Romney-Strategie:Befreit vom rechten Ballast

Monatelang hat Mitt Romney den harten Rechtsaußen gegeben, getrieben von der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung. Ausgerechnet im Fernsehduell gegen Präsident Barack Obama rückte der Herausforderer wieder in die Mitte - und legt seither in Umfragen zu.

Nicolas Richter, Washington

Mitt Romney hat eine schwierige Beziehung zur Tea Party, auch wenn sie eigentlich aus seiner Wahlheimat Boston stammt. Aus Protest gegen das britische Zollrecht kippten 1773 die Bürger einst drei Schiffsladungen Tee ins Meer. Die heutige Tea Party allerdings, eine rechtspopulistische Bewegung, macht dem Moderaten Politiker Romney das Leben schwer. Sie diktiert den Republikanern eine radikale Agenda, die nicht zu Romney passen will. Am vergangenen Mittwoch nun hat Romney in der Fernsehdebatte mit Präsident Barack Obama seine eigene Tea Party gefeiert: Er warf gleich die ganze Tea Party über Bord.

Republican presidential nominee Romney greets audience members at a campaign rally in St. Petersburg

Zurück in der Mitte: der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney während eines Wahlkampfauftritts in St. Petersburg, Florida.

(Foto: REUTERS)

Romney entsorgte Steuersenkungen für Reiche ("Leuten mit hohem Einkommen geht es gut"), trennte sich vom ungezügelten Kapitalismus ("Regulierung ist wesentlich") und pries seine Gesundheitsreform in Massachusetts als "Vorbild für das Land", obwohl sie identisch ist mit der Krankenversicherung von Präsident Obama. Am Ende der Debatte gab sich Romney wieder so, wie er einst in der Politik angefangen hatte: als Moderater und Moderator. Er wirkte befreit vom rechten Ballast, derweil der Präsident nur zuschaute.

In Gedanken war Obama vielleicht bei seiner Frau Michelle, mit der er an diesem Tag den 20. Hochzeitstag feierte. Er hatte sich vorgenommen, weder zornig noch arrogant zu wirken, aber er wirkte gar nicht. Obama soll am nächsten Morgen, als er sich im Fernsehen sah, entsetzt gewesen sein. Glaubt man den Umfragen, steigen Romneys Werte seitdem, während Obamas fallen. Der Herausforderer hat den Trend gedreht. Das Gefährliche für Obama ist, dass Romney endlich einen Ton und eine Botschaft gefunden hat, mit denen er in der Mitte Stimmen gewinnt, statt dort nur als Sonderling zu gelten.

Es ist schwer auszumachen, wo Romneys Überzeugungen liegen. In einem Videofilm, der kürzlich aufgetaucht war, nannte er 47 Prozent der Wähler Schmarotzer, es entsprach der Karikatur vom unmenschlichen Business-Roboter, den Obamas Wahlkampagne von ihm zeichnet. Nach der Fernsehdebatte warf Romney auch diese Bilder von sich selbst weg: Sein Geschwätz, erklärte er schuldbewusst, sei schlicht daneben gewesen. Zu seinen Gunsten kann man annehmen, dass die Bemerkungen vor reichen Spendern fielen und er insofern nur tat, was er immer tut: Jedem Publikum das sagen, was es gerade hören will.

Romney hat als Chef des Finanzinvestors Bain Capital Karriere gemacht, seine politischen Ambitionen entdeckte er spät. Diese Konstellation ließ ihm vor allem in der Mitte Platz: Als Manager löse er Probleme, statt einer Parteiagenda zu folgen. So kandidierte Romney einst für den Posten des Gouverneurs von Massachusetts. Als Republikaner, der in einem sehr demokratischen Staat antritt, distanzierte er sich von seiner Partei, nannte sich gemäßigt bis progressiv.

Selbst die Demokraten hofften auf ein erfrischendes Experiment: Romney galt als unideologisch, ergebnisbezogen, als jemand, der keine Spielchen spielte. Tatsächlich setzte er in seiner Zeit als Gouverneur von 2003 bis 2007 die Krankenversicherung für alle durch, aber was heißt durchsetzen: Es war ein Traum der Demokraten, die beide Kammern des Parlaments beherrschten. Immerhin war es ein Ergebnis. Dass die Menschen am Ende von ihm enttäuscht waren, lag daran, dass er die meiste Zeit andere Bundesstaaten bereiste, um sich als künftiger US-Präsident in Stellung zu bringen. In dieser Zeit erkannte er, dass er als Abtreibungsbefürworter nie ins Weiße Haus gelangen würde (jedenfalls nicht als Republikaner), und erklärte sich plötzlich für "pro-life".

Von da an rückte Romney nach rechts. In den Vorwahlen 2008 war die Mitte von John McCain und Rudolph Giuliani besetzt, also versuchte sich Romney rechts von ihnen, wo er aber noch weiter rechts von Mike Huckabee überholt wurde. Romney analysierte seine Fehler und erkannte, dass niemand begriffen hatte, wofür er stand. Also schrieb er das Buch "Keine Entschuldigung", in dem er sich als neuer Ronald Reagan darstellte.

Erst knochenhart rechts, jetzt immer weicher

Beim zweiten Anlauf 2012 war die Lage noch schwieriger: Die Rechtspopulisten der Tea Party trieben die Partei vor sich her, scheinbar war dies nicht die Zeit für einen Moderaten aus Massachusetts. Also rückte Romney noch weiter nach rechts. Anders als in der Fernsehdebatte mit Obama gab er noch Anfang dieses Jahres den knochenharten Rechten: Er werde die Steuern für alle senken, auch für die Reichsten, sagte er, er befürworte die radikale Kürzungsagenda des Haushaltsexperten und Tea-Party-Idols Paul Ryan. Und in Massachusetts habe er als "stramm Konservativer" heldenhaft die Demokraten eingedämmt.

Romney gewann die Vorwahlen, weil seine Rivalen lächerlich waren. Und er gewann um den Preis, dass er in jedem Sachthema weiter rechts stand als vorher - bei Waffen, Abtreibung, Einwanderung, Iran. Dies ist, zum einen, ein Systemfehler: Schon der Vorwahl-Auftakt im ländlichen Iowa verlangt Kandidaten einen solch drastischen Schwenk nach Rechts ab, dass der Gewinner für das landesweite Publikum kaum mehr vermittelbar ist.

Andererseits hätte ein charismatischer, von der Partei geliebter Kandidat viel früher in die Mitte zurückkehren können. Romney hingegen galt vielen Rechten als schlecht verkleideter Linker, als Wendehals oder "Flip-Flopper". Statt also in seine strategische Heimat, die Mitte, zurückzukehren, verbrachte Romney den Sommer damit, sein rechtes Herz zu zeigen. Er nahm den jungen Sanierer Ryan zum Vize- Kandidaten und spielte außenpolitisch den Neokonservativen. Es wirkte seltsam, denn jeder wusste, dass Romney kein Radikaler war. Aber er stand unter Beobachtung. Mäßigte sein Vize Ryan den Ton, meckerte die Basis, dass Ryan romneysiert werde, statt Romney zu rayanisieren.

Weil Romney sich selbst nicht überzeugend definierte, tat es Obama: Den ganzen Sommer über malte er ihn in unzähligen Werbespots als herzlos, gierig, berechnend. Am Ende schien das 47-Prozent-Video alles zu bestätigen.

Am Abend der Fernsehdebatte schließlich hatte Romney nichts mehr zu verlieren. Er gab sich als Republikaner mit Herz und dem Willen zum Kompromiss. Er werde - verkehrte Welt - die Senioren vor Obamas Kürzungsplänen bewahren, er werde den Studenten helfen, den Kranken, der ganzen Mittelschicht. Obama wirkte wie gelähmt, unfähig, die Widersprüche zwischen dem alten und dem neuen Romney zu zeigen. Es ist unklarer denn je, was Romney als Präsident tun würde, ob er sich von den radikaleren Strömungen im Kongress lösen oder ob er den Einfluss der Tea Party bis ins Weiße Haus zulassen würde.

Zurzeit ist Romney eher damit beschäftigt, seine weichere Seite zu zeigen. Seit der Debatte teilt er erstmals sehr persönliche Anekdoten aus seinem Leben. So erzählte er jüngst von der Begegnung mit einen gelähmten Bekannten: "Ich legte meine Hand auf seine Schulter und flüsterte: Billy, Gott segne dich. Ich liebe dich . . . Er starb am nächsten Tag." Oder Romney berichtete, wie er als Amtsträger in der mormonischen Kirche einem todkranken Jungen half, seinen letzten Willen aufzuschreiben. Romney hat es immer als Tugend verkauft, nichts über sich zu verraten; er wolle nicht mit seiner Mildtätigkeit hausieren gehen. Auch das hat er jetzt geändert.

Obamas Kampagne hat schnell auf den Debattenaussetzer des Chefs reagiert. In einem Werbespot zeigt sie Romney, wie er in der Fernsehdebatte bestreitet, mit massiven Steuersenkungen auch die Reichen begünstigen zu wollen. "Schockierend unehrlich", heißt es. Obama scherzte am Tag nach seinem Fernsehdebakel, ihm sei auf der Bühne "ein geistreicher Kerl begegnet, der behauptete, Mitt Romney zu sein". Welches der richtige Romney war? Obama hat noch Gelegenheit, das in zwei Fernsehdebatten herauszufinden.

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