Ruanda:Fünf Sprachen für einen Völkermord

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Die Verbrechen in Ruanda beschäftigen weltweit viele Gerichte. Eine Rolle spielt auch das Gewissen der Europäer.

Von Ronen Steinke, München

Es kann einem schwindelig werden angesichts der vielen Gerichte weltweit, die sich gleichzeitig mit dieser Sache befassen. Der Völkermord, der sich 1994 im ostafrikanischen Ruanda zutrug und dessen Folgen die Region noch heute heimsuchen, wird in fünf Ländern verhandelt, in fünf Sprachen, teils Hunderte, teils Tausende Kilometer entfernt. Das ruandische Grauen wird an mehr Orten juristisch verhandelt als je ein Massenverbrechen zuvor. Das hat politische Gründe.

Den Anfang machte vor zwanzig Jahren der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als er ein UN-Tribunal eigens für Ruanda schuf, mit Sitz in der tansanischen Hauptstadt Arusha und in Den Haag. Warum Ruanda, warum nicht auch ein Tribunal für Äthiopien, El Salvador oder Myanmar?, fragten damals Kritiker. Ausschlaggebend war eine schwere Blamage der UN. In Ruanda hatten Blauhelm-Soldaten aus nächster Nähe zugesehen, wie die Mörder loszogen, ähnlich war es kurz zuvor im zerfallenden Jugoslawien gewesen. Die internationale Gemeinschaft, die so offensichtlich an ihrem Anspruch gescheitert war, die Menschen zu beschützen, schickte beide Male etwas hinterher, das Beobachter als Versuch einer Entschädigung wahrnahmen: Strafermittler, die zwar zu spät kamen, um noch Unrecht abzuwenden, es aber zumindest im Nachhinein mit den Mitteln des Rechts gerade rücken sollten.

Rasch zog Ruanda selber nach. Anders als in Deutschland nach 1945 hatte die Nachkriegsregierung dort kein Personal des alten Regimes übernommen. Ganz im Gegenteil, sie war von Angehörigen der Opfer-Gruppe dominiert - der Volksgruppe der Tutsi -, die eine gründliche Bestrafung der Täter wünschten. Die neuen Herrscher entdeckten zugleich die Chance, ihren Platz in den Geschichtsbüchern zu gestalten. Diese neuen Herrscher waren jene Kämpfer, die 1994 die mordenden Hutu-Extremisten in die Flucht geschlagen hatten, dabei aber auch ihrerseits Zehntausende Unschuldige töteten. Die Gerichte sollten dieses Bild nun korrigieren. Die edle Erscheinung als Retter sollte rein bleiben. Ruandas Politik steuerte die Ermittlungen.

Sehr zum Ärger der ruandischen Regierung mischten sich in den 2000er Jahren auch noch Europäer ein. Belgische, niederländische, französische und deutsche Generalstaatsanwaltschaften wurden ebenfalls aktiv, teils um die eigene politische Mitschuld ihrer Länder in Ruanda aufzuarbeiten. Ruanda war bis 1994 ein Lieblingskind der westlichen Entwicklungshilfe gewesen, das Hauptgeberland war Frankreich, gleich dahinter folgte Deutschland, die einstige Kolonialmacht. Als das Morden losging, griff Frankreich unrühmlich ein - es schützte die Völkermord-Miliz FDLR und ermöglichte es ihr, sich zum Ende des Krieges über die Grenze in den Ostkongo hinüberzuretten. Die Folge: Dort schwärt der Konflikt bis heute. Jüngst fällte Frankreichs Justiz ein Urteil pünktlich zum 20. Jahrestag des Völkermordes - und nutzte es zu selbstkritischen Worten.

Das Völkerrecht erlaubt es jedem Staat, Menschheitsverbrecher zu verfolgen, egal wie nah oder fern. Geht es um die Verfolgung schwerster Taten - Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Angriffskrieg - hat niemand ein Monopol. Auf die hartnäckigen Bitten der ruandischen Regierung hin, die Verdächtigen doch ihr zu überlassen, haben Europas Regierungen meist geantwortet: Das sei nicht möglich. Die rechtsstaatlichen Standards in Ruanda reichten nicht aus. So hat es auch Deutschland gehalten - und Ruander, die sich am Völkermord, vor allem aber am daraus folgenden Konflikt im Ostkongo beteiligten, in symbolischen Prozessen selbst angeklagt.

Dennoch hat Ruandas Regierung Wege gefunden, um Einfluss zu nehmen - sowohl auf die Ermittlungen bei den UN als auch in Europa. Denn allein Ruanda hat die Macht, Zugang zu Zeugen im eigenen Land zu verschaffen. Mit diesem Hebel hat die Regierung jeden Versuch der UN-Justiz sabotiert, Ermittlungen gegen Tutsi in Gang zu bringen. Auch die deutsche Generalbundesanwaltschaft, die nun in Stuttgart bereits ihren dritten Ruanda-Prozess zu Ende bringt, hat nur ermitteln können, weil "Zeugenvermittler" der ruandischen Regierung ihr zur Seite standen und über die Schulter sahen.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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