Fall Steinbach:"Potential für eine neue Partei am rechten Rand"

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Die umstrittene CDU-Politikerin und Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach hält die Gründung einer neuen konservativen Partei neben der Union für möglich - und steht damit nicht allein da.

Nach dem angekündigten Rückzug der heftig umstrittenen Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach aus der CDU-Spitze ist die Diskussion um die Neugründung einer konservativen Partei entbrannt. Wenn jemand "mit etwas Charisma und Ausstrahlung" dies tun würde, käme eine solche Partei bei Wahlen "spielend" über die Fünf-Prozent-Hürde, sagte Steinbach der Welt am Sonntag. Sie hatte ihren Rückzug aus dem CDU-Parteivorstand nach heftiger Kritik an Äußerungen zur Rolle Polens beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs angekündigt und eine zunehmende Isolierung der Konservativen in der Union moniert.

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Auf die Frage, ob sie selbst die Gründung einer neuen Partei anstrebe, sagte Steinbach: "Ich bin Mitglied der CDU. Und ich versuche meine Parteifreunde davon zu überzeugen, dass ein politischer Kurswechsel nicht verkehrt wäre." Viele Unions-Abgeordnete lebten konservative Werte. "Aber nach außen werden sie verschleiert, verbrämt, nicht ausgesprochen", sagte sie.

Die Unions-Politiker Wolfgang Bosbach (CDU) und Norbert Geis (CSU) warnten im Hamburger Abendblatt ebenfalls vor einem Verlust des konservativen Profils. Innenexperte Bosbach sagte, "wir müssen verhindern, dass sich immer mehr Konservative in der Union heimatlos fühlen". Gefahr für die Union durch eine Partei-Neugründung bestehe aber nicht: "Dafür fehlen einfach die politischen Persönlichkeiten." Wenn die Konservativen unzufrieden seien, müssten sie stärker selbst Themen setzen und inhaltlich Position beziehen, forderte Bosbach.

Geis hingegen sieht "Potential für eine neue Partei am rechten Rand". Die großen Volksparteien müssten die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Integrationsprobleme mit muslimischen Migranten deshalb ernst nehmen. "Denn diese Sorgen werden sich mit dem Abgang von Thilo Sarrazin nicht in Luft auflösen." Unbequeme Diskussion in den eigenen Reihen dürften von den Volksparteien nicht abgewürgt werden. "Sie dürfen sie auf gar keinen Fall radikalen Parteien überlassen", sagte Geis.

Auch nach Ansicht des Bonner Parteienforschers Gerd Langguth würde "eine gut geführte konservative Partei - vorausgesetzt, sie verfügt über eine charismatische Führungspersönlichkeit - die Fünf-Prozent- Hürde bei Wahlen mühelos überspringen". In der CDU fehlten konservative Persönlichkeiten, sagte der Professor für Politische Wissenschaft der Passauer Neuen Presse. "Das lässt sich nicht mit ein paar programmatischen Sprüchen wettmachen."

Für den Essener Politikwissenschaftler Claus Leggewie wären alle "Zutaten" für eine rechtspopulistische Partei vorhanden: "Ein breites, ressentiment-geladenes Thema - Islam - , die Integrationsschwäche beider Volksparteien, die mediale Dauer-Aufmerksamkeit und eine Krisenstimmung, in der viele vermeintliche ,Opfer' mit einem angeblichen ,Märtyrer' kommunizieren." Was fehle, sei eine charismatische Führerpersönlichkeit, sagte er den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe. Dagegen stuft Parteienforscher Ulrich von Alemann von der Uni Düsseldorf die Chancen für eine rechtspopulistische Partei "mittelfristig als sehr gering ein". Allein die Fünf-Prozent-Hürde erschwere die Neugründung von Parteien. Hinzu komme, dass Parteien am rechten und linken Rand, "die Querulanten ihres Spektrums anziehen", was zur Selbstzerfleischung führe.

Kritik an Steinbach

CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel warf Steinbach vor, die Partei auf einen strategisch falschen Weg geführt zu haben. Auch im Umgang mit Thilo Sarrazin habe die Partei eine "elementare strategische Fehlentscheidung" getroffen. Statt "gemeinsam mit der Linken auf den Mann einzudreschen", hätte man deutlich machen müssen, dass das, was er anspreche, Thema der Union sei, sagte Steinbach. In einer Demokratie sollten "Denk- und Sprechverbote nicht möglich" sein. Es sei bedenklich, dass man inzwischen angegriffen werde, "wenn man simple Fakten benennt".

Die SPD forderte Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer auf, sich in seiner Rede vor den Vertriebenen an diesem Samstag klar von Verbandschefin Erika Steinbach zu distanzieren. Der CSU-Chef dürfe nicht zulassen, dass Steinbach mit ihren "revanchistischen Thesen" das Verhältnis zu Polen weiter vergifte, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann der Nachrichtenagentur dpa. "Erika Steinbach verfälscht die Geschichte, indem sie Opfer zu Tätern macht", sagte der SPD-Politiker.

Auch Außenminister Guido Westerwelle warnte erneut davor, die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs infrage zu stellen. "Wir dürfen keine Debatte zulassen, die die schwere Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieg relativiert", schrieb der FDP-Vorsitzende in der Bild am Sonntag. "Wer immer dies tut, schadet dem Ansehen unseres Landes im Ausland", fügte Westerwelle hinzu.

© dpa/AFP/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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