Rücktritte in Folge der NSU-Ermittlungen:Einer nach dem anderen stolpert

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Die Berliner Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid ist nur das jüngste Beispiel in einer langen Serie von Rücktritten beim Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden. Akten wurden geschreddert, Ermittlungspannen vertuscht - mehr als ein Jahr nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie werden immer noch neue Verfehlungen öffentlich.

Oliver Klasen

Immer neue Verfehlungen der Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit der Neonazi-Terrorzelle NSU kommen ans Licht. (Foto: dapd)

Am 4. November 2011 steckt eine Frau ihr Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand. Kurz zuvor haben sich zwei Männer in der Nähe von Eisenach in einem Wohnwagen selbst getötet, um ihrer Entdeckung durch die Polizei zu entgehen.

An diesem Tag erfährt die deutsche Öffentlichkeit zum ersten Mal von der Existenz einer Neonazi-Gruppe namens Nationalsozialistischer Untergrund. Sie hört das zum ersten Mal drei Namen: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Und sie ist schockiert, dass die drei Rechtsradikalen dem Anschein nach verantwortlich sind für eine beispiellose Serie von Morden. Mit zehn Todesopfern, neun von ihnen Menschen ausländischer Abstammung. Mit Taten, die sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstrecken.

Die Ereignisse in Zwickau und Eisenach legten auch den Blick frei auf eine der größten Staatsaffären der Bundesrepublik Deutschland. Bei Geheimdiensten, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden hat es immer wieder Pannen gegeben. Nicht nur vor dem 4. November 2011, sondern auch danach, bei der Aufklärung der Taten des NSU.

Vor allem die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, die die Zwickauer Neonazi-Zelle und ihr Unterstützerumfeld offenbar jahrelang beobachtet haben, gerieten dabei immer stärker unter Druck. Untersuchungsausschüsse in Berlin und in mehreren Bundesländern mühen sich um die Aufarbeitung der Versäumnisse. Die Hauptvorwürfe: Akten seien widerrechtlich vernichtet worden, selbst nachdem die Mordserie bekannt geworden war. Und: Die Verfassungsschützer beteiligten sich zu wenig an der Aufklärung der Taten.

Mehrere hochrangige Verfassungsschützer hat die Affäre bereits das Amt gekostet. Seit Juli gibt es eine Serie von Rücktritten. Ein Rückblick:

Er war der erste: Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm trat am 2. Juli 2012 zurück. (Foto: AFP)

[] Am 2. Juli bittet Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm nach den Pannen bei der Aufklärung der Neonazi-Morde Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zum Ende des Monats um seine Versetzung in den Ruhestand. Kurz zuvor war bekanntgeworden, dass der Verfassungsschutz noch nach Auffliegen der Terrorzelle Akten vernichtete, aus denen hervorging, wie mit V-Leuten aus dem NSU-nahen Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde.

[] Nur einen Tag später, am 3. Juli, muss Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel sein Amt aufgeben. Innenminister Jörg Geibert (CDU) versetzt Sippel in den einstweiligen Ruhestand. Der Verfassungsschutz-Chef stand vor allem wegen seiner Informationspolitik zur umstrittenen "Operation Rennsteig" in der Kritik. Bei der geheimen Aktion ging es zwischen den Jahren 1997 und 2003 um den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes. Der Thüringer Verfassungsschutz war daran gemeinsam mit dem Bundesverfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) beteiligt - und hatte dem Untersuchungsausschuss im Landtag offenbar wichtige Akten vorenthalten.

[] Am 11. Juli tritt Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos überraschend zurück. Hintergrund seines Amtsverzichts: Auch der Verfassungsschutz in Dresden soll Geheimakten gehortet haben, die zur Aufklärung der NSU-Mordserie beitragen könnten. In Sachsen verwahrte Protokolle einer Telefonüberwachung des Bundesamts für Verfassungsschutz von Ende 1998 waren erst kurz zuvor aufgetaucht. Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) spricht von "eklatantem Fehlverhalten" einzelner Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und räumt "Defizite" beim Informationsaustausch zum Rechtsextremismus in Sachsen ein.

[] Am 13. September bittet Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg um seine Versetzung in den Ruhestand. Einen Tag zuvor hatte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) mitgeteilt, dass die Sicherheitsbehörden Sachsen-Anhalts - anders als zunächst behauptet - nun doch eine Kopie der Akte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Vernehmung des NSU-Terroristen Uwe Mundlos in ihren Archiven entdeckt hätten. Im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin ist kurz zuvor herausgekommen, dass der MAD versucht haben soll, Mundlos 1995 als Informanten zu werben. Auch das Verteidigungsministerium und Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) haben offenbar schon Monate vorher von der Existenz der Mundlos-Akte gewusst.

[] Am 14. November tritt Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid von ihrem Posten zurück. Sie reagiert damit auf Vorwürfe, dass im Berliner Verfassungsschutz mehrfach Akten vernichtet wurden, die auch einen Bezug zum rechten Terrornetzwerk NSU gehabt haben könnten. So sollen 2010 Papiere zum verbotenen Neonazi-Musiknetzwerk "Blood & Honour" zerstört worden sein, obwohl sie im Landesarchiv hätten aufbewahrt werden müssen. Sogar im Juni 2012, nachdem das Ausmaß der NSU-Taten längst bekannt war, seien noch Akten geschreddert worden.

© Süddeutsche.de/olkl/mit Material von dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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