Romani Rose über die Zuwanderungs-Debatte:"Unerträgliche und beschämende Diskussion"

Gedenken an NS-Opfer in Neustrelitz

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma: "Wollen wir tatsächlich wieder Mauern aufrichten, nach Rassen und Klassen?"

(Foto: picture alliance / dpa)

Sein Leben lang hat Romani Rose für die Minderheitenrechte der Roma gekämpft. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma über die aktuelle Debatte zur Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren, den Populismus der CSU und das uneinheitliche Gedenken an die Opfer des Dritten Reichs.

Von Paul Katzenberger

Kurz bevor Romani Rose 1946 auf die Welt kam, waren große Teile seiner Familie von den Nazis in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Ravensbrück ermordet worden. Schon als junger Mann engagierte sich der Enkel eines Heidelberger Kinobetreibers dafür, die gesellschaftliche Teilhabe der Roma im Nachkriegsdeutschland zu verbessern.

In seiner Funktion als Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma konnte er 1982 durchsetzen, dass die NS-Verbrechen an den Roma von der Bundesrepublik als "Völkermord aus rassischen Gründen" anerkannt wurden. Umso mehr ist der 67-Jährige von der aktuellen Debatte über die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren enttäuscht.

SZ.de: Seit Wochen schürt die CSU Angst vor einer massenhaften Armutszuwanderung in die deutschen Sozialsysteme aus Rumänien und Bulgarien. Wie kommt das bei Ihnen an?

Romani Rose: Da wurden Horrorvisionen gezeichnet und in die Öffentlichkeit gestellt, die mit den Fakten nichts zu tun haben. Diesen Trugbildern haben ja auch Fachleute schon widersprochen.

Wer zum Beispiel?

Professor Brücker, der für die Agentur für Arbeit in einem Gutachten den Zahlen und Fakten nachgegangen ist, hat genau die Aussagen für unzutreffend erklärt, die Bulgaren und Rumänen anbelangen.

Es lässt sich aber nicht leugnen, dass es soziale Brennpunkte gibt, in denen die Zuwanderung schlecht ausgebildeter Menschen aus Südosteuropa eine Rolle spielt, etwa in Dortmund, Mannheim oder Berlin. Haben nicht zumindest diese Kommunen Grund zur Sorge?

Natürlich haben diese Kommunen ein Problem. Der Bund und die Länder haben die Verhandlungen zum EU-Beitritt geführt ohne die Kommunen, die die letzten in der Kette sind, mit in die Verhandlungen einzubeziehen. Und jetzt gibt es die Städte, die Sie nennen und noch zwei, drei andere, in denen sich dieses Problem der sogenannten Armutszuwanderung verdichtet. Da müssen der Bund und die betroffenen Länder jetzt eingreifen und helfen.

Aber genau das hält die CSU ja für unangebracht: Geld auszugeben für Fremde, die zunächst keinen eigenen Beitrag für das Gemeinwohl in Deutschland leisten.

Bevor die CSU Schreckensbilder an die Wand malt, sollte sie zunächst vielleicht denen zuhören, die von der Problematik am stärksten betroffen sind, etwa den Bürgermeistern im eigenen Bundesland. Der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, der auch Präsident des Deutschen Städtetags ist, hat beispielsweise im Zusammenhang mit dieser Diskussion für Gelassenheit geworben und vor "apokalyptischen Visionen" gewarnt.

Für die CSU gehen solche Appelle offenbar an der Sache vorbei. In der von ihr herausgegebenen Zeitung Bayernkurier wird die aktuelle Debatte gerne in einen direkten Zusammenhang mit der Roma-Minderheit gestellt. Unter dem Foto eines als Roma bezeichneten Bettlers in Frankfurt steht beispielsweise, dieser sei das "Sinnbild der Armuts-Zuwanderung".

Das ist natürlich unseriös, dass man mit bestimmten Klischees die gesamte Minderheit in die soziale Ecke stellt. Viele der Menschen, die in dieses Land kommen, kommen als Arbeiter und Angestellte.

Das scheint vielen hierzulande neu zu sein.

Ich kann ihnen sagen, warum. Wenn ich in Heidelberg ins Krankenhaus gehe, dann höre ich so oft Leute im Pflegebereich untereinander Romanes (Anm. d. Red.: Sprache der Sinti und Roma) sprechen - diese geben sich aber nicht als Roma zu erkennen. Dasselbe gilt für den Gaststättenbereich. Wenn ich im Sommer hinüber in die Pfalz fahre, dann sehe ich viele Leute, die auf den Spargelfeldern arbeiten. Die von der CSU sollen mal kommen und sich das anschauen. Jeder, der es wahrnehmen will, kann hierzulande genügend Roma finden, die ihren Job machen.

Wir müssen darauf drängen, dass der Rassismus ein Ende findet

Wegen unserer nationalen Verantwortung für den Holocaust ist es undenkbar, dass eine seriöse Partei Stimmung gegen Menschen jüdischen Glaubens machen würde. Warum geht das bei den Roma, die ebenfalls von den Nazis verfolgt wurden?

Weil wir nicht die Lobby im amerikanischen Repräsentantenhaus und im Senat haben und in England und in Frankreich ebenfalls nicht. Das wissen auch die Politiker, die sich keinen Ärger in der Außenpolitik einhandeln wollen. Ich glaube aber, dass man diese Stigmatisierung nicht allein an den Parteien festmachen kann. Ich habe hochanständige Menschen getroffen, die viel Verständnis haben für die Situation unserer Minderheit und sich dafür engagieren. Dazu zähle ich auch jemanden wie Herrn Seehofer, der uns als Minister- und Bundesratspräsident schon oft seine Solidarität versichert hat.

In seiner Funktion als Herausgeber des Bayernkuriers scheint er derzeit aber vor allem die bettelnden Roma wahrzunehmen, auch wenn diese nur ein kleiner Teil der Realität sind, wie von Experten immer wieder betont wird.

Das Expertenurteil lässt sich sehr gut belegen: Die Europäische Union schätzt, dass innerhalb ihrer Grenzen etwa acht Millionen Angehörige der Minderheit leben. Diese acht Millionen sind keine Armutsflüchtlinge, sondern gehen in der Regel in ihrer Heimat oder innerhalb der EU arbeiten. Viele sind nach Frankreich, Italien oder Spanien gegangen, übrigens viel mehr als zu uns. Und auch dort arbeiten die meisten.

Aber die CSU scheint trotzdem davon überzeugt zu sein, dass uns auch wenige Arbeitslose überfordern. Sollte diese Minderheit der Zuwanderer auf Dauer bei uns bleiben können?

Die Menschen, die hierherkommen und innerhalb von drei Monaten keinen Arbeitsplatz finden, werden in ihre Heimat zurückkehren müssen. Aber das ist langfristig keine Lösung. Wir müssen vielmehr darauf drängen, dass der Rassismus ein Ende findet. Dass Europa ein Europa der Gleichen wird, mit gleichen Chancen für jeden.

Die Einheit Europas scheint dem deutschen Wohlstandsbürger aber verhältnismäßig egal zu sein. Hauptsache, hier sind die Verhältnisse geordnet.

Geordnete Verhältnisse für wen? Es gibt hier auch Menschen, die die Zugewanderten auf Grund deren auswegsloser Situation missbrauchen, auf dem Bau und in anderen Gewerben oder indem sie als Vermieter winzige Wohnungen zu Wucherpreisen vermieten. Es gibt einen Missbrauch der Sozialsysteme durch deutsche Unternehmen, wenn sie über Ketten von Subunternehmen oder über eigene Tochterfirmen qua Werkvertrag Arbeiter und Fachleute anstellen, aber nach rumänischen und bulgarischen Löhnen bezahlen - und damit systematisch die Beiträge zu unserem Sozialsystem umgehen. Ganz besonders wir Deutsche sind dafür eingetreten, dass die Mauer weg ist. Wollen wir jetzt wieder Mauern aufrichten, nach Rassen und Klassen? Ausgerechnet wir Deutsche, die wir unsere Autos und Produkte in diese Länder verkaufen und von den Wirtschaftsbeziehungen mit ihnen ganz besonders profitieren, leisten uns jetzt eine solch unerträgliche und beschämende Diskussion.

Die vermeintliche Bedrohung wird tatsächlich eher durch Augenzeugen aus betroffenen Kommunen belegt als durch konkrete Zahlen. Denn offizielle Daten über die Roma-Zuwanderung sind so gut wie keine zu bekommen. Was ist Ihrer Meinung nach das wahre Motiv für diese Debatte?

Das ist Populismus. Dass man einerseits Ängste bei der Bevölkerung weckt, und dass man sich dann andererseits als jemanden aufspielt, der dieses Problem in den Griff bekommt. Wie wir wissen, nützt so etwas im Endeffekt den rechtsextremen Parteien, die dann mit Parolen kommen wie "Die Rente für die Oma und nicht für Sinti und Roma". Wir werden bei der Europawahl sehen, wer die Nutznießer dieser Debatte sind.

Fanden Sie es hilfreich, dass die EU-Kommission kürzlich die deutsche Genehmigungspraxis für Hartz-IV-Leistungen an arbeitslose Ausländer kritisiert hat?

Das betrifft eine rein rechtliche Frage, wie die EU-Kommission ja auch noch mal klargestellt hat. Die EU muss klären, inwieweit wir ein europäischer Staat sind und inwieweit nationale Angelegenheiten vorrangig sind. Das sind keine Dinge, die die Minderheiten zu entscheiden haben. Wenn wir aber die "Vereinigten Staaten von Europa" wollen, müssen wir noch vieles auf den Weg bringen. Das wird kein einfacher Prozess sein. Wenn wir sehen, wie sich die Welt verändert, wie China dabei ist, die USA zu überholen, dann sollten wir uns nicht mit solch kleinen Dingen aufhalten.

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