SPD-Politiker Rudolf Dreßler:Mit aufrechtem Gang

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1980 kam er in den Bundestag, zwanzig Jahre galt er dort als „der SPD-Sozialexperte“. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Rudolf Dreßler wurde „Beton-Sozi“ genannt, lehnte die Hartz-Reform ab und haderte auch sonst manchmal mit seiner SPD. Als Botschafter in Israel prägte er eine feste Formel deutscher Nahostpolitik. Jetzt ist er gestorben.

Von Jan Bielicki

Über Rudolf Dreßler haben sich viele geärgert, bei der politischen Konkurrenz ohnehin, aber gerade auch in der eigenen Partei. „Beton-Sozi“ wurde er genannt, „Traditionslinker“ oder „Sozial-Monopolist“. Es war alles nicht schmeichelhaft gemeint damals in den Neunzigerjahren, als sich die Sozialdemokratie ganz neu erfinden und „Neue Mitte“ sein wollte statt gute alte Linke.

Der streitbare Bundestagsabgeordnete aus Wuppertal stand da im Weg. Die Chardonnay-Linken aus der Toskana-Fraktion waren ihm immer suspekt, allen voran sein Kanzler Gerhard Schröder, der sich mit Zigarre und in Brioni-Zwirn als Genosse der Bosse inszenierte. Das war nicht Rudolf Dreßlers Welt, und das war nicht sein Stil.

So gut wie er kannte sich allenfalls noch Norbert Blüm im deutschen Sozialrecht aus

Der gelernte Schriftsetzer, Sohn sozialdemokratisch orientierter Gasthofbetreiber, kam aus der Gewerkschaft, genauer aus der einstigen IG Druck und Papier, die sich in der alten Bundesrepublik als kämpferische Speerspitze der Arbeiterbewegung verstand. Und er war durch und durch Sozialdemokrat, auch wenn er im Laufe seines Lebens immer mehr an seiner Partei zweifelte und bisweilen auch an ihr verzweifelte.

1980 kam er in den Bundestag, zwanzig Jahre galt er dort als „der SPD-Sozialexperte“ – und das mit Recht. Kaum jemand kannte sich so gut aus wie er in den feinen Verästelungen des deutschen Sozialrechts, allenfalls sein politischer Gegenspieler und persönlicher Freund Norbert Blüm. Mit dem CDU-Arbeitsminister lieferte sich Dreßler, der ein mitreißender Redner sein konnte, hitzige Rededuelle im Bundestagsplenum – etwa über die Karenztage bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, damals wie noch heute ein umstrittenes Thema. Doch ist erst dem konfliktreichen Zusammenwirken beider zu verdanken, dass es eine Pflegeversicherung gibt.

Einer der wenigen Sozialdemokraten, die den Abgang Lafontaines bedauerten

Als die SPD 1998 an die Macht kam, hatte der Modernisierer Schröder keinen Platz im Kabinett für den beinharten Verteidiger des Sozialstaats und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, die damals noch eine Macht war in der SPD.  Dreßler erfuhr das aus der Zeitung, „charakterlich unakzeptabel“ nannte er Schröders Vorgehen. Dessen mit der Einführung von Hartz IV verbundene Sozialreformen hielt er bis zuletzt für ursächlich für den Niedergang der SPD.

Für ihn selbst blieb der Botschafterposten in Israel, einem Land, dem er während seiner politischen Karriere stets eng verbunden war. Hier prägte er eine Formel, die heute nach dem Terrorangriff der Hamas und dem Krieg in Gaza auf der Probe steht: „Die gesicherte Existenz Israels“ sei „Teil unserer Staatsräson“, so schrieb er als Erster.

Dreßler gehörte zu den wenigen Sozialdemokraten, die den Abgang des Schröder-Rivalen Oskar Lafontaine bedauerten, er hielt Kontakt zu dem Abtrünnigen auch noch, als dieser als Linker die SPD bekämpfte – so weit, dass er zuletzt auch zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs von Sahra Wagenknecht gehörte, die Waffenhilfe an die Ukraine einzustellen. 2007 hat er sogar selbst erwogen, die SPD zu verlassen. Doch er blieb Sozialdemokrat.

„Der aufrechte Gang aber war stets sein Wegbegleiter“, so hat er in einem Nachruf auf seinen Freund Norbert Blüm geschrieben. Jetzt ist Rudolf Dreßler mit 84 Jahren auch gestorben.

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