Romneys schwieriges Verhältnis zur Religion:Wieso der Kandidat über seinen Glauben schweigt

Mitt Romney ist Mormone, doch im Wahlkampf vermeidet er kein Thema konsequenter als seine Religion. Dabei gäbe es für den Republikaner gute Gründe, mehr über seinen Glauben zu sprechen.

Matthias Kolb, Salt Lake City

Die Strategie ist einfach und oft wirkungsvoll. Wenn sich Reporter an die Wahlkampfzentrale des Republikaners Mitt Romney mit Fragen zur Religiosität des Mormonen wenden, greifen die Bostoner PR-Leute zur Methode Replace with. "Wir prüfen, ob eine ähnliche Geschichte auch über eine andere Religion geschrieben würde, in dem wir 'Mormone' durch 'Jude' ersetzen", teilte Andrea Saul der Washington Post mit. Die Sprecherin macht deutlich, dass sie solche Anfragen als ebenso unredlich wie unnötig betrachtet: Würde der Journalist etwa über einen jüdischen Kandidaten schreiben: "Juden glauben, dass Moses Steintafeln übergeben wurden, nachdem ihm Gott in einem brennenden Busch erschienen war?"

To match Special Report CAMPAIGN/ROMNEY-FRANCE

Der Mormone Mitt Romney versucht bisher, seine religiösen Ansichten aus dem US-Wahlkampf herauszuhalten.

(Foto: REUTERS)

Es stimmt: Anhänger jeder Religion glauben an Propheten, Heilige und Wunder, die wissenschaftlich kaum zu erklären sind. Mormonen sind überzeugt, dass Gott den Engel Moroni nach Amerika schickte, um Joseph Smith den Weg zu mehreren goldenen Platten zu weisen. Smith übersetzte das "neue Evangelium" und veröffentlichte es 1830 als "Buch Mormon" - also vor gerade mal 182 Jahren.

Dennoch wundern sich Wähler und Polit-Beobachter seit Monaten, dass Romney kaum über seinen Glauben spricht. Natürlich wissen er und seine Berater, dass viele Evangelikale, eine wichtige Wählergruppe der Republikaner, von einem "Kult" sprechen, während die meisten Amerikaner nur geringe Kenntnisse über die Kirche haben und skeptisch sind: Ungefähr jeder fünfte Bürger kann sich laut Gallup nicht vorstellen, einen Mormonen ins Weiße Haus zu wählen - seit 1967 ist der Wert gleich. Aktuelle Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass die Vorbehalte unter Anhängern der Republikaner umso stärker zurückgehen, je näher die Wahl rückt.

Religion als Schlüssel zum Verständnis von Romney

Dabei ist Mitt Romney als Person nur schwer zu durchschauen, wenn man dessen Religiosität nicht berücksichtigt. Für den Kolumnisten Frank Rich vom New York Magazine ist der Glaube der "Schlüssel" zum Verständnis des Obama-Herausforderers. Rich argumentiert in seinem Essay "Who in God's name is Mitt Romney?", dass dem Republikaner die Zurückhaltung eher schade: Der 65-Jährige, der aus einer Mormonen-Dynastie stammt, müsse nicht über Glaubenslehren sprechen, sondern vielmehr beschreiben, wie die Religion den Alltag präge - über den Verzicht auf Alkohol, Tee und Kaffee hinaus.

Romney ist ein Familienmensch, er investierte in den achtziger Jahren viel Zeit in sein Laienamt als Bishop in einer Bostoner Gemeinde, kümmerte sich um Menschen aus allen sozialen Schichten, spendet Millionen und geht sonntags zum Gottesdienst - alles Punkte, die in der ziemlich religiösen US-Wählerschaft positiv wirken und ihm helfen könnten, sein Millionärs-Image abzustreifen und ihm eine menschliche Seite zu geben. Sogar Romneys Arbeitseifer und Reichtum lassen sich laut einem Magazin auf den Glauben zurückführen.

Das Romney-Lager weist jedoch stur darauf hin, dass der Kandidat bereits im Dezember 2007 eine Grundsatzrede über seinen Glauben gehalten hat (nachzulesen und nachzuhören bei NPR), in der er betonte: "Ich definiere meine Kandidatur nicht durch meine Religion. Eine Person sollte weder wegen ihres Glaubens gewählt noch abgelehnt werden." Im Beisein von Ex-Präsident George Bush (Senior) versicherte Romney damals, dass die Kirchenoberen sein Handeln als Präsident nicht beeinflussen würden. An dieser Position habe sich nichts geändert, weshalb weitere Worte überflüssig seien, argumentiert Boston.

Die aktuelle Situation stellt auch die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (LDS-Kirche) vor Herausforderungen: Seit Monaten reisen Korrespondenten aus dem In- und Ausland nach Utah, um mehr über den Alltag der Mormonen zu erfahren (siehe auch diese Süddeutsche.de-Reportage). Doch anders als bei Olympia 2002 kommen nun keine Sportreporter, sondern Politjournalisten - und die würden gerne erfahren, was die Gläubigen und die Kirchenoberen darüber denken, dass ein Mormone ins Weiße Haus einziehen könnte.

Die Kirche beschäftigt allein in Salt Lake City 35 PR-Leute, die Journalisten auf Schritt und Tritt begleiten und auf der Website Mormon Newsroom in ihren Augen falsche Informationen korrigieren, doch Fragen, ob Romneys Kandidatur nicht auch eine Riesenchance sei, werden abgeblockt. "Unser Ziel ist es, den Menschen mehr über unsere Kirche beizubringen, damit sie besser verstehen, wer wir sind", erklärte Kommunikationsdirektor Michael Purdy der Salt Lake Tribune. Dabei steckt die Kirchenspitze der Zeitung zufolge in einer Zwickmühle: Romneys Nominierung bringt viel Aufmerksamkeit, doch zugleich möchte sie weder aggressive PR machen, noch ihr Image zu stark mit dem Politiker verknüpfen.

Glaube an die Ausnahmestellung Amerikas

John Dehlin, Gründer des kritischen Podcasts mormonstories.org, kann die Zurückhaltung der Kirche verstehen. Dehlin, der im Alter von 32 Jahren an seinem Glauben zu zweifeln begann, hat auch eine These, die Romneys Schweigen erklärt: "Es ist unmöglich, nur über die guten Seiten seiner Kirche zu reden. Es wirkt sicher auf viele seltsam, dass Romney so verschlossen ist. Aber Offenheit ist viel riskanter."

Dabei gehe es weniger um das Reizthema Polygamie (die Kirchenspitze hat die Vielehe 1890 verboten), sondern etwa um die strikte Haltung der Mormonen zu Homosexualität (die LDS-Kirche investierte 2008 Millionenbeträge, um die Homo-Ehe in Kalifornien zu verhindern) oder die Tatsache, dass Afroamerikaner erst seit 1978 Priester werden dürfe. "Diese reaktionäre Lehre hat der junge Mitt Romney als Missionar in Frankreich verbreitet", meint der 42-Jährige.

Auch im "Buch Mormon", das für die Mormonen heiliger ist als die Bibel, stünden brisante Passagen. Demnach kamen die Ureinwohner Amerikas mit einem Boot aus Israel, wo sie sich vermehrten. Als einige von ihnen, so heißt es weiter, böse wurden, kennzeichnete sie Gott mit einer dunkleren Hautfarbe. "Die Bösen töteten alle Weißen, weshalb Christoph Kolumbus nur auf Dunkelhäutige stieß", berichtet Dehlin, bevor er fragt: "Wie würden die Millionen Latinos reagieren, wenn sie erfahren, dass ihr künftiger Präsident denkt, ihre Hautfarbe sei die Folge eines göttlichen Fluchs?"

Dies sei nur eines von vielen Beispielen, weshalb Romney kein Interesse daran haben kann, dass ausführlich über seinen Glauben gesprochen wird und deswegen auch über die guten Seiten schweigt. Kritische Mormonen wie John Dehlin oder die Autorin und Bloggerin Joanna Brooks freuen sich über das Medien-Interesse: "Die LDS-Kirche hat sich bisher wie ein Teenager benommen und die Aufmerksamkeit kann ihr helfen, erwachsen zu werden." Dehlin wünscht sich deshalb einen Wahlsieg Romneys: "Er soll bis 2020 regieren, damit die Welt möglichst lange auf ihn und die Vorgänge am Temple Square schaut."

Dehlin hält den Wunsch der Öffentlichkeit, dass Romney seine Haltung zu den Lehren der Kirche äußert, für legitim, da dies auch seine Politik beeinflussen könnte. Nicht ohne Grund trage die Kirche den Zusatz "der Heiligen der Letzten Tage", erklärt Dehlin: "Wenn Romney glaubt, dass das Himmelreich bald kommt, dann wird er eine andere Umwelt- und Energiepolitik verfolgen, als wenn er davon ausgeht, dass die Menschen noch Tausende Jahre den Planeten bevölkern werden."

Im britischen Guardian weist Martin Kettle darauf hin, dass Romney davon überzeugt ist, dass die USA das von Gott auserwählte Land seien. Für Mormonen basierten auch die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung auf göttlicher Inspiration. Es sei also nicht auszuschließen, dass die Außenpolitik eines Präsidenten Mitt Romney von Gedanken eines göttlichen Auftrags durchdrungen sein könnte. Ähnlich argumentierte jüngst Michelle Boorstein in der Washington Post: Die Wahlkampfauftritte des Republikaners seien zutiefst durchdrungen von der Überzeugung des American Exceptionalism, also der amerikanischen Ausnahmestellung, was typisch für Mormonen sei.

In aller Klarheit: In seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts zwischen 2002 und 2006 gab es keine Vorfälle, die darauf hindeuteten, dass sich Mitt Romney allzu sehr von seinem Glauben leiten ließ - anders als George W. Bush, der den Einmarsch in den Irak auf einen Befehl Gottes zurückführte. Da die Religionsfreiheit im ersten Verfassungszusatz garantiert ist, ist nicht damit zu rechnen, dass das Obama-Lager die obigen Fragen thematisieren wird - viele Konservative werfen den Demokraten schon jetzt vor, einen "Krieg gegen die Religion" zu führen. Romneys Glaube sei "tabu", erklärte Obamas Kommunikationsdirektor David Axelrod bereits vor mehreren Wochen.

Wegen der Brisanz des Religion-Themas wurde im Washingtoner Medienzirkus aufmerksam registriert, dass eine AP-Reporterin mit der Romney-Großfamilie in deren Ferienwort Wolfesboro (mehr in dieser Bildstrecke) einen Mormonen-Gottesdienst besuchen und detailliert berichten konnte. Es bleibt abzuwarten, ob Obama-Herausforderer Romney auch in dieser Frage eine 180-Grad-Wende vollzieht oder ob er bei seiner "Religion ist Privatsache"-Linie bleibt. Im Herbst hatte ein Berater dem Insider-Blatt Politico verraten, wie das Team im Falle eines Angriffs durch die Gegenseite reagieren wolle: "Wer dieses Thema anspricht, dem heften wir das Siegel des 'religiösen Eiferers' an." Und dieses Label kann im US-Wahlkampf keiner riskieren.

Linktipps:

Eine 60 Minuten lange BBC-Reportage über Mitt Romney unter dem Titel "The Mormon Candidate" ist bei Youtube verfügbar.

In einer Studie der Denkfabrik Brookings Institution wird argumentiert, dass die Religion dem Kandidaten Mitt Romney bei der Wahl kaum schaden dürfte - die Wut der konservativen Amerikaner auf US-Präsident Barack Obama überwiege.

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