Windkraftgegner lieben den Rotmilan. Die Anwesenheit des großen Greifvogels hat schon so manchen Rotor verhindert, denn er ist streng geschützt durch das Bundesnaturschutzgesetz und die EU-Vogelschutzrichtlinie. Und weil mehr als die Hälfte der weltweiten Rotmilan-Population in Deutschland brütet, ist er hier der Windradverhinderer Nummer eins unter den Vögeln. Denn schwebt er in der Luft und sucht unten Beute, übersieht er das sich vor ihm drehende Rotorblatt – und zack, wieder ein Rotmilan weniger. So weit die Theorie.
Die Praxis hat nun ein internationales Forscherteam geprüft. Seit elf Jahren fängt es in mehreren europäischen Ländern Rotmilane, insgesamt bereits mehr als 3000, und schnallt ihnen einen GPS-Sender auf den Rücken. Stirbt ein Vogel, wird er geborgen und die Todesursache untersucht. Jetzt hat das federführende Technische Büro für Biologie Raab aus Österreich die Ergebnisse der „Life Eurokite“-Studie vorgelegt: Demnach starben 8,3 Prozent der verendeten Rotmilane, die in Deutschland gefunden wurden, nach einer Kollision mit einem Windrad. Über alle beteiligten 26 Länder hinweg lag die Quote bei 3,8 Prozent.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) jubelt. „Der Rotmilan kann sehr gut mit dem Ausbau der Windenergie an Land koexistieren“, sagt Präsidentin Bärbel Heidebroek. Und verweist auf weitere Resultate: Häufigste Todesursache des Rotmilans in Deutschland sind Fressfeinde wie Uhu oder Habicht (41,3 Prozent). Es folgen Unfälle mit dem Schienenverkehr (11,6) und dem Straßenverkehr sowie ein „natürlicher Tod“ (beides 9,9). Wer den Rotmilan schützen wolle, sollte sich auf diese Gefahren konzentrieren, urteilt Heidebroek.
In Deutschland gilt die Population als stabil
Ministerien aus mehreren EU-Ländern, Dutzende Energie- und Windkraftunternehmen, Natur- und Tierschutzverbände unterstützen die Studie, die Europäische Union übernimmt 60 Prozent der Kosten von etwa 9,5 Millionen Euro. Projektleiter Rainer Raab sagt: „An der Datenlage gibt es keinen Zweifel mehr.“ Das war vor zwei Jahren anders, als Raab in der ZDF-Sendung „Frontal“ Zwischenergebnisse präsentiert hatte, die bereits die Richtung andeuteten. Ein Sturm der Empörung ging über die Forscher nieder. Sie erlebten, wie hochemotional die Debatte um Windräder geführt wird. Danach schwiegen sie, bis das Projekt abgeschlossen war.
Aufgrund der Energiekrise haben EU und Bundesregierung inzwischen Gesetze verändert, damit Anlagen trotz geschützter Vögel leichter genehmigt werden können. Im Zweifel muss ein Unternehmen einen Ausgleich zahlen, um anderswo ein Schutzgebiet für die Tiere zu finanzieren. Und trotz mehr als 28 000 Windrädern in Deutschland gilt die Population des Rotmilans als stabil, die Naturschutzorganisation Nabu schätzt die Zahl der Brutpaare auf 14 000 bis 16 000. Ist seine Rolle als Windkraftverhinderer nun am Ende? Nicht ganz.
Ute Eggers, Nabu-Referentin für Vogelschutz, sagt, dass langlebige Arten mit wenig Nachkommen wie der Rotmilan Verluste schlechter ausgleichen könnten und man deshalb an allen Stellen versuchen müsse, „den Druck auf diese Art nicht weiter zu erhöhen“. Zu bedenken sei auch, dass Windparks zu einer Verschlechterung des Lebensraums sowie zu Stör- und Scheuch-Effekten führen könnten. Wirklich schockierend indes findet Eggers die Haupt-Todesursache der Rotmilane in Frankreich sowie im Gebiet Österreich, Tschechien, Ungarn, Slowakei: Vergiftung durch den Menschen.