Süddeutsche Zeitung

Rüstungskontrolle:Das Letzte seiner Art

Es reicht nicht, wenn Russland und die USA das Abkommen zur Begrenzung der strategischen Nuklearwaffen einfach nur verlängern. Auch China muss auf jeden Fall miteinbezogen werden.

Von Paul-Anton Krüger

In den späten Sechzigerjahren, als die USA und die Sowjetunion anfingen, über Rüstungskontrolle zu sprechen, verfügten die beiden Supermächte schon über knapp 40 000 Atomwaffen. Zwar einigten sie sich auf Begrenzungen für die strategischen Arsenale, das Wettrüsten aber war damit nicht beendet. 1985 gab es mehr als 60 000 Sprengköpfe auf der Welt - ein Vielfaches dessen, was nötig ist, um den Planeten zu vernichten. Rüstungskontrolle hatte nicht allein das Ziel, die Zahl der Waffen zu reduzieren. Es ging auch darum, das labile Gleichgewicht des Schreckens zu stabilisieren.

Transparenz sollte das Misstrauen und das Risiko von fatalen Fehlkalkulationen begrenzen - die Welt kam dem nuklearen Armageddon trotzdem mehr als einmal gefährlich nahe. Schon deshalb wäre es bedauerlich und gefährlich, wenn das letzte noch verbleibende Abkommen ausliefe, das den USA und Russland zumindest Limits bei den strategischen Nuklearwaffen und ihren Trägersystemen auferlegt. Allerdings wäre auch noch nicht viel gewonnen, sollten Washington und Moskau einfach nur den Vertrag verlängern.

Ein neues Wettrüsten wird sich kaum darin äußern, dass Russland oder die USA wieder Tausende neue Sprengköpfe produzieren. Es bemisst sich an anderen Parametern. Das Misstrauen zwischen den beiden Mächten wächst seit Jahren wieder. Beide modernisieren ihre Atomarsenale, beide haben die Schwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen gesenkt, entwickeln neuartige Trägersysteme wie Hyperschallgleiter. Allein Russland hat ein halbes Dutzend neuer Raketen und Marschflugkörper in Dienst gestellt, die Atomwaffen tragen können - und die Krim annektiert.

Dazu kommt China, das seinen Großmachtanspruch untermauert, indem es nuklear aufrüstet und damit zugleich seine konventionelle Unterlegenheit gegenüber den USA zu kompensieren versucht. Gerade liefert sich Peking Grenzscharmützel mit Indien, einer weiteren (nicht offiziellen) Atommacht in Asien, die vergangenes Jahr fast in einen Krieg mit Pakistan geraten wäre, das ebenfalls ein wachsendes Nukleararsenal besitzt.

Daran zeigt sich, dass eine Multilateralisierung der Rüstungskontrolle dringend nötig wäre. Der Grundgedanke der Trump-Regierung ist also nicht falsch. Er darf nur nicht allein als Vorwand dienen, das letzte bilaterale Abkommen mit Russland untergehen zu lassen. Überdies müssten neue Trägersysteme reguliert werden, die Reaktionszeiten stark verkürzen, und militärische Mittel, die ähnlich wie Atomwaffen wirken können - hochpräzise konventionelle ballistische Raketen, bestimmte Arten von Cyberattacken, die den Effekten kinetischer Waffen gleichkommen, nach Russlands Wunsch auch Raketenabwehr.

Für all das bräuchte es die Führung der USA und Russlands. Es bräuchte geschlossenen Druck auf China. Und geduldige, umsichtige Diplomatie, die darauf zielt, Vertrauen zu schaffen und kooperative Lösungen für Konflikte zu suchen. Zu sehen ist eher das Gegenteil: Trumps Devise ist: Amerika zuerst, Russland und China beschränken sich auf Lippenbekenntnisse. Zu verlockend ist die Perspektive, dass technologische Entwicklungen oder die sich ändernden geopolitischen Machtverhältnisse den entscheidenden strategischen Vorteil bieten. Länder wie Deutschland können nur den Wert von Rüstungskontrolle betonen und intellektuelle Vorarbeit für neue Konzepte leisten. Viel Grund für Optimismus besteht allerdings nicht.

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SZ vom 24.06.2020
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