Rücktritt von CDU-Hoffnung Boetticher:Lolitagate

Christian von Boetticher machte auf dem Deich eine genauso gute Figur wie als diskussionsfreudiger Konservativer auf Twitter und Facebook. Dass er über die Affäre mit einer 16-Jährigen stürzt, ist ein schwerer Schlag für die CDU und Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein. Er selbst staunt über die harschen Reaktionen auf seine "sehr ungewöhnliche Liebe". Seine Ex-Freundin vermutet einen Racheakt.

Ralf Wiegand, Hamburg

Das Familienwappen derer von Boetticher zeigt einen silbernen Pelikan auf blauem Schild über grünem Hügel. Ein gekrönter Helm sitzt darauf, an den Flanken spreizen sich Adlerflügel. Seit fast 300 Jahren benutzt die Familie diese Symbole, und ebenso lang folgt sie ihrem Wappenspruch: "Quid non dilectis!" - Was tut man nicht für seine Liebsten.

Christian von Boetticher tritt zurück

Christian von Boetticher am Tag seines Rücktritts

(Foto: dpa)

Auf den jüngeren Familienfotos des weit verzweigten Adelsgeschlechts steht Christian von Boetticher, 40, immer rechts vorne. Ein großer, fröhlicher Mann schaut da in die Kamera, einer, dem das Leben Spaß machen könnte. Polo und guten Wein mag er wohl, zumindest hat er das ab und an über Facebook der Welt mitgeteilt - oder wenigstens jenem Teil, der sich dafür interessiert hat, ob er sich gerade auf Sylt sonnt oder in Kiel Karriere macht.

Ein großer Junge, das ist der Eindruck. In Kiel fand das andere Leben des Christian von Boetticher statt, das Leben im Anzug als Landesvorsitzender der CDU von Schleswig-Holstein, als designierter Spitzenkandidat für die nächste Landtagswahl, als Fraktionschef im Parlament.

Bis die Tränen kamen

Christian von Boetticher sollte die CDU nach acht Jahren unter dem vorsitzenden väterlichen Friesen Peter Harry Carstensen, 64, sanft modernisieren. Einer, der einst als Landwirtschaftsminister in Gummistiefeln eine ebenso gute Figur machte wie als diskussionsfreudiger Fraktionschef auf Twitter, sollte das Konservative zeitgemäß verpacken können. Das war die Hoffnung.

Am Sonntagabend war der Traum dann aus. Auf einem Podium im Hotel Steigenberger in Kiel musste sich Boetticher sogar ein Taschentuch reichen lassen, weil ihm die Tränen kamen, als er den Abgesang auf die eigene Laufbahn formulierte. "Ja, es ist wahr, ich hatte mich im Frühjahr 2010 in eine junge Frau verliebt und bin mit ihr einige Monate zusammen gewesen", sagte Boetticher, trat vom Amt des Landesvorsitzenden zurück und gab auch seine Bewerbung um die Spitzenkandidatur auf. Denn die "junge Frau", mit der der Spitzenpolitiker vor reichlich einem Jahr zusammen gewesen ist, war zum damaligen Zeitpunkt 16 Jahre alt.

Es war ein denkwürdiger Auftritt im Anschluss an eine gut drei Stunden währende Krisensitzung des geschäftsführenden Landesvorstands der CDU. Dort hatte Boetticher vergeblich um seine politische Zukunft gekämpft, der "persönliche Erklärungsbedarf", den er später anführen sollte, war einfach zu groß. Minutenlang lavierte sich der Landesvorsitzende dann vor laufenden Kameras durch sein eigenes Liebesleben und die Ansprüche, die seine Ämter mit sich bringen. Bis ihm die Tränen kamen.

Hunderte SMS und E-Mails

Boetticher hat offenbar im Frühjahr 2010 im Internet ein junges Mädchen kennengelernt und den Kontakt zu ihr weit über die Cyber-Welt hinaus intensiviert. Der Düsseldorfer Express zitierte eine heute 17-Jährige unter geändertem Namen, die dieses Mädchen sein will und dem Blatt geschildert haben soll, wie der Politiker ihr einige hundert SMS und E-Mails geschickt habe. Schließlich habe man sich in einem Düsseldorfer Hotel getroffen und "Sex gehabt". Dass die vergangene Beziehung jetzt aufgeflogen sei, habe wohl jemand zu verantworten, der sich an Boetticher rächen wolle.

Carstensen geht auf Distanz zu CDU-Landeschef Boetticher

Förderte Boetticher (li.), nun drängte er zum Rückzug: Peter Harry Carstensen, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

(Foto: dapd)

Der Politiker selbst sagte in seiner persönlichen Erklärung, Ministerpräsident Carstensen habe ihn am 19. Juli "in meinem Urlaub mit Spekulationen konfrontiert", die eine Beziehung "zu einer jungen, unter 18-jährigen Frau" im Frühjahr 2010 betroffen hätten: "Darüber war ich sehr erschüttert." Boetticher, der als Ziehsohn Carstensens gilt und der vor allem durch dessen persönliche Unterstützung steile Karriere machen konnte, gab alles zu. Es sei "eine sehr ungewöhnliche Liebe" gewesen, die aber "von unserem Umfeld akzeptiert und auch unterstützt" worden sei.

Der Behauptung, er habe mit der Minderjährigen eine Affäre gehabt, obwohl er seit Jahren mit einer anderen Frau liiert ist, widersprach Christian von Boetticher: "Um es deutlich zu sagen: Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beziehung zu einer anderen Frau gepflegt." Es sei keine Affäre gewesen: "Es war schlichtweg Liebe." Sein Fehler habe lediglich darin bestanden, die politische Wirkung einer solchen Beziehung unterschätzt zu haben.

Die Liebesgeschichte dauerte ungefähr so lange, bis sich der Rückzug seines Mentors Carstensen vom Parteivorsitz und dessen Verzicht auf eine weitere Spitzenkandidatur abzeichnete. Im September vergangenen Jahres übernahm Boetticher die Führung der Partei, im Mai erklärte er, für die CDU auch die Staatskanzlei erobern zu wollen.

Erstaunlich ist, dass er am Sonntag im Konjunktiv sprach, als er sagte, "objektiv hätte ein Bedrohungs- und Erpressungspotential gegenüber meiner Partei, mir und damit auch Personen, die ich liebe und schätze", entstehen können: Kandidat und Partei waren zu diesem Zeitpunkt schon längst erpressbar. Angeblich kursieren in der Parteiführung seit diesem Sommer einige der Mails, die sich Christian von Boetticher und seine junge Geliebte einst schrieben.

Carstensen drängte zum Verzicht

Carstensen soll erschüttert und enttäuscht gewesen sein über das, was er da zu lesen bekam. Da überdies die berechtigte Sorge bestand, dass auch der politische Gegner, speziell die SPD, über die brisanten Informationen verfügen könnte, drängte Carstensen persönlich seinen Zögling zum sofortigen Verzicht: Lieber selbst neun Monate vor dem geplanten Wahltermin im Mai 2012 die Segel streichen als im heißen Wahlkampf von anderen abgeschossen zu werden. So könnte der Schaden für die Partei vielleicht noch zu reparieren sein. Den Krisensitzungen am Sonntag soll Carstensen, schwer getroffen von der Affäre, ferngeblieben sein.

Christian von Boetticher hat nun auch den Kampf um den Vorsitz in der Fraktion im Kieler Landeshaus verloren. Ohnehin habe er in den vergangenen Monaten schon viel ertragen müssen, sagte er am Sonntag in Kiel. Es habe sogar "mehrere Journalisten" gegeben, die sicher zu wissen glauben, "dass ich schwul sei und die ein Outing erwarteten".

Er habe dazu stets geschwiegen. Doch jetzt - und weil er selbst "Geradlinigkeit und Berechenbarkeit in der Politik" einfordere - müsse er die Konsequenzen ziehen: "Ich bin nicht der Mensch, der in einer solchen Situation lügt, herumlamentiert, sich versteckt oder sich von wem auch immer treiben lässt."

Am Ende sei es nur noch darum gegangen, "mir geliebte Personen zu schützen". Quid non dilectis.

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