Süddeutsche Zeitung

Ruanda:Ein Vierteljahrhundert später

Mit einer hunderttägigen Staatstrauer gedenkt das afrikanische Land der Opfer des Genozids 1994. Bundesaußenminister Heiko Maas plädiert für globale Krisenprävention.

In Ruanda hat am Sonntag eine hunderttägige Staatstrauer begonnen. Paul Kagame, der Präsident des afrikanischen Landes, entzündete in der Hauptstadt Kigali eine Kerze zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes vor 25 Jahren.

Nach dem Genozid habe es "keine Hoffnung gegeben", sagte Kagame, "aber die Arme unserer Menschen haben geholfen, die Nation wieder aufzubauen." Die Widerstandsfähigkeit und der Mut der Überlebenden repräsentierten den "ruandischen Charakter in seiner reinsten Form". An der Gedenkfeier nahmen zahlreiche internationale Gäste teil, darunter EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der sagte, das Gedenken an die Opfer habe ihn zutiefst berührt. Deutschland wird durch Altbundespräsident Horst Köhler vertreten.

Auslöser für die Mordkampagne war der Abschuss der Präsidentenmaschine

Beim Völkermord in Ruanda 1994 töteten Vertreter der Hutu-Mehrheit etwa 800 000 Angehörige der Tutsi-Minderheit sowie gemäßigte Hutu. Die Massaker hatten begonnen, nachdem am Abend des 6. April das Flugzeug von Präsident Juvénal Habyarimana abgeschossen wurde. Alle Insassen starben. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Hutu-Extremisten beschuldigten seinerzeit die im Exil gegründete Tutsi-Rebellengruppe Ruandische Patriotische Front (RPF), die ihrerseits die Tat bestritt. Auf den Tod des Hutu-Präsidenten folgte eine präzise organisierte, landesweite Mordkampagne, befeuert durch Hassreden im Radio. Die Massaker wurden erst nach rund 100 Tagen beendet, als die RPF mit Paul Kagame an der Spitze aus Uganda einmarschierte. Dem heutigen Präsidenten, der zuletzt 2017 mit 98,63 Prozent der Wahlstimmen im Amt bestätigt wurde, werfen Kritiker vor, das Land autoritär zu regieren und oppositionelle Stimmen zu unterdrücken.

Frankreich will dem Völkermord in Ruanda einen eigenen Gedenktag widmen. Dieser solle künftig am 7. April begangen werden, teilte der Élyséepalast am Sonntag mit. Frankreich wird immer wieder vorgeworfen, eine aktive oder passive Rolle bei der Vorbereitung und Ausführung des Genozids gespielt zu haben. Paris und Kigali hatten aufgrund der Vorwürfe in der Vergangenheit zwischenzeitlich ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen.

Paris und Kigali hatten nach dem Genozid zwischenzeitlich ihre Beziehungen abgebrochen

Bei den am Sonntag in Kigali begonnenen Gedenkfeiern lässt sich die französische Regierung von dem Parlamentsabgeordneten Hervé Berville vertreten, der aus einer Tutsi-Familie stammt. Präsident Emmanuel Macron sprach dem ruandischen Volk am Sonntag in einer Mitteilung seine Solidarität aus und äußerte sein Mitgefühl mit den Opfern und deren Angehörigen. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erinnerte an die mehr als 800 000 Opfer des Genozids und ihre Angehörigen. "Der Völkermord in Ruanda muss eine Mahnung für zukünftige Generationen sein", sagte Maas am Samstagabend in Berlin. "Im Frühjahr 1994 hat die Weltgemeinschaft die Warnzeichen des bevorstehenden Völkermords nicht rechtzeitig wahrgenommen." Heute habe sich das Instrumentarium der Krisenfrüherkennung und der Krisenprävention deutlich fortentwickelt. "Wir haben uns verpflichtet, genau hinzusehen, wenn sich Krisenanzeichen verdichten", sagte der Außenminister. Deutschland setze sich daher für einen umfassenden Ansatz in der Krisenprävention ein. Dies sei auch ein Schwerpunkt der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, der Trend zu hasserfüllter und spaltender Politik weltweit zeige, dass viele Politiker die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda außer Acht ließen. Es sei beschämend, dass diese nur direkt nach massiven Gräueltaten Gewissensbisse zeigten, aber dann bald zu ihrer hasserfüllten und entmenschlichenden Rhetorik zurückkehrten, sagte Generalsekretär Kumi Naidoo.

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SZ vom 08.04.2019 / SZ
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