Süddeutsche Zeitung

Roma in Ungarn:Regierung will nichts von einer "Notsituation" wissen

Flucht oder Kurzurlaub? Ungarns Regierung und das Rote Kreuz widersprechen den Roma in Gyöngyöspata und behaupten, die vermeintliche Rettung vor den Rechtsradikalen sei nur ein Ausflug über die Feiertage.

Mussten sie in Sicherheit gebracht werden - oder haben sie nur einen Ausflug gemacht? Die angebliche Rettung von knapp 300 Roma vor rechtsradikalen Umtrieben in Ungarn hat für Verwirrung gesorgt. Während die Vertreter der Minderheit erklärten, das Rote Kreuz habe sie aus dem zentralungarischen Dorf Gyöngyöspata in Sicherheit gebracht, bestritt Ungarns Regierungssprecher Peter Szijjarto diese Angaben. Roma-Vertreter sagten, sie hätten sich ans Rote Kreuz gewandt, weil sie Angst vor einem von der rechtsradikalen Gruppe Vederö geplanten paramilitärischen Trainingslager gehabt hätten.

Regierungssprecher Szijjarto hingegen erklärte, die Evakuierungsaktion des Roten Kreuzes sei nicht aufgrund einer "Notsituation" durchgeführt worden. Es handle sich vielmehr um einen länger geplanten "Ausflug" über das Osterwochenende. Bestätigt wurden diese Aussagen nun vom ungarischen Roten Kreuz selbst: Der geschäftsführende Direktor der Organisation in Ungarn, Erik Selymes, bekräftigte diese Darstellung.

Unterdessen ging die Polizei gegen das Trainingslager der Rechtsradikalen vor und nahm 8 von 20 Teilnehmern wegen "Rowdytums" fest, wie Innenminister Sandor Pinter erklärte. Er war am Abend nach Gyöngyöspata gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Vertreter der rechtsradikalen Gruppe Vederö erklärten, die Polizei missachte die Tatsache, dass das Trainingslager auf einem Privatgrundstück stattfinde.

In Gyöngyöspata liefen Mitglieder von Bürgerwehren in Tarnkleidung und schweren Stiefeln in der vergangenen Woche Patrouille. Auch in anderen Gemeinden im Osten Ungarns mit großer Roma-Bevölkerung zeigten die Bürgerwehren Präsenz. Nach eigenen Angaben wollen sie die Nicht-Roma-Bevölkerung vor "Zigeuner-Verbrechen" schützen.

Innenminister Pinter hatte schon am Donnerstag mehr Befugnisse für die Polizei angekündigt, um die Aktivitäten extremistischer Bürgerwehren zu verhindern. Zur Rolle des Roten Kreuzes erläuterte Direktor Selymes, die Roma in Gyöngyöspata hätten sich am vergangenen Dienstag an das Rote Kreuz mit der Bitte gewandt, ein Ferienlager zu organisieren. Ein Zusammenhang mit der Präsenz von Rechtsradikalen im Ort habe nicht bestanden. Die Bitte sei nicht ungewöhnlich gewesen, zumal Ungarns Rotes Kreuz in den letzten 30 Jahren etwa 600 derartige Freizeitaktivitäten für bedürftige Ungarn organisiert habe.

Janos Farkas, Vorsitzender des örtlichen Romarats, sagte hingegen, es würden Auseinandersetzungen mit Mitgliedern von Vederö befürchtet. "Wir haben Angst und wir haben Grund dazu", sagte Farkas. "Seit fast zwei Monaten ist Gyöngyöspata praktisch ein Schlachtfeld."

"Sie wollen sie Roma hier einschüchtern"

Farkas erklärte, Vederö-Mitglieder, die in der vergangenen Woche im Dorf nach einem geeigneten Ort für ihr dreitägiges Trainingslager suchten, hätten den Roma Drohungen zugerufen. "Sie wollen die Roma hier einschüchtern." Die Frauen und Kinder seien mit fünf Bussen an nicht genannte Orte in der Nähe des Plattensees gebracht worden. Nach der Abfahrt der Busse fuhren in dem Dorf mindestens zehn Polizeifahrzeuge auf.

Die rechtsradikale Gruppe Vederö hatte die Teilnehmer des paramilitärischen Camps aufgerufen, in Uniformen und mit Gummigeschoss-Waffen zu erscheinen. Bereits im März hatte eine andere rechtsradikale Gruppierung den 2800-Einwohner-Ort fast drei Wochen lang mit Märschen terrorisiert.

In einigen Orten Ungarns haben sich zuletzt Bürgerwehren gebildet, um gegen die angebliche Roma-Kriminalität vorzugehen. Unterstützt werden solche Aktivitäten durch rechtsextreme Gruppen. Ungarns Regierung hat mehrfach betont, es nicht zulassen zu wollen, dass das Gewaltmonopol des Staats von derartigen Gruppen übernommen wird.

Das EU-Mitgliedsland Ungarn steht seit langem wegen seiner Verfassungsreform in der Kritik. Das Parlament in Budapest hatte Mitte April die umstrittene neue Verfassung gebilligt, die Kritikern zufolge die Macht der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz festigt und Nachfolgeregierungen handlungsunfähig machen kann.

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