Rot-Rot in Brandenburg:Alles im Fluss

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Nach der Entscheidung im Saarland ist es schwerer geworden für die Vorkämpfer rot-roter Machtoptionen. Da nützt auch die sich anbahnende rot-rote Koalition in Brandenburg nichts.

Thorsten Denkler, Berlin

Drei Buchstaben reichen, um den Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, über die Lage in Brandenburg zu unterrichten. "Top", simst ihm die Spitzenkandidatin und Fraktionschefin der Linken im Potsdamer Landtag, Kerstin Kaiser, aufs Handy. Die Übersetzung liefert wenig später SPD-Landeschef und Ministerpräsident Matthias Platzeck: Die SPD werde mit der Linken Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Ein für den Nachmittag geplanten letztes Sondierungsgespräch mit der CDU sei abgesagt worden.

Drei Chancen hat es nach der Bundestagswahl für eine rot-rote Regierungszusammenarbeit gegeben. In Thüringen will die SPD nicht, im Saarland wollen die Grünen nicht. In Brandenburg endlich scheint es klappen zu können. Es wäre neben Berlin die zweite amtierende rot-rote Koalition auf Landesebene.

Die Gründe für den Partnerwechsel liegen aus Platzecks Sicht auf der Hand, auch wenn er sich dazu noch nicht geäußert hat. Die CDU in Brandenburg hat sich in zehn Regierungsjahren als Juniorpartner der SPD zerschlissen. Personalquerelen und mit Johanna Wanka eine mehr geduldete als mächtige Landeschefin sprechen nicht für das, was Platzeck wichtig ist: Stabilität und Kontinuität.

Ihm kommt eine brandenburgische Linke entgegen, die eher gesetzt agiert. Marxistisch-leninistische Revolutionäre muss man woanders suchen.

Inhaltlich waren sich SPD und Linke in Brandenburg immer schon nah. Das Hauptargument gegen eine Koalition mit der Linken war die Stasi-Vergangenheit von Spitzenkandidatin Kaiser. Mit ihrem Verzicht auf ein Ministeramt hat sie dieses Hindernis selbst aus dem Weg geräumt - wohl um Personaldebatten von Anfang an zu verhindern, wie sie in Thüringen stattgefunden haben.

Platzeck hat jetzt die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass die SPD in solchen Bündnissen eher gewinnen kann, als wenn sie die Linke als Gegner behielte.

Das ist aber auch schon das einzige Signal, das von dieser Entscheidung für den Bund ausgeht. Im Osten sind solche Koalitionen längst Teil der politischen Kultur. In Sachsen-Anhalt hat sich ab 1994 zunächst eine rot-grüne, später eine SPD-Landesregierung von der Linken tolerieren lassen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde 1998 die erste rot-rote Koalition ausgerufen. Berlin folgte und nun wohl auch Brandenburg.

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Ein echtes rot-rotes Signal für den Bund ist das noch nicht. Dafür hätte es in einem alten Bundesland klappen müssen. Im Saarland aber haben sich am Sonntag die Grünen entschieden, mit CDU und FDP Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Fehlendes Vertrauen in das Personaltableau der Linken gilt als Hauptgrund für die deutliche Ablehnung eines Linksbündnisses.

Das ist durchaus nachvollziehbar. Linken-Chef Oskar Lafontaine hat in einer ersten Reaktion auf das Votum der Saar-Grünen derart beleidigt geholzt, dass kaum vorzustellen ist, wie er denn mit den Grünen je eine rot-rot-grüne Regierung hat anstreben können. Grünen-Landeschef Hubert Ulrich wirft er vor, seine Wähler und die Mitglieder der Grünen "getäuscht" zu haben. Er habe "kein Konzept" zur Lösung der Probleme im Saarland. Es werde sich jetzt eine "Koalition der Wahlbetrüger" bilden. Die Schmährede gipfelt in dem Vorwurf: "Zur erwiesenen Unfähigkeit der Regierung Müller gesellt sich ab jetzt die finanzpolitische Inkompetenz der Grünen."

Bei einigen Linken sind die Vorbehalte speziell gegenüber den Grünen mit der Entscheidung noch gewachsen. Die fragen sich: Wie soll mit einer Partei linke Politik gemacht werden, die in Hamburg mit der CDU regiert und - noch schlimmer - im Saarland mit der CDU und der verhassten FDP gemeinsame Sache machen will?

Die Reformer der Linken versuchen zu beruhigen. Stefan Liebich, einst Landeschef des pragmatischen Linken-Landesverbandes Berlin und seit der Bundestagswahl Abgeordneter des Bundestages, sagte zu sueddeutsche.de, es wäre "schön dumm", wenn die Linke nicht mit den Grünen in Kontakt bleibe. Der Grund ist einfach: Ohne die Grünen werde es wohl auf Dauer kein linkes Bündnis auf Bundesebene geben, sagt Liebich.

Auch Roland Claus, bis 2002 Fraktionschef der damaligen PDS im Bundestag, hält nicht viel davon, jetzt auf die Grünen einzudreschen. Obwohl er weder in Thüringen noch im Saarland Fehler im Verhalten der Linken erkennen könne, sollten die Grünen ihre Entscheidung jetzt erst mal "mit sich selber ausmachen".

Einig sind sich beide Reformer: Ein linker Politikwechsel 2013 ist jetzt nicht leichter geworden. Daran ändert auch ein mögliches rot-rotes Bündnis in Brandenburg nichts. Liebich sieht jetzt die Bundespartei der Linken und die Bundestagsfraktion in der Pflicht, den nötigen Annäherungsprozess an SPD und Grüne zu organisieren.

Die SPD will sich offenbar schon auf den Weg machen. Sie wolle sich jetzt als "linke Volkspartei erneuern", sagte der scheidende SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. In spätestens zwei Wochen soll ein Leitantrag für den Bundesparteitag Mitte November vorliegen. Von dem Papier wird ein gehöriger inhaltlicher Spagat verlangt: Einerseits soll er Kritikern der Agenda 2010 und der Rente mit 67 deutlich entgegenkommen. Andererseits darf er den neuen Fraktionschef und Agenda-Architekten Frank-Walter Steinmeier nicht beschädigen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welches Schicksal die Linkspartei ohne Gysi und Lafontaine ereilen könnte.

Die Linksfraktion ist da inhaltlich schon etwas weiter, wenn auch aus entgegengesetzter Richtung kommend. Das am Wochenende auf der Fraktionsklausur der Linken im brandenburgischen Rheinsberg beschlossene "Sofortprogramm" für die kommenden vier Jahre in der Opposition zeigt laut Liebich: "Wir werden keine Fundamentalopposition machen."

Das haben auch schon der Linken nahestehende Gruppen wie das Erwerbslosenforum Deutschland festgestellt. Dort habe das Sofortprogramm für "Irritation" gesorgt. Es fehlten zentrale Punkte aus dem Bundestagswahlprogramm der Linken, wie die Forderung einer sofortigen Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes auf 500 Euro oder die Einführung eines Mindest-Stundenlohns von zehn Euro.

Martin Behrsing, Sprecher des Forums, stellte vorsorglich fest, dass etwa ein Viertel aller Stimmen für die Linkspartei bei der Bundestagswahl von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten gekommen seien. "Dass diese zentralen Sofortforderungen jetzt nicht in einem Sofortprogramm berücksichtigt werden, ist für uns und wahrscheinlich viele dieser Wähler unverständlich", sagt Behrsing.

Mit derartigen Drohungen wird die Linke in Zukunft wohl öfter konfrontiert werden. Ex-Fraktionschef Roland Claus empfiehlt seiner Partei im Bund "nicht nur nein zu sagen, sondern zu sagen, wie denn ein anderes Europa aussieht, wie ein Mindestlohn konkret ausgestaltet werden kann, wie eine bedarfsorientierte Mindestsicherung aussehen kann". Er fordert eine inhaltliche Positionierung der Linken, die über die "Philosophie von Schlagworten und Headlines" hinausgeht. Die Linke habe in seinen Augen "noch nicht hinreichend klargemacht was wir wollen". In dem Prozess dürfte manch lieb gewonnene Forderung am Realitätstest scheitern.

Die Frage ist, wie die Wähler das finden. Zumal auf absehbare Zeit die beiden Silberrücken der Linken, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, das Feld räumen werden. Lafontaine hat am vergangenen Freitag den Anfang gemacht indem er auf den Fraktionsvorsitz im Bundestag verzichtete.

Die Grünen haben den Abgang ihres heimlichen Vorsitzenden Joschka Fischer unbeschadet überstanden, sie sind heute stärker denn je. Den Linken aber droht der Absturz, wenn Menschenfischer wie Lafontaine über kurz oder lang aus der ersten Reihe zurücktreten.

Stefan Liebich weiß, ohne Lafontaine wäre die Linke heute nicht zweistellig. Er hofft, dass sich die Linke im Parteiensystem inzwischen so etabliert hat, dass sie zu einer festen Größe links neben der SPD geworden ist. Ob nun mit Lafontaine oder ohne. Andererseits: "Wenn wir dann ohne Lafontaine auf acht Prozent zurückfallen, sind wir immer noch doppelt so stark wie früher als PDS."

Uneinig sind die Linken jetzt in der Frage, wie sie mit Lafontaines Vorschlag der doppelten Doppelspitze umgehen sollen. Lafontaine will Parteichef bleiben und wünscht sich eine Frau aus dem Osten an die Seite und für Fraktionschef Gregor Gysi eine Frau aus dem Westen.

Liebich ist dagegen. Er hält nichts von dieser Art der Frauenförderung und fände es besser, wenn Frauen erst dann kandidieren, wenn der Posten des Parteivorsitzenden zu vergeben ist. Kandidatinnen dafür gebe es genug.

Nicht mal die Frauen sind begeistert. Parteivorstandsmitglied und Bundestagsneuling Halina Wawzyniak schreibt in ihrem Blog: "Schon diese Einteilung in Ost und West finde ich falsch." Wenn die Linke wirklich die einzige Partei sei, bei der die Einheit vollzogen sei, dann könne und dürfe es auf Ost und West nicht mehr ankommen.

Sie stellt sich auch klar gegen die Mann/Frau-Doppelspitze für Partei und Fraktion: "Ich halte sie für reine Symbolpolitik, die Frauen nicht wirklich hilft." Neben "zwei so dominanten Herren" wie Lafontaine und Gysi werde "jede Frau eher als Beiwerk wahrgenommen", als dass sie wirklich was zu sagen hätte.

Der Linken steht jetzt also erst mal eine ausgiebige Personaldebatte ins Haus, bevor sie im Mai 2010 zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommt. Wenig später wird in Nordrhein-Westfalen der Landtag neu gewählt. Das könnte dann die letzte Chance vor der Bundestagswahl 2013 sein, ein Linksbündnis im Westen zu etablieren.

Besonders groß ist die nicht. Ex-Fraktionschef Roland Claus jedenfalls hält NRW "für einen ausgesprochen großen Brocken". Er würde nicht die Messlatte so hoch hängen, dass dort nur eine Regierungsbeteiligung als Erfolg gewertet werden könne. Lieber solle die Partei jetzt die Zeit nutzen, sich im Bund auf die Regierungsübernahme 2013 vorzubereiten. Dafür sei ja jetzt Zeit genug.

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