Es konnte der Empörung eigentlich nie genug sein. Wann immer zuletzt die Vorbereitung von Rüstungsdeals mit Staaten wie Saudi-Arabien öffentlich wurde, waren SPD und Grüne verlässlich zur Stelle. "Angela Merkel muss endlich aufhören, Waffen und Rüstungsgüter in instabile Krisenregionen zu exportieren", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles Anfang Dezember, als der Spiegel über eine Anfrage des Königreichs für mehrere Hundert gepanzerte Fahrzeuge des Typs Boxer berichtet hatte.
Und als die Bild am Sonntag kürzlich meldete, Saudi-Arabien sei an deutschen Patrouillenbooten interessiert, empörte sich Grünen-Chefin Claudia Roth: "Offenbar hat sich die Regierung Merkel vorgenommen, vor ihrer Ablösung im Herbst noch möglichst viele schmutzige Rüstungsdeals abzuwickeln."
Kaum ein Thema ist derzeit zwischen Opposition und Regierung so umstritten wie die Rüstungsexportpolitik. SPD, Grüne und die Linke werfen der schwarz-gelben Koalition vor, angesichts schrumpfender Verteidigungsetats in Deutschland und Europa Bedenken etwa beim Thema Menschenrechte hintanzustellen, um der deutschen Rüstungsindustrie Absatzmärkte im Rest der Welt zu öffnen. Die Frage ist bloß: War es unter Rot-Grün so viel besser?
Die Debatten jedenfalls klangen damals ähnlich. "Ohne mit der Wimper zu zucken, werden deutsche Kleinwaffen auch an problematische Staaten geliefert", beklagte im Frühjahr 2005 ein FDP-Abgeordneter. Auch von den Kirchen kamen mahnende Worte: Berlin lasse viel zu viele Waffen in Entwicklungsländer und Spannungsgebiete oder an autoritäre Regime liefern, stellte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung fest. Verkehrte Welt?
Von Exportexplosion unter Schwarz-Gelb kann nicht die Rede sein
Näheren Aufschluss bieten die Zahlen, aussagekräftig sind vor allem Genehmigungen für Lieferungen in Drittländer, also in Staaten, die weder in der EU noch in der Nato sind und (anders als etwa Australien und Japan) auch nicht als der Nato gleichgestellt behandelt werden. So wurden im Jahr 2011 unter Schwarz-Gelb laut Rüstungsexportbericht der Regierung Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Drittländer im Wert von 2,3 Milliarden Euro erteilt. Im Jahr zuvor waren es knapp 1,4 Milliarden.
Zum Vergleich: Unter Rot-Grün wurden laut Exportbericht 2003 Einzelgenehmigungen für Ausfuhren in Drittländer im Wert von 1,6 Milliarden Euro erteilt, während die entsprechenden Werte für die Jahre 2004 und 2005 (dem Endpunkt von Rot-Grün) bei gut einer und knapp 1,7 Milliarden Euro lagen. Den Rekordwert stellte die große Koalition im Jahr 2008 mit Drittländer-Genehmigungen im Wert von 3,1 Milliarden Euro auf. Damals wurde die Ausfuhr von U-Booten und allerlei Marinebauteilen im Wert von etwa 1,5 Milliarden Euro nach Südkorea genehmigt.
Der Trend einer Exportexplosion unter Schwarz-Gelb lässt sich mit diesen Zahlen jedenfalls nicht belegen. Und Saudi-Arabien? Während unter Schwarz-Gelb 2011 Genehmigungen über Ausfuhren im Wert von knapp 140 Millionen und 2010 sogar über 152 Millionen Euro erteilt wurden, setzte auch hier die große Koalition den Spitzenwert mit gut 170 Millionen im Jahr 2008. Rot-Grün blieb dahinter zwar zurück, doch 2004 wurden immerhin Genehmigungen über Ausfuhren nach Saudi-Arabien im Wert von fast 59 Millionen Euro erteilt - darunter Teile für Patrouillenboote, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Gewehre, Maschinenpistolen, Munition. Im Jahr zuvor waren es mehr als 43 Millionen gewesen. Die Geschäfte mit den Scheichs gingen also auch damals schon ziemlich gut.
Im Rückblick konstatiert der ehemalige Grünen-Fraktionsvize Winfried Nachtwei: "Saudi-Arabien war auch unter Rot-Grün ein wunder Punkt. Da ging es vor allem um erhebliche Mengen Kleinwaffen." Die wiederum lassen sich besser gegen die eigene Bevölkerung einsetzen als etwa Boxer. "Damals wurde das Argument, man unterstütze mit solchen Lieferungen den Kampf gegen den Terrorismus, leider zu einem Türöffner", so Sicherheitsexperte Nachtwei.
Auch Jürgen Trittin erlaubte sich kürzlich einen selbstkritischen Blick zurück: Die Rüstungslieferungen unter Rot-Grün an Saudi-Arabien seien "falsch" gewesen. Die Sozialdemokratin Heidemarie Wieczorek-Zeul wiederum, damals (wie auch in der großen Koalition) Entwicklungsministerin, sagt: "Natürlich hat es auch unter der rot-grünen Bundesregierung umstrittene und kritische Entscheidungen gegeben. Aber die Exportpolitik der jetzigen Regierung ist damit nicht vergleichbar."
Winfried Nachtwei hingegen resümiert: "Die rot-grüne Exportpolitik war in der Tat kein Ruhmesblatt." Es habe in der Koalition immer wieder die "Auseinandersetzung zwischen einer sich als weitsichtig verstehenden Sicherheitspolitik und kurzfristiger Interessenpolitik" gegeben.
Bei den Themen Türkei, China und Irak krachte es innerhalb der Koalition
Die Differenzen aber wurden zumindest offen ausgetragen. Bereits 1999 gab es die erste schwere Krise, weil die Grünen gegen den Beschluss des Bundessicherheitsrats Sturm liefen, der Türkei einen Leopard-Panzer zu Testzwecken zu überlassen. Beliebtes Thema waren auch Forderungen des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder, das EU-Waffenembargo gegen China aufzuheben. Und im Herbst 2004 krachte es, als der Sicherheitsrat die Lieferung von 20 Transportpanzern des Typs Fuchs an den Irak beschlossen hatte.
Vor allem Schröder zeigte sich tendenziell offen für die Interessen der Industrie, Nachtwei nennt die SPD im Nachhinein "verlässlich unkooperativ und exportorientiert". Immerhin können sich die Vertreter des damaligen Regierungsbündnisses zugute halten, dass die noch heute gültigen "Politischen Grundsätze für den Export von Rüstungsgütern" auf sie zurückgehen.
Wenn Rote und Grüne sich nun allerdings für Transparenz starkmachen, sollten sie sich kurz daran erinnern, wie es schon lief, als sie noch regierten: "Als Parlamentarier wurden wir von den Regierungen beim Thema Rüstungsexporte so entmündigt gehalten wie nirgendwo sonst", so erinnert sich Nachtwei. Selbst bei Einsätzen der Elitetruppe KSK habe er "mehr Einblicke" gehabt. Und Wieczorek-Zeul sagt: "Eine meiner Schlussfolgerungen aus meiner Zeit in der Regierung ist, dass die Exportpolitik durch ein parlamentarisches Gremium kontrolliert werden muss."