Roma in Deutschland:Gefangen im Klischee vom Wohnwagen

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Eine abgeschottete Volksgruppe, die am liebsten mit dem Wohnwagen durchs Land tingelt: Auch wegen dieses Zerrbilds haben es Roma schwer, sich in Deutschland heimisch zu fühlen.

Roland Preuß

Im Kleinen hat auch Deutschland bereits seine Debatte über Roma erlebt, vergangenen Sommer in Berlin: Dutzende hatten die neue Freizügigkeit als EU-Bürger genutzt und waren vom Balkan nach Berlin gekommen. Sie putzten Autoscheiben an Ampeln, musizierten in der U-Bahn und campierten in einem Kreuzberger Park unter freiem Himmel.

Diese Kinder sind lebende Feindbilder: Jeder vierte Deutsche würde sich laut Umfrage unwohl fühlen, hätte er einen Roma zum Nachbarn. (Foto: REUTERS)

Der rot-rote Senat war ratlos. Flugtickets zurück nach Rumänin lehnten sie ab, und so schlug die damalige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) vor, die Roma sollten doch ein Gewerbe anmelden, dann könnten sie bleiben und Geld verdienen - eine schwierige Aufgabe für vielen von ihnen, die weder lesen noch schreiben können.

Inzwischen ist ein Teil der Roma weitergezogen, ein anderer in überfüllten Wohnungen untergekommen. Sozialarbeiter bemühen sich darum, sie einzugliedern - kommendes Jahr sollen die Scheibenputzer von Berlins Ampeln verschwunden sein.

Es sind vor allem die neu zugezogenen Roma, an denen sich die Debatten entzünden, Menschen, die vor allem vor Diskriminierung und Verfolgung in Südosteuropa geflohen sind. Der Großteil der Sinti und Roma in Deutschland ist allerdings seit langem heimisch, ihre Vorfahren leben seit dem Mittelalter in Mitteleuropa. Genaue Zahlen existieren nicht, laut Bundesinnenministerium gibt es rund 70.000 dieser alteingesessenen Roma, die vor allem in westdeutschen Großstädten und in Berlin leben.

Vielfach hängt ihnen noch das Image an, eine abgeschottete Volksgruppe zu sein, die am liebsten mit dem Wohnwagen durchs Land tingelt - ein Zerrbild, wie das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung betont. Die Mehrheit der Roma in Europa ist demnach längst sesshaft, die Universität Graz schätzt den Anteil der dauerhaft Wandernden unter ihnen auf fünf Prozent. Deutsche Kommunen gehen immer mal wieder gegen kleinere Roma-Camps vor, die ohne Genehmigung ihre Wohnwagen abstellen, wie etwa im Mai in Potsdam.

Größere Lager wie in Frankreich seien allerdings nicht bekannt, heißt es etwa aus den Innenministerien in Bayern und in Nordrhein-Westfalen, wo besonders viele Roma leben - schon gar keine, die man auflösen wolle.

Dennoch lassen sich deutsche Roma im Schnitt als eher schlecht integriert bezeichnen. Laut einer Untersuchung des Berlin-Instituts brechen Roma-Kinder die Schule überdurchschnittlich oft ab, die Erwachsenen sind häufiger arbeitslos. Die Eltern hätten teilweise Vorurteile gegenüber deutschen Schulen und die Angst, dass ihre Kinder dort die Ursprungskultur verlören.

Ausgegrenzt und benachteiligt

Der Zentralrat der Sinti und Roma betont, dass seine Klientel bei Bewerbungen und in der Schule ausgegrenzt und benachteiligt würde. Er sieht die meisten dennoch als gut integriert an. Fest steht, dass es weiter Vorbehalte gegen diese Gruppe gibt. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von 2008 würde sich jeder vierte Deutsche unwohl fühlen, wenn sein Nachbar Roma wäre.

Viele Roma würden lieber verschweigen, dass sie Roma seien, schreibt Gregor Grienig, Forscher am Berlin-Institut. So versuchten sie, Benachteiligungen im Alltag zu entgehen und Lehren aus der Geschichte zu ziehen. In der Nazi-Zeit waren Hunderttausende "Zigeuner" durch das NS-Regime ermordet worden. Nach diesen Erfahrungen wurden die alteingesessenen Roma in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt. Ihr Zentralrat wird mit Steuergeld finanziert, ebenso Projekte zur Pflege der Kultur und zur besseren Eingliederung.

Deutlich härter dagegen ist der Umgang mit den neu zugewanderten 50.000 Roma. Die meisten von ihnen flohen vor etwa zehn Jahren im Zuge des Kosovo- Krieges nach Deutschland. Gut 10.000 von ihnen sind derzeit zur Rückkehr in den Kosovo verpflichtet, konnten aber jahrelang nicht abgeschoben werden, weil sich die Verwaltung des Kosovo weigerte, die nötigen Papiere fehlten oder eine Abschiebung unzumutbar erschien. Integrationsmaßnahmen sind für sie nicht vorgesehen, in einzelnen Bundesländern wie in Hessen existiert nicht einmal eine Schulpflicht für diese Kinder.

Abschiebeabkommen mit dem Kosovo

Im April dieses Jahres unterzeichneten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein kosovarischer Kollege Bajram Rexhepi ein Abkommen, das Abschiebungen der Roma deutlich erleichtert. Es sieht vor, dass der Kosovo grundsätzlich alle Menschen aufnimmt, die Papiere aus dem Land vorlegen können oder die dort nachweislich gelebt haben. Bisher fehlen häufig die nötigen Dokumente, weil der Kosovo erst 2008 als Staat gegründet wurde, die Flüchtlinge jedoch vor dieser Zeit nach Deutschland gekommen sind.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef und Menschenrechtsorganisationen haben die Abschiebungen scharf kritisiert. Sie träfen Tausende Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen seien und im Kosovo keinerlei Perspektive hätten: Nach einer aktuellen Unicef-Studie gehen drei von vier Kindern im Kosovo nicht mehr zur Schule, die Familien würden ausgegrenzt, die Eltern keine Arbeit finden - ein Flug ins Elend.

Laut Bundesinnenministerium hat sich die Lage der Roma im Kosovo gebessert, zudem versuchen Bund und Länder mit einem eigenen Programm, ihre Eingliederung zu erleichtern. Derzeit werden Erwachsenen bis zu 750 Euro pro Person sowie die Reisekosten gezahlt. Massenabschiebungen wie in Frankreich gibt es bislang nicht. In den ersten sechs Monaten des Jahres mussten 102 Roma in den Kosovo zurückkehren.

© SZ vom 18.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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