Rücktritt Käßmanns:"Verantwortung ohne Wenn und Aber"

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Respekt und Bedauern prägen die Reaktionen in Politik und Kirche nach dem Rücktritt der EKD-Vorsitzenden Käßmann. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hält den Rücktritt für falsch.

Führende Politiker verschiedener Parteien und Kirchenvertreter haben mit Bedauern und großem Respekt auf den Rücktritt Margot Käßmanns, der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, reagiert. Gewürdigt wurden der Mut, die Glaubwürdigkeit und die klare Haltung der Kirchenfrau. Ihr Rückzug sei ein Verlust, hieß es in allen Stimmen zu ihrem Abgang.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm Käßmanns Entscheidung "mit Respekt und Bedauern" auf. Nach Angaben von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte Merkel an diesem Mittwoch in Berlin: "Ich habe die Zusammenarbeit mit Bischöfin Käßmann sehr geschätzt."

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat mit tiefem Bedauern auf den Rücktritt ihrer Ratsvorsitzenden reagiert. "Die Gradlinigkeit und Klarheit in ihren theologischen, soziopolitischen und gesellschaftlichen Positionen werden der Evangelischen Kirche in Deutschland fehlen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der EKD- Synodenpräsidentin, Katrin Göring-Eckardt, sowie des stellvertretenden EKD-Vorsitzenden, Nikolaus Schneider. "Ihr Rücktritt ist ein schwerer Verlust für den deutschen Protestantismus." Käßmanns Spitzenamt bei der EKD werde bis zu einer Neuwahl im November ihr Stellvertreter Schneider, der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, übernehmen, erklärte die Kirche. Eine Neuwahl werde voraussichtlich bei der nächsten Synodentagung vom 5. bis 10. November in Hannover erfolgen. Der 62-Jährige Schneider ist bekannt für sein soziales und politisches Engagement.

"Menschlich und intellektuell überragende Führungspersönlichkeit"

Der Rat der EKD hatte seiner Vorsitzenden nach einer nächtlichen Krisenberatung zwar das Vertrauen ausgesprochen. Die EKD überließ Käßmann aber selbst die Entscheidung über ihre Zukunft.

Nach den Worten von SPD- Chef Sigmar Gabriel zeige Käßmanns Rücktritt, dass die bisherige EKD-Vorsitzende "Verantwortung ohne Wenn und Aber" übernommen habe. Sie habe immer wieder Mut gezeigt, wichtige Debatten innerhalb der evangelischen Kirche und für unser Land anzustoßen. Er hoffe, dass sich Käßmann auch weiter zu Wort melden werde.

Die Protestanten in der Union haben den Rücktritt der Bischöfin mit Bedauern aufgenommen. "Mit der Entscheidung von Frau Käßmann verliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine menschlich und intellektuell überragende Führungspersönlichkeit", sagte der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel, der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin. "Ich bedaure die Entscheidung von Frau Käßmann zutiefst, verstehe sie aber." Der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der Union würdigte die Entscheidung der früheren hannoverschen Landesbischöfin aus moralischer Sicht. "Mit ihrem Schritt hat Frau Käßmann die Klarheit des moralischen Votums der Evangelischen Kirche geschützt", sagte Rachel. Käßmann werde der Evangelischen Kirche "mit ihrer lebensnahen und stets klugen Art" der Verkündung des Evangeliums fehlen.

"Herber Verlust für Deutschlands Christen"

Auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat den Rücktritt bedauert. "Ich kenne Frau Käßmann seit langem als einen Menschen, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, respektiere gerade deshalb ihre Entscheidung und kann diesen Schritt verstehen", schrieb der Freiburger Erzbischof am Mittwoch in seiner kurzen Erklärung, die mit den Worten schließt: "Ich wünsche ihr in dieser schwierigen Stunde Gottes Segen."

Als "herben Verlust für die Christen in Deutschland" wertete der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer den Amtsverzicht. "Für sie persönlich ist der Schritt richtig. Für uns alle, für den Protestantismus ist die Entscheidung schlecht", sagte er der Leipziger Volkszeitung. Gleichwohl könne er die persönlichen Gründe Käßmanns für ihren Rücktritt verstehen. "Sie gewinnt damit ihre Freiheit zurück, die sie sonst nicht wieder bekommen hätte. Dieses Vergehen würde sie täglich verfolgen, egal wo sie auftritt und wozu sie sich auch äußert."

Im Video: Nach dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Käßmann gibt es gemischte Reaktionen auf die Entscheidung der Bischöfin.

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Die hannoversche Landeskirche, die Heimatkirche der Bischöfin, will an diesem Donnerstag über das weitere Fortgehen an ihrer Spitze beraten. "Wir empfinden es als großen Verlust, dass die Landesbischöfin nicht mehr für die Arbeit der Landeskirche zur Verfügung steht", hieß es in einer Erklärung. Käßmann war seit 1999 Bischöfin in der niedersächsischen Landeshauptstadt gewesen. "Sie hat viele Menschen angesprochen, mit der Botschaft des Evangeliums erreicht und neues Vertrauen zur evangelischen Kirche geweckt."

"Falsch für uns Frauen"

In einem Kommentar für Spiegel online bewertet die Frauenrechtlerin und Autorin Alice Schwarzer den Rücktritt Margot Käßmanns wegen ihrer Alkoholfahrt als nicht richtig. Ihre "dramatische Konsequenz" auf die Alkoholfahrt sei "falsch für uns Frauen, falsch für die fortschrittlichen ProtestantInnen in Deutschland - und falsch für sie selbst". Schwarzer "bedauere den Rücktritt von Margot Käßmann sehr." Es gebe zwar "reichlich Grund zu Scham und Reue und das Ringen um zukünftige Glaubwürdigkeit", aber Käßmann hätte sich "nicht wegen eines einmaligen Strauchelns gleich selbst zu Fall bringen müssen", so Schwarzer weiter. Die Theologin hätte vielleicht gerade eine besondere Kraft daraus ziehen können, "zu einer solchen Fehlbarkeit aufrecht zu stehen". Zu Käßmanns Rücktritt habe sicher auch "Scheinheiligkeit in ihren eigenen Reihen" beigetragen, meint Schwarzer. "Zu vielen konservativen Kräften war dieser dritte Makel deutlich einer zu viel: 1. Frau, 2. geschieden, 3. ein Glas zu viel getrunken."

Käßmann sagte an diesem Mittwoch, sie habe einen schweren Fehler gemacht, den sie zutiefst bereue. Sie war am Samstagabend am Steuer ihres Dienstwagens in Hannover von der Polizei gestoppt worden, nachdem sie über eine rote Ampel gefahren war. Wegen des hohen Wertes von 1,54 Promille Alkohol im Blut hat die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen sie eingeleitet. Unterdessen rechnet die Staatsanwaltschaft in Hannover mit einem zügigen Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Käßmann, sagte Staatsanwalt Jürgen Lendeckel. Die Bischöfin hatte auch einen Beifahrer im Auto. Dessen Personalien seien aber nicht aufgenommen worden, sagte der Sprecher des Innenministeriums in Hannover, Klaus Engemann.

Käßmann war Ende Oktober vergangenen Jahres als erste Frau in das höchste Amt der evangelischen Kirche in Deutschland gewählt worden. Die streitbare Theologin hatte erst zu Weihnachten mit ihren Äußerungen zum Krieg in Afghanistan für eine breite innenpolitische Debatte gesorgt.

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