Deutschland und Tunesien wollen trotz der jüngsten Verstimmungen zwischen beiden Ländern beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus und bei der weiteren Entwicklung des nordafrikanischen Landes eng zusammenarbeiten. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte nach einem Treffen mit dem tunesischen Regierungschef Youssef Chahed, Berlin liege die Beziehung mit Tunesien "sehr am Herzen". Die Bundesregierung wisse, welch große und schwierige Aufgabe vor dem Land liege, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Deutschland strebe deshalb eine "umfassende Partnerschaft" mit dem nordafrikanischen Land an und wolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung, bei Investitionen, bei der Bildung und bei der inneren Sicherheit eng kooperieren.
Merkels Botschaft sollte offenkundig die Wogen glätten, nachdem im Gefolge des Berliner Anschlags durch den gebürtigen Tunesier Anis Amri Kritik an den dortigen Behörden laut geworden war. Hintergrund war, dass Tunesien lange Zeit brauchte, um Amris tunesische Herkunft zweifelsfrei zu bestätigen und entsprechende Passersatzpapiere zu erstellen. Tunesiens Behörden verfügen zwar über Fingerabdrücke aller Staatsbürger - nur leider in weiten Teilen nicht digital, sondern nur auf Papier; die Suche nach der richtigen Karteikarte kann also manchmal etwas dauern. Aus Zorn über diese Verzögerungen hatten Vizekanzler Sigmar Gabriel und Bundesjustizminister Heiko Maas mit der Kürzung von Hilfen gedroht.
Auch der tunesische Premierminister betonte das große Interesse seiner Regierung an einer noch engeren Zusammenarbeit mit Deutschland. Chahed sagte, sein Land sei sehr dankbar für die Unterstützung beim demokratischen Übergang und die allgemeine Wertschätzung, die Tunesien in Deutschland habe. Er betonte, dass er die Idee eines Marschall-Plans für Nordafrika sehr begrüße. Mit Blick auf abgelehnte Asylbewerber aus Tunesien sagte Chahed zu, dass sein Land selbstverständlich hilfsbereit sei, wenn zweifelsfrei feststehe, dass es sich dabei um Tunesier handele. Dies könne allerdings nicht für Menschen gelten, die aus anderen Krisenstaaten der Region nach Europa und nach Deutschland gekommen seien. Bereits heute beherbergt die junge Demokratie mehr als eine halbe Million Libyer, die vor dem Bürgerkrieg in das vergleichsweise stabile Nachbarland geflohen sind.
Merkel sagte in diesem Zusammenhang, dass die freiwilligen Rückführungen, aber auch die nötigen Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und sogenannter Gefährder forciert werden müssten. Allerdings verzichtete sie auf jedes Wort und jede Geste, die als Drohung oder Härte gegenüber Tunis hätten gewertet werden können.
Angela Merkel will im März zum Gegenbesuch nach Tunesien reisen
Dabei widersprach sie Vermutungen, Deutschland und die EU würden wie im Fall Libyens auch in Tunesien an die Errichtung von Auffanglagern denken, um Flüchtlinge vom Weg übers Mittelmeer abzuhalten. Die Kanzlerin wies darauf hin, dass derzeit höchstens ein Prozent der 200 000 Menschen, die 2016 übers Mittelmeer vornehmlich nach Italien kamen, in Tunesien an Bord gegangen seien. "Tunesien ist so gesehen kein Haupttransitland" für Flüchtlinge, so Merkel. Sie versprach, wie auf dem G-7-Gipfel in Elmau 2016 werde sich Deutschland auch im Rahmen des G-20-Vorsitzes 2017 um eine besondere Unterstützung für Tunesien bemühen. Zu diesem Zweck wird es Mitte Juni in Deutschland eine große Afrika-Konferenz geben, zu der auch der tunesische Präsident eingeladen werde. Außerdem kündigte sie an, noch im Frühjahr Tunesien zu besuchen. Wie zu hören ist, will sie Anfang März nach Ägypten und Tunesien reisen.
Chahed sagte, er habe mit Merkel nicht über mögliche Pläne für Auffanglager gesprochen. Es sei aber wichtig zu klären, worüber man im Falle Tunesien und Migration spreche. Für tunesische Flüchtlinge in Deutschland, die ihren Aufenthaltsstatus verloren hätten, gebe es klare Verfahren. Außerdem sei man selbstverständlich bereit, in der Terrorabwehr eng zu kooperieren - im Fall des späteren Attentäters Amri müsse man allerdings auch prüfen, wie es überhaupt in Europa zu dessen Radikalisierung kommen konnte. Er sei 2011 in die EU gekommen und habe fünf Jahre später einen Anschlag verübt.
Die Opposition hatte die Bundesregierung in den vergangenen Wochen vor einem aus ihrer Sicht falschen Umgang mit Tunis gewarnt. So hatte die Nordafrika-Expertin der Grünen, Franziska Brantner, nach den Drohungen von Gabriel und Maas gemahnt, nicht ausgerechnet das einzige Land, das nach dem Arabischen Frühling bis heute ernsthaft um eine Demokratisierung ringe, die Mittel zu streichen. Zugleich warnten die Grünen aber auch davor, im Bemühen um eine enge Sicherheitskooperation zu übersehen, dass sich ausgerechnet der Geheimdienstapparat in Tunesien bisher allen Reformbemühungen widersetzt habe. Wie massiv die Sicherheitskräfte im Kampf gegen den Terror mittlerweile wieder auf Folter und willkürliche Verhaftungen setzen, belegte Anfang der Woche ein Bericht von Amnesty International.