Romneys Kandidat für die Vizepräsidentschaft:Auf der Suche nach der Anti-Palin

Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen im US-Wahlkampf: Jeder Präsidentschaftskandidat muss einen Bewerber für das Amt des Vizepräsidenten benennen. Die richtige Person kann einer Kampagne frischen Schwung geben, die falsche enormen Schaden anrichten, wie John McCains Entscheidung vor vier Jahren bewies. Daraus hat Romney gelernt.

Christian Wernicke, Washington

Seit Tagen bemüht Mitt Romney einen Unbekannten, um Spenden einzutreiben. "Spende heute drei Dollar", so verspricht der republikanische Präsidentschaftskandidat seinen Anhängern per E-Mail, "dann hast Du eine Chance, demjenigen, den ich als meinen VP auswähle, und mir zu begegnen."

Mitt Romney

Wer soll's machen? Mitt Romney hat noch nicht verkündet, wer sein Vize werden soll. Von der Entscheidung kann sein Erfolg abhängen.

(Foto: AP)

VP - lautsprachig: "Wie-Pie" - steht für Vice President und meint jenes (in der US-Geschichte bisher ausschließlich männliche) Wesen, das laut Verfassung so gut wie nichts zu sagen hat - dem aber im Falle eines jähen Ablebens des Staatsoberhauptes alle Verantwortung zufällt. Amerikaner beschreiben diese Rolle im Wartesaal der Macht so: Der VP lebe "nur einen Herzschlag von der Präsidentschaft entfernt".

Wann, wo und vor allem wen konservative Spender "bei einem Ereignis in der Zukunft" da treffen werden, lässt die Bettel-Mail offen. Unter Washingtons politischen Beobachtern schürt die Nachricht jedoch Spekulationen, der Republikaner wolle seinen Stellvertreter-Kandidaten noch im Juli vorstellen.

Solcherlei Ablenkung käme Romney gelegen: Zuletzt waren die Demokraten beängstigend erfolgreich darin, die Geschäftsmethoden und Vermögensverhältnisse des Ex-Managers ins Zentrum allen Wahlkampfs zu rücken. Der VP wäre, wenigstens vorerst, ein medialer Befreiungsschlag.

Die Wahl des zweiten Manns ist allein das Privileg des designierten Spitzenkandidaten - aber die Auswahlkriterien sind alle vier Jahre dieselben. Erstens Herkunft: Ein populärer Vize aus einem umkämpften Bundesstaat wie Ohio, Michigan oder Florida könnte Romney helfen, die nötige Mehrheit im Wahlmännergremium zu ergattern. Nur geht diese Rechnung selten auf. Wirklich wahlentscheidend war zuletzt 1960 John F. Kennedys Schachzug, den Texaner Lyndon B. Johnson zu seinem Vize zu nominieren.

Wahl des Stellvertreters ist ein Charaktertest

Kaum erfolgreicher waren - zweites Auswahlkriterium - Versuche, mit dem Vize gezielt bestimmte Wählergruppen zu umgarnen: Geraldine Ferraro machte 1984 keinen Unterschied als erste weibliche Vize in spe, und auch die Nominierung von Joe Lieberman als erstem Juden auf einem Präsidentschaftsticket im Jahr 2000 half Al Gore wenig. Die Demokraten verloren beide Male. Mitt Romney, so die Gerüchte, hat daraus gelernt und offenbar die fixe Idee verworfen, mit der Vize-Kür des Jung-Senators Marco Rubio, einem Kind kubanischer Exilanten, die US-Latinos umwerben zu wollen.

Drittens bedeutet die Wahl seines Stellvertreters für jeden möglichen Präsidenten in spe selbst einen Charaktertest: Sucht er sich ein schillerndes Alter Ego - oder einen grauen, so kompetenten wie langweiligen VP?

Vor vier Jahren ging John McCain volles Risiko, als er die weitgehend unbekannte Sarah Palin auf die nationale Bühne hievte. Die Rechtspopulistin aus Alaska begeisterte zwar die konservative Basis. Viele Wechselwähler waren hingegen entsetzt über Palins dummdreiste Patzer und zweifelten dann auch an McCains eigenem Urteilsvermögen.

Mitt Romney will lieber auf Nummer sicher gehen. Er sucht die Anti-Palin. Und er hört auf seine Ehefrau Ann, die vor Wochen preisgab, wonach die Romneys suchen: "Kompetent" und "fähig" und "vom gleichen Persönlichkeitstyp" wie ihr Mann solle der Stellvertreter sein.

Lebensläufe, Steuererklärungen, alte Reden - seit drei Monaten analysieren Romneys Vertraute die Dokumente aller Aspiranten. Und ein Fragebogen verlangt Auskunft zur Weltanschauung wie zum Sexualleben ("Waren Sie jemals untreu?"). Denn die allererste Pflicht für jeden Vize lautet: "Richte keinen Schaden an!"

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