnis geraten, als bekannt geworden war, dass er mit Blick auf den NRW-Landtagswahlkampf 2010 für dem Ministerpräsidenten eine millionenschwere "Image-Kampagne" geplant hatte.

Rüttgers hatte solche Pläne dementiert. Lustvoll attackierte die Opposition die Regierung wegen widersprüchlicher Aussagen. Daraufhin, so erinnern sich Gesprächsteilnehmer, habe Berger bei einem montäglichen Jour fixe im Januar 2006 im Büro des Chefs der Staatskanzlei die Contenance verloren und geschrieen: "Nicht ich lüge, der Ministerpräsident lügt!"

Für Bergers inniges Verhältnis zu Rüttgers blieb dies folgenlos. "Der kann sich alles erlauben und sogar den Ministerpräsident der Lüge bezichtigen", klagt ein Regierungs-Insider, "der hat hier Narrenfreiheit." Konkurrenten um die Gunst des zutiefst misstrauischen Ministerpräsidenten räumte Berger nach und nach aus dem Weg, längst führt er die Rüttgers-Kamarilla an.

Unzulässige Vermischung

In Düsseldorf bemühen nun manche Kritiker gern Parallelen zum Fall Michael Höhenberger, dem langjährigen Büroleiter des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Höhenberger war mehr als ein Jahrzehnt an Stoibers Seite, wurde nach dessen Aufstieg zum Ministerpräsidenten zu seinem engstem Berater in der Staatskanzlei - bis er über die Pauli-Affäre stolperte. Höhenberger war der Mann, der sich bei einem Parteifreund nach Gabriele Pauli erkundigt hatte.

Dieses Telefonat wurde zur Grundlage des Pauli-Vorwurfs, sie werde von der Staatskanzlei "bespitzelt". Höhenberger, der vier Tage später von seinem Posten zurücktrat, leitete zum Beweis seiner Unschuld ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst ein. Er wurde schließlich von der Landesanwaltschaft vom Verdacht der Bespitzelung freigesprochen und voll rehabililiert. Höhenberger leitet seither in der Bayerischen Staatskanzlei die Abteilung "Politische Planung, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgeranliegen".

Die unzulässige Vermischung von Regierungs- und Parteiarbeit aber - da hatte Krautscheid Recht - ist bei weitem keine Eigenart der Konservativen. So sehr die nordrhein-westfälische SPD derzeit schäumt, so schaurig kehrt die Erinnerung zurück an das Jahr 2004. Damals wurde bekannt, dass Werner Kindsmüller, ein Vertrauter des SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück und in der Staatskanzlei - wie heute Berger - Leiter der Abteilung III, ein SPD-Parteipapier geschrieben hatte.

Die Empörung der Christdemokraten war groß. Die Affäre offenbare "ein falsches Regierungs- und Staatsverständnis", zeterte der CDU-Abgeordnete Helmut Stahl. "Parteiarbeit in der Staatskanzlei verstößt gegen die Verfassung." Und als die Staatskanzlei - wie heute - "kriminelle Machenschaften" dafür verantwortlich machte, dass internes Material an die Öffentlichkeit gelange, wischte Stahl dies vom Tisch: Damit würden "Journalisten, Beamte und Opposition in Generalverdacht geraten".

Zum aktuellen Fall äußerte sich Stahl, inzwischen CDU-Fraktionschef, am Donnerstag in umgekehrter Richtung: "Hier wird ein 'Skandal' produziert, der keiner ist."

© SZ vom 25.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: