Rücktritt von Premier Naoto Kan:Japan versucht die Schnellheilung

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Zwei Tage Wahlkampf, zwei Tage wählen: Japans regierende Demokratische Partei will nach dem Rücktritt von Premier Kan in vier Tagen eine neue Regierung aufstellen. So soll das Land schnell aus der Dauerkrise kommen - doch der Plan birgt Gefahren.

Christoph Neidhart, Tokio

Lange hat sich der Rücktritt abgezeichnet, an diesem Freitag war es dann soweit: Der wegen seines Umgangs mit der Tsunamikatastrophe und dem Atomunfall von Fukushima in die Kritik geratene japanische Regierungschef Naoto Kan tritt zurück. Die regierende Demokratische Partei (DPJ) hat ihren Premier kurz vor Ende der laufenden Sitzungsperiode gleichsam entsorgt.

Abgang eines Gescheiterten: Japans Premier Naoto Kan verlässt die Pressekonferenz, auf der er seinen Rücktritt erklärt hat. (Foto: REUTERS)

Jetzt soll alles ganz schnell gehen: Schon am Montag wird die DPJ einen neuen Parteivorsitzenden wählen. Aussichtsreichste Kandidaten sind Ex-Außenminister Seiji Maehara, Finanzminister Yoshihiko Noda und Wirtschaftsminister Banri Kaieda. Am Dienstag wird das Unterhaus den neuen Parteichef zum nächsten Premier Japans wählen. Bis Dienstagabend soll der Neue dann eine Regierung bilden.

Nähme man so manches, was jetzt in Tokio gesagt wird, beim Wort, würde damit alles gut. Der im Schnellverfahren gekürte Premier wird eine große Koalition mit den Liberaldemokraten (LDP) bilden. Gemeinsam werden die beiden Parteien das Steuersystem erneuern, die Staatsfinanzen sanieren, den Wiederaufbau der vom Tsunami verwüsteten Regionen organisieren und Japans Energiepolitik umkrempeln.

Zwei Tage soll der Wahlkampf dauern, der ohnehin keiner ist. Er beginnt am Samstag, bis dahin könnten sich weitere Kandidaten melden. Am Sonntagmorgen wird er in den Talk-Shows stattfinden, am Sonntagnachmittag in einer sogenannten offenen Debatte vor der Presse. Das wars dann schon.

Wahlberechtigt sind nur die etwa 400 Abgeordneten der DPJ. Sie kennen die Kandidaten bereits, sitzen sie doch mit ihnen im Parlament. Ohnehin ist nicht entscheidend, was die Kandidaten öffentlich sagen, sondern das Geschacher um Posten und Pfründe in den Hinterzimmern.

Die Tageszeitung Yomiuri warf der DPJ vor, sie ziehe die Geschwindigkeit der Qualität vor. Mit ihrer Eile will die Parteiführung nicht zuletzt Sprengkandidaten verhindern. Wie die DPJ und die LDP, zwei verfeindete Parteien, über Nacht eine Koalition bilden sollen, hat bisher niemand erläutert.

Auch nicht, wie sie sich auf eine gemeinsame Politik einigen könnten. Es gibt schon innerhalb der DPJ enorme Differenzen über zentrale Fragen wie die Energiepolitik und die Steuerreform. Einige DPJ-Politiker haben erkannt, dass die Japaner keine neuen AKWs akzeptieren werden, dass Japan mithin zwangsläufig aus der Kernkraft aussteigen muss.

Die LDP dagegen trommelt weiter für die Kernkraft. Favorit auf die Nachfolge Kans ist Ex-Außenminister Seiji Maehara. Der telegene, forsche 49-Jährige öffnete als Verkehrsminister den Tokioter Inlandsflughafen Haneda für internationale Linienflüge und wickelte den Bankrott von Japan Airlines ab. Das ist sein Leistungsausweis. Als Außenminister brachte er es fertig, Japans Beziehungen zu China und Russland binnen weniger Tage in tiefe Krisen zu stürzen.

Der ehrgeizige Maehara hatte sich immer wieder als Premier angeboten. Dennoch wollte er nun erst nicht antreten. Er befürchtete, der nächste Premier bleibe eine Übergangslösung. Als er sich schließlich stellte, gab er dies als persönliches Opfer aus: Das Land sei wichtiger als seine Karriereplanung. Maehara will die Wirtschaft mit massiven Konjunkturspritzen ankurbeln und äußerte sich jüngst skeptisch über die Kernenergie.

Finanzminister Yoshihiko Noda gehört in der DPJ der gleichen Gruppe an wie Maehara, will jedoch sparen und die Steuern erhöhen. Es ist nicht auszuschließen, dass er sich zugunsten von Maehara zurückzieht. Außenseiterchancen hat Banri Kaieda, der als Wirtschaftsminister bisher verantwortlich war für die Kernenergie und ihre Sicherheit. Trotz Fukushima drängt er auf ein baldiges Wiederanfahren der derzeit abgeschalteten AKWs.

Unterstützung vom Widersacher?

Außerdem bewerben sich Landwirtschaftsminister Michihiko Kano, Ex-Umweltminister Sakihito Ozawa, Ex-Verkehrsminister Sumio Mabuchi und der Abgeordnete Shinji Tarutoko. Ichiro Ozawa, der mächtige Düsterling im Hintergrund der DPJ, ist derzeit wegen einer Spendenaffäre vorübergehend von der Partei suspendiert. Gleichwohl werden er und seine Anhänger diese Wahl entscheiden.

Deshalb sucht Maeahara, bisher ein Widersacher des alten Strategen, nun Ozawas Unterstützung. Dabei dürfte um die Aufhebung von Ozawas Parteiausschluss gefeilscht werden.

Die LDP hatte nicht mit dem vergleichsweise populären Maehara gerechnet. Sie fürchtet, wie ein führendes Parteimitglied dem Yomiuri sagte, wenn sie eine Koalition mit ihm eingehe, könnte sie der DPJ über ihr Popularitätstief hinweghelfen. Das sei nicht ihre Absicht.

Also kommt die große Koalition vielleicht gar nie zustande. Zumal sich auch die Mehrheit der DPJ-Sektionen in den Präfekturen deutlich gegen ein Zusammengehen mit der LDP äußert. Dann wird der Nachfolger Kans dort anknüpfen müssen, wo Kan von den eigenen Leuten zum Aufgeben gezwungen wurde.

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