Rücktritt des EU-Gesundheitskommissars:Freiwillig gezwungen

Hat sich der umstrittene EU-Gesundheitskommissar John Dalli aus freien Stücken zurückgezogen? Nein, sagt er selbst und erhebt schwere Anschuldigungen gegen Kommissionspräsident. Der wiederum wirft Dalli einen öffentlichen Feldzug vor.

Der Rücktritt von EU-Kommissar John Dalli sorgt in Brüssel weiter für Diskussionen: Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat Dalli jetzt per Brief eine Rüge ausgesprochen. Barroso sieht sich einem "öffentlichen Feldzug" ausgesetzt, weil Dalli der Darstellung widerspricht, dass er aus freien Stücken zurückgetreten sei.

"Ihre zahlreichen Beschwerden und Beschuldigungen wegen vermeintlich illegaler oder inkorrekter Vorgehensweisen gegen Sie sind nicht nachvollziehbar", heißt es in dem Schreiben. Und weiter: "Ich möchte Sie daran erinnern, sich als früherer Kommissar integer zu benehmen."

Damit seine Rücktrittserklärung in Kraft trete, bedürfe es ferner gemäß europäischem Recht keines formellen Briefs. "Laut den Verträgen ist für einen sofortigen und unwiderruflichen Rücktritt keine schriftliche Erklärung notwendig", schrieb Barroso. "Während unseres Treffens am 16. Oktober 2012 haben sie selbst unzweideutig Ihren sofortigen Rücktritt erklärt", zumal unter den Augen zweier Zeugen. Als Konsequenz daraus gebe es "keine weiteren Fragen mehr zur Wirksamkeit Ihres Rücktritts".

Kommissionssprecher Olivier Bailly ergänzte, Dallis Rücktritt sei nicht nur rechtens und wirksam, sondern auch von der maltesischen Regierung akzeptiert worden, die ja immerhin einen Nachfolger vorgeschlagen habe.

Dalli wird vorgeworfen, vom Angebot eines ihm bekannten Unternehmers an das Tabakunternehmen Swedish Match gewusst zu haben, gegen Geld die EU-Tabakgesetzgebung zugunsten der Firma zu beeinflussen. Obwohl der Geschäftsmann dabei Ermittlern zufolge auf seine guten Kontakte zum für Gesundheit und Verbraucherschutz verantwortlichen Kommissar verwies, schritt Dalli nicht dagegen ein, in diesem zweifelhaften Zusammenhang genannt zu werden.

Dalli wiederum behauptet, nichts von dem Vorgang gewusst und von Barroso ohne Möglichkeit zur Stellungnahme zum Rücktritt gezwungen worden zu sein. Da von Freiwilligkeit keine Rede sein könne, erwarte er nun, dass der Kommissionchef von seinem Recht der Zwangsenthebung Gebrauch mache.

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