Rüstungspolitik:60 Tage Galgenfrist

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Eine Pershing kurz vor dem Start in Florida 1962. In den 1980er-Jahren sollten die US-Raketen auch in Westdeutschland stationiert werden – das trieb Hunderttausende auf die Straßen. (Foto: imago)

Die USA geben dem INF-Vertrag zum Verbot von Mittelstreckenwaffen noch eine Chance. Der Bundesregierung hilft das, eine innenpolitisch brisante Debatte zu vertagen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Am Tag danach herrscht in Berlin so etwas wie gedämpfte Erleichterung. "Der INF-Vertrag ist von hoher Bedeutung für die Sicherheit in Europa. Die Bundesregierung begrüßt, dass die amerikanische Regierung seinem Erhalt nochmals eine Chance einräumt", sagt Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer. Dies sei, versäumt sie nicht zu erwähnen, auch Thema des Gesprächs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit US-Präsident Donald Trump jüngst am Rande des G-20-Gipfels in Buenos Aires gewesen. Am Dienstag hatten die Nato-Außenminister erstmals offiziell festgestellt, dass Russland mit der Stationierung des Raketensystems 9M729 den INF-Abrüstungsvertrag bricht. Parallel dazu hatte US-Außenminister Mike Pompeo Russland noch einmal zwei Monate Zeit gegeben, zur Vertragstreue zurückzukehren. Der kleine Doppelbeschluss wahrt die Einigkeit innerhalb der Allianz, verschafft der Diplomatie aber auch etwas mehr Zeit.

Der Bundesregierung hilft das, eine auch innenpolitisch potenziell brisante Debatte zu entschärfen. Das INF-Abkommen aus dem Jahr 1987 führte zur Verschrottung Tausender Raketen und Marschflugkörper. Es verbietet Besitz, Produktion und Tests landgestützter Flugkörper mit mittlerer und kurzer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometer. Mit dem drohenden Aus des INF-Vertrages werden nun Erinnerungen an die erbitterten Debatten der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts über nukleare Nachrüstung wach. "Die Welt könnte mit dem Ende von INF vor Beginn eines neuen Kalten Krieges stehen", warnt denn auch der außenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Bijan Djir-Sarai. Die internationale Gemeinschaft brauche "dringend eine Strategie, um einen Rüstungswettlauf zu verhindern".

Zur Frage, ob sie mögliche Nachrüstungsentscheidungen mittragen würde, hält sich die Bundesregierung bislang bedeckt. Man möge doch nun erst einmal die von den USA gesetzte Frist abwarten, appelliert sie. Es liege "jetzt einzig an Russland, notwendige Schritte zu unternehmen, um Vertragstreue nachprüfbar vollständig wiederherzustellen". Tatsächlich ist man sich - ungewöhnlich in Zeiten von Trump - in dieser Frage recht einig mit der US-Regierung. Schon zu Barack Obamas Zeiten hatten die USA Russland wegen der nuklear bestückbaren Boden-Boden-Rakete vom Typ 9M729 - im Westen SSC-8 genannt - zur Rede gestellt und darüber auch die Verbündeten informiert. Die Moskauer Unschuldsbeteuerung hält man denn auch in Brüssel wie Berlin für absolut unglaubwürdig. Man müsse "realistisch bleiben", sagt nun die Vizeregierungssprecherin. Bislang habe "es kaum Anzeichen oder keine Anzeichen gegeben, dass Russland seine Haltung ändern wird". Wahrscheinlichstes Szenario ist also, dass die USA den INF-Vertrag in zwei Monaten mit Sechsmonatsfrist kündigen.

An diesem Donnerstag will Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) ein Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow nutzen, um auszuloten, ob das noch zu verhindern ist. Er steht - auch aus der eigenen Partei - unter dem Druck, sich einer fast unausweichlichen Entwicklung entgegenzustellen. Es könne nicht sein, dass Deutschland Trump "für seine gefährliche Politik" neue Mittel an die Hand gebe oder gar als Stationierungsort für neue Mittelstreckenraketen diene, hatte schon zu Wochenbeginn der SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich gewarnt. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: In den frühen 1980er-Jahren hatte die Entscheidung, US-Raketen vom Typ Pershing II in Westdeutschland zu stationieren, Hunderttausende auf die Straßen getrieben.

In der Bundesregierung wird allerdings darauf verwiesen, die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Europa sei auf absehbare Zeit kein sehr realistisches Szenario. Eher dürften die USA auf ihre Raketenabwehr setzen. Und selbst Grüne und Linke sehen keineswegs nur die USA am Pranger. "Statt sich mit Anschuldigungen zu überziehen, sollten Russland und die USA den Vertrag einhalten und über gegenseitige Inspektionen und Einbeziehung weiterer Länder sprechen", fordert der außenpolitische Sprecher der Linken, Stefan Liebich. Dazu trage das "Nato-Ultimatum" nicht bei. Zu befürchten sei, dass Russland den Vertrag gebrochen habe, meint der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. Falsch sei es nun aber, "den Vertrag einseitig aufzukündigen, wie es die Amerikaner derzeit vorhaben".

© SZ vom 06.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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