Einige Scheiben sind nur notdürftig geflickt, ansonsten sieht es schon wieder ganz manierlich aus im Hamburger Schanzenviertel. Das alternative Revier folgt nach dem Albtraum G 20 ansatzweise seinem Trott, am Sonntag war aufgeräumt worden. Mittendrin an der Kopfsteinpassage Schulterblatt steht nach wie vor dieses weinrot gestrichene Gebäude, um das seit diesem katastrophalen Wochenende heftig gestritten wird: die Rote Flora.
Das 1889 als Musikhaus und Theater eröffnete und seit 1989 besetzte Subkulturzentrum der Autonomen ist eine Attraktion im Schanzenviertel, eine Art Gegenmodell zur Elbphilharmonie in der glattgebügelten Hafencity. Touristen machen da gerne revolutionäre Fotos, noch heute sind an dem Bauwerk Parolen gegen den Gipfel zu lesen: "Welcome to hell" oder "Auf die Plätze, fertig, los".
Die Rote Flora war eine Keimzelle der Proteste, ihre Anführer waren die Köpfe der Höllendemo. In der Umgebung des Hauptquartiers lief die Randale dann in der Nacht von Freitag auf Samstag komplett aus dem Ruder: Polizisten wurden mit Flaschen und Molotowcocktails beworfen, Barrikaden wurden angezündet, Schaufenster eingeschlagen, Geschäfte geplündert. Jetzt prasseln politische Forderungen hernieder wie die gegenwärtigen sommerlichen Regengüsse: Die Rote Flora muss geschlossen werden!
Zwischendurch hieß es, die Flora könnte gestürmt werden
Während der Unruhen standen gerüstete Polizisten vor dem Refugium der Protestler, drinnen wurden Verletzte behandelt. Es hieß, die Flora könnte gestürmt werden. Der Angriff blieb aus, nun folgt die Offensive mit Worten. Die CDU verlangt eine Schließung der Anlage, in der gewöhnlich Konzerte, Partys und Debatten stattfinden, die CSU fordert eine gewaltsame Räumung. SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, selbst in der Kritik, will über Konsequenzen für die linksextreme Trutzburg nachdenken und warnt vor Schnellschüssen. Am Mittwoch will er sich vor der Bürgerschaft erklären. Sein ebenfalls umstrittener Innensenator Andy Grote gab bekannt, man müsse sich nicht nur mit Straftätern befassen, sondern auch mit Unterstützern, "und dazu gehört dann auch die Flora".
Die Rote Flora selbst hat nun angekündigt, es werde in den nächsten Wochen "eine selbstkritische Aufarbeitung der Ereignisse innerhalb der Szene" stattfinden." Die Forderung, das Zentrum zu schließen, weisen die Aktivisten zurück. "Wir sind radikal, aber nicht doof ... Flora bleibt", teilte das Flora-Plenum nach einer Sitzung am Mittwoch mit. Zu den Krawallen heißt es dort: "Emanzipatorische Politik bedeutet für uns nicht, Unbeteiligte in Angst und Schrecken zu versetzen." Es wird sogar eine Benefizveranstaltung für die Opfer erwogen. Scharfe Kritik äußerte das Plenum selbst am Hamburger Senat, der versuche, für das eigene Versagen einen Sündenbock zu finden. Dabei hätten Polizei und Politik die Eskalation geschürt.
Zuvor waren widersprüchliche Botschaften nach draußen gedrungen. Der Flora-Anwalt Andreas Beuth hatte erst verkündet, man habe "ja gewisse Sympathie für solche Aktionen", also die Krawalle, aber bitte nicht im eigenen Kiez, lieber in schicken Gegenden wie Blankenese oder Pöseldorf. Dann erkannte er sein Geschwafel und nannte die Zerstörung "sinnentleerte Gewalt".
So hatte das Desaster bereits der andere Flora-Sprecher bezeichnet, Andreas Blechschmidt. Er ahnte schnell, dass die Rote Flora nach Jahren relativer Ruhe wieder ein Politikum werden würde.
Sprecher Blechschmidt berichtet, viele Auswärtige seien da gewesen
Was haben die autonomen Hamburger zu den schlimmen Hamburger Tagen beigetragen? Blechschmidt argwöhnte nach der Schlacht, dass in jener Nacht wohl viele Auswärtige dabei gewesen seien. Man lehne es ab, wenn jemand versuche, einen Supermarkt oder Häuser in Brand zu setzen und Leben zu gefährden. Spricht man mit Vertretern der vornehmlich italienischen Kneipen gegenüber, so erzählen viele, dass sie in jener Feuernacht hauptsächlich Fremde gesehen und gehört hätten. Italienisch, Französisch, Griechisch, Schweizerdeutsch und so weiter. Unter den mutmaßlichen Tätern, die auf einem Dach und Gerüst Beamte attackierten und ein Spezialkommando auf den Plan riefen, sollen jedoch vier Russen und neun Deutsche gewesen sein - alle 13 sind frei, weil keine Haftbefehle beantragt wurden. "Wieso soll die Flora geschlossen werden", fragt ein Wirt. "Macht doch keinen Sinn." Er sei hier seit 15 Jahren, sein Laden habe nie einen Kratzer abbekommen. "Die haben nichts damit zu tun", sagt Veli Bejic, Mitbetreiber des Lokals Sessenta Due nebenan. Außerdem: "Die Flora gehört zur Schanze, zu unserer Kultur." Man findet auf die Schnelle kaum einen in diesem Dunstkreis, der will, dass diese Hochburg der ganz Linken geschleift wird. G 20 war an der Schanze deutlich unbeliebter, als es die Rote Flora ist. Alle Regierungen seit 28 Jahren ließen sie gewähren, links und rechts. Der SPD-Senat erwarb das Haus 2014 der Stadt, die Besetzer durften bleiben. Eine Online-Petition für eine Kita statt der Flora brachte am Dienstag zwar fast 6000 Stimmen, wurde jedoch eingestellt - "aus persönlichen Gründen", so der Initiator. Auf die Frage, ob die Flora im Falle einer Räumung verteidigt würde, antwortet eine Nachbarin: "Ja, klar."