Süddeutsche Zeitung

Rüstungsexportstopp:Wenn die blauen Tore zugehen

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Von Peter Burghardt, Wolgast

Der Bürgermeister von Wolgast hatte sofort diese Angst, als die Nachricht aus Istanbul die Runde machte. Im Konsulat Saudi-Arabiens war ein saudi-arabischer Journalist verschwunden, Jamal Khashoggi, er wollte Dokumente für seine Hochzeit abholen. Nach allem, was man weiß, wurde der Regimekritiker ermordet, offenbar bestialisch. Laut Recherchen kommen die mutmaßlichen Täter aus dem Umfeld von Kronprinz Mohammed bin Salman. Was bedeutet das für uns, fragte sich Stefan Weigler. Für die Werft? Für Wolgast?

Ein grauer Vormittag in Mecklenburg-Vorpommern, draußen bläst ein kalter Wind durch die Gassen mit Fassaden von Gotik über Fachwerk bis Plattenbau. Weigler, Ende 30, groß, Brille, sitzt in seinem Büro im Rathaus der schönen Altstadt, zweiter Stock. Hinter seinem Schreibtisch steht ein alter Globus. An den Wänden hängen Luftaufnahmen, natürlich auch von den blauen Hallen der Peene-Werft, sie gehört inzwischen der Bremer Lürssen-Gruppe. Jeder, der von Wolgast aus über die Brücke hinüber nach Usedom und zurück fährt, sieht ein Stück der Anlagen. Die Stadt mit ihren 13 000 Einwohnern ist der Eingang zur Insel. Vor allem aber werden in Wolgast am Peenestrom seit Jahrzehnten Marineschiffe gebaut, derzeit alles in allem 48 Patrouillenboote für Saudi-Arabien - sofern das künftig noch geht.

Denn gerade ist diese Provinz weit im deutschen Osten Schauplatz einer internationalen Großkrise. Riad, Istanbul, Berlin, Wolgast. "Wenn hier die blauen Tore zugehen", sagt Stefan Weigler, die Tore der Peene-Werft, dem Lieferanten der Saudis, "dann wird's hier ganz schön dunkel."

"Macht keinen Unsinn", dachte der Bürgermeister

Die düstere Aussicht schlägt sogar die lokalen Themen Umgehungsstraße und neue Brücke nach Usedom. Saudi-Arabien, die Bundesregierung und die Werft beschäftigen den Kommunalpolitiker wie nie zuvor in dieser schon vorher heiklen Beziehung. "Macht keinen Unsinn", dachte sich Weigler, als er vom möglichen Exportstopp hörte. "Stimmt euch mit euren Partnern ab, denkt an die Auswirkungen am Ort." Der Ort, das ist Wolgast.

Berlin will die Rüstungsausfuhr nach Saudi-Arabien bremsen, weil der Mordverdacht gegen das Land stark ist. Das betrifft viele deutsche Hersteller von Armeegütern, die Ölscheichs sind beliebte Kunden. Bis Ende September hat die Koalition 2018 militärisches Material im Wert von 416,4 Millionen Euro für das Königreich genehmigt. Und es betrifft ganz besonders die Peene-Werft und Wolgast, weil beide so sehr an diesem Milliardenauftrag hängen.

Das Stadtoberhaupt Weigler ist in Wolgast geboren und mit der Werft aufgewachsen. Sein Opa und seine Oma waren auf der Werft, die 1948 von den sowjetischen Verwaltern gegründet wurde. Sein Vater hat in der DDR dort gelernt und gearbeitet. Fast jeder in der Gegend habe einen Bezug zur Werft, sagt Weigler, fast immer ging es um die Marine. 300 Angestellte sind direkt mit der Bestellung aus Saudi-Arabien beschäftigt, dazu kommen Fremdfirmen. Weigler schätzt, dass in der Gegend 2000 Menschen mehr oder weniger davon leben. Zulieferer, Hoteliers, Gastronomen.

Auch saudi-arabische Experten sind wegen der Schiffe ständig zu Gast. Die Branche ist aber höchst verschwiegen. 2017 war kurz zu sehen, wie graublaue Schiffe mit den Namen Rabigh und Addayer Wolgast verließen und unter der Zugbrücke hindurch in die Ostsee fuhren. Man erfährt nicht viel, wenn man sich der Peene-Werft an Wasser und Gleisen nähert. "Da ist noch nüscht zu hören", brummt ein Mitarbeiter, der das abgesperrte Gelände verlässt, er steigt schnell ins Auto. "Wir dürfen eh nichts sagen", sagt ein anderer. Aber der Bürgermeister Weigler, der redet.

Diskussionen gibt es schon länger, klar. "Weltfrieden" steht scheu an einer Mauer in Wolgast. Stefan Weigler weiß, "dass Saudi-Arabien nicht die feinste Demokratie auf dieser Welt ist", aber sonst würden solche Regime eben von anderen Ländern ausgestattet. Und Patrouillenboote - was soll daran schlimm sein? Erst wurde der Vorwurf laut, zwei ausgelieferte Exemplare der Peene-Werft seien irgendwie an der Seeblockade im Krieg in Jemen beteiligt gewesen. Ein Foto zeigt ein graues Schiff mit arabischer Schrift, "Border Patrol", und abgedecktem Bordgeschütz. Und nun kommt der Fall Khashoggi nach Wolgast.

Die Wolgaster fühlen sich abgehängt. Und jetzt: Wankt wieder die Werft?

Der parteilose Stefan Weigler kam 2008 auf der Liste der Linken ins Amt, vorher war er Unternehmer. Die Linken sind in der Regel dezidiert gegen solche Deals, gerade mit Saudi-Arabien. Aber Weigler, von den Linken mittlerweile unabhängig, sieht die Sache anders, seit es um Jobs und Gewerbesteuer geht, um Geld für Schulen, Sportstätten oder Kitas. Die Leute in Wolgast hätten noch in traumatischer Erinnerung, dass die Werft 2012 Insolvenz anmeldete, ehe 2013 Lürssen übernahm. Es gibt in dieser strukturschwachen Region ja sonst nicht viel. Deshalb sind sie ein Stück weiter in Lubmin auch froh, dass da die Gaspipeline Nord Stream 2 aus Russland anlandet, obwohl sich Männer wie Putin und Trump wegen dieses weiteren Politikums streiten.

Aus Wolgast verschwanden bereits Institutionen wie das Finanzamt und die Geburtsstation im Kreiskrankenhaus, weil die Landesregierung spart. Wolgast war mal NPD-Hochburg. Bei der Landtagswahl 2016 bekam die AfD in Vorpommern zuletzt 35 Prozent, auch das hat für Weigler mit dem Gefühl zu tun, abgehängt zu sein. Und jetzt: Wankt wieder die Werft?

Die rot-schwarze Landesregierung will den Standort erhalten, es geht auch um zivile Aufgaben und Aufträge für die Bundeswehr. Nur: So leicht ließen sich die Saudis nicht ersetzen. Weigler spricht mit jedem, der helfen könnte, das Arabiengeschäft zu retten. Angela Merkel war vor der Bundestagswahl in Wolgast. Aber bis direkt zur Kanzlerin, sagt der Bürgermeister, reichten seine Kontakte dann doch nicht.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2018
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