Süddeutsche Zeitung

Rom:Versunken im Mafia-Sumpf

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Von Stefan Ulrich, München

Raffaele Cantone fühlt sich an die Zeit Anfang der Neunzigerjahre erinnert, als das korrupte italienische Parteiensystem zusammenbrach. "Die Leute sprechen mich auf der Straße an und fordern: 'Verhaften Sie sie alle'", sagt der Präsident der nationalen Anti-Korruptions-Behörde.

"Es macht mir Sorgen, dass die gesamte Politik als korrupt angesehen wird." Italien stecke in der Krise. Daher würden die Bürger besonders wütend, wenn sie von Korruption hörten. Es sei ein Wunsch nach Lynchjustiz zu spüren, sagt Cantone, wie vor zwei Jahrzehnten, als Politiker auf der Straße mit Münzen beworfen wurden.

Cantone hat Verständnis für die Empörung, die sich jetzt wieder Bahn bricht angesichts des jüngsten Skandals namens "Mafia capitale". Er findet dennoch, alle sollten kühlen Kopf bewahren. Doch das fällt vielen Italienern schwer, bei all den Enthüllungen über eine römische Mafia, in der sich Faschisten, gemeine Verbrecher, Politiker, Beamte und Unternehmer zusammenfanden.

So massiv scheint Rom unterwandert zu sein, dass Premierminister Matteo Renzi sagt, er empfinde "Ekel". Graziano Delrio, sein Staatssekretär im Premiersamt, versichert, die jüngste Herabstufung Italiens durch eine Ratingagentur sei auch eine Antwort auf den römischen Sumpf. Das, was in Rom geschehen sei, sei verheerend für den Ruf des ganzen Landes.

Die Waffe der Hauptstadtmafia ist die Korruption

Mindestens zwei Jahre lang ermittelten die Anti-Mafia-Staatsanwälte gegen die Mafia capitale, die Hauptstadtmafia. Vergangene Woche schlugen sie zu. Sie nahmen 37 Menschen fest, leiteten Ermittlungsverfahren gegen 100 Verdächtige ein und beschlagnahmten Vermögenswerte in Höhe von 200 Millionen Euro. Chefermittler Giuseppe Pignatone sagte, das römische Kartell sei ein neues Gebilde eigener Art und unabhängig von den drei großen Mafia-Organisationen Cosa Nostra, Camorra und 'Ndrangheta. Die Hauptstadtmafia verzichtet auf Rituale, Heiligenbildchen, Ehrenkodex und abgesägte Schrotflinten. Ihre Waffe ist die Korruption, mit der sie öffentliche Aufträge abgreift.

Nun kommen täglich neue Verdachtsmomente hinzu. Demnach bestachen die Mafiosi Stadtpolitiker rechter wie linker Parteien sowie Verwaltungsangestellte, um an städtische Aufträge zu gelangen. Dabei ging es zum Beispiel um Lieferungen für die Verkehrsbetriebe, die Müllentsorgung, die Pflege städtischer Grünanlagen oder eine Mensa für ein Gefängnis.

Besonders viel Geld machte das Kartell mit der Not von Einwanderern, Flüchtlingen, Obdachlosen und Roma. Die Mafia kümmerte sich, in Kooperativen getarnt, um die Unterbringung und Verpflegung und kassierte dafür von den Behörden viel Geld. In einem Telefongespräch rühmte sich einer der Verbrecher, dies bringe mehr Geld als der Drogenhandel. Aber auch um Stimmenkauf bei Wahlen kümmerte sich die neue Mafia, oder um Baugenehmigungen für befreundete Firmen in drei Tagen - was in Italien an ein Wunder grenzt.

Kopf des Korruptionskartells ist der 56 Jahre alte faschistische Ex-Terrorist Massimo Carminati, der einst bei einem Schusswechsel ein Auge verlor und "der Einäugige" genannt wird. Carminati führte die römische Mafia mit harter Hand. Als ein Unternehmer ein Grundstück nicht herausrücken wollte, drohte Carminati in einem abgehörten Gespräch: "Ich foltere ihn, ich schieße ... ich lasse ihn Blut scheißen ... so lernt er." Die Ermittler schreiben, von Carminati seien "reihenweise Druck, Drohungen und Einschüchterungen ausgegangen". Zugleich habe der Einäugige Kontakte zu anderen Mafia-Organisationen, Politikern, Behörden, zur Finanzwelt und zu Geheimdiensten gepflegt.

Von Vorteil für Carminati war, dass Rom zwischen 2008 und 2013 von dem rechtskonservativen Politiker Gianni Alemanno regiert wurde, der seine Karriere einst auch bei den Faschisten begonnen hatte. Bürgermeister Alemanno brachte etliche Freunde von früher bei der Stadt unter, wodurch Carminati Anlaufpunkte fand.

Gegen Alemanno selbst wird nun auch ermittelt, seine Wohnung wurde durchsucht. Doch auch die regierenden Sozialdemokraten von Premier Renzi sind tief in den Skandal verstrickt. Der sozialdemokratische Chef des Stadtrats musste, weil unter Verdacht, zurücktreten. Renzi ließ die örtliche Parteiführung absetzen und setzte einen neuen Chef ein.

Die Oppositionsparteien fordern Neuwahlen

Das Innenministerium lässt derweil prüfen, ob die Stadtregierung wegen Mafia-Durchseuchung aufgelöst und Rom einem Staatskommissar unterstellt werden muss. Die Oppositionsparteien Lega Nord und Forza Italia fordern Neuwahlen. Doch der sozialdemokratische Bürgermeister Ignazio Marino, der 2013 ins Amt kam, will weitermachen. Marino, ein früherer Arzt, sagt, er habe bei seinem Amtsantritt gleich bemerkt, dass in der Verwaltung etwas faul ist, und alle verdächtigen Vorgänge der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, dass die Mafiosi Marino tatsächlich als Hindernis wahrnahmen und bedrohten. Das stärkt den Bürgermeister nun politisch und moralisch. Es macht ihn aber auch zum Angriffsziel der Unterwelt. Den Rat des Präfekten, vom Fahrrad auf eine gepanzerte Limousine umzusteigen, lehnt er dennoch ab.

"Wir müssen Rom befreien", sagt Marino. Er selbst sei der richtige Mann dafür. Denn "als Chirurg habe ich gelernt, die Nerven zu bewahren, wenn der Patient minütlich einen halben Liter Blut verliert".

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SZ vom 09.12.2014
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