Italien:Die Lösung für Roms ewiges Problem

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"Die Schande einer Stadt wird überwunden": Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri hofft, die Müllentsorgung für die Zukunft gesichert zu haben. (Foto: ANDREAS SOLARO/AFP)

Bisher exportiert Italiens Hauptstadt ihren Abfall bis ins Ausland – mit enormen Kosten. Der Bürgermeister präsentiert nun den Plan für ein Müllkraftwerk. Warum hat das so lange gedauert?

Von Andrea Bachstein

Freudig und stolz präsentierte Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri Anfang der Woche das große Projekt: ein Müllkraftwerk. Ja und, mag man fragen. Für die Ewige Stadt aber ist das nahezu epochal. Gualtieri formulierte es so: „Die Schande einer Stadt wird überwunden, die ihre Abfälle nicht korrekt entsorgen kann … und sehr viel Umweltverschmutzung verursacht.“ Und zwar eine Stadt mit fast drei Millionen Einwohnern, rund 30 Millionen Touristen im Jahr und täglich etwa 4600 Tonnen Müll. Für den gibt es schon lange nur eine provisorische Lösung. Sehr lange hat die Politik kein vernünftiges Konzept erarbeitet. Das Stadtparlament auf dem Kapitolinischen Hügel stritt ein Jahrzehnt lang erbittert, ob bei 16 Millionen Tonnen Abfall im Jahr so ein Müllkraftwerk nötig sei.

Am vehementesten dagegen sind Umweltschützer und Politiker der Fünf-Sterne-Partei, auch im nationalen Parlament. Dass der damalige Premier Mario Draghi Geld für ein Müllkraftwerk bewilligte, war einer der Gründe, warum die Fünf Sterne seiner Regierung der nationalen Einheit die Unterstützung entzogen und so deren vorzeitiges Ende im Juli 2022 einleiteten.

Für die Gegner, zu denen auch Leute von Gualtieris sozialdemokratischem PD gehören, geht es um ein „Ökomonster“, das mit Gasen und Feinstaub massenhaft Gifte ausspeie, Umwelt und Menschen krankmache, zudem ineffektiv und eine Co2-Schleuder sei. Wobei Gegner von „Inceneritore“ sprechen, von Verbrennungsanlage, nicht von „Termovalorizzatore“ dem Wort für Müllkraftwerk. Dass moderne Anlagen die Bevölkerung nicht vergiften, weniger gefährlich als Deponien sind und Energie erzeugen, wird gerne ignoriert. Ein Teil der gegnerischen Argumente ist eher weltanschaulicher Natur: Ein Müllkraftwerk untergrabe das Ziel hundertprozentiger Mülltrennung, der Abfallvermeidung insgesamt und fördere so den Konsumismus.

Die Römer zahlen die höchsten Abfallgebühren des Landes

Während Stadträte ideologisch aufgeheizte Grabenkämpfe führten, müssen die Römer jeden Tag mit dem abenteuerlichen Müllmanagement zurechtkommen und die höchsten Gebühren in Italien zahlen. Denn ihr Abfall wird exportiert. Einen Teil bringen die in Roms Wappenfarbe purpurrot lackierten Laster der Stadtreinigung Ama in kleinere Müllbetriebe in der Region Latium. Ein Teil, vor allem Biomüll, wird in andere Regionen transportiert. Und einen Teil, bearbeiteten Restmüll, fahren Züge ins Ausland – in die Niederlande, aber auch nach Schweden, Österreich und Deutschland. Dass Italiens Hauptstadt keine eigene Entsorgung hat, kostet sie auf drei Jahre gerechnet etwa 600 Millionen Euro.

Dieses komplexe System hat gelegentlich Sand im Getriebe. Streikt in einem der Müllbetriebe in Latium die Technik oder die Belegschaft, stauen sich dort Ama-Laster halbe Tage lang, oder aber sie können gar nichts abladen. Das merken die Römer umgehend. In den meisten Vierteln sind nicht Mülltonnen in oder vor den Häusern üblich, sondern große Container am Straßenrand. Die Ama leert sie täglich, meistens nachts. Tut sie das nicht, türmt sich schnell Abfall rund um die Container. Bei Hitze stinkt das, es lockt Ratten, Möwen und Ungeziefer an. Sogar Wildschweine wurden schon gesichtet. Immer wieder zündeten wütende Bürger Container an. Schimpfen Römer über ihre Stadt, spielt Müll oft eine Rolle.

Mangels Alternative wurde die alte, gefährliche Deponie weiter betrieben

Der teure Abfallexport läuft seit 2013. Damals wurde nach rund 40 Jahren die Deponie Malagrotta geschlossen, mit 250 Hektar (der Fläche von etwa 300 Fußballfeldern), eine der größten Europas. Außer vagen Plänen für eine neue Deponie und der Exportidee war kein Ersatz vorbereitet. Dabei wussten alle längst, dass die Kapazitäten der Deponie am westlichen Stadtrand 2007 erschöpft sein würden. Aus einem tiefen Loch war ein 60 Meter hoher Berg und ein riesiges Umweltproblem geworden.

Es dräute ein Vertragsverletzungsfahren der EU und damit hohe Bußgelder wegen Normverstößen der Deponie. Gifte und Schwermetalle sickerten aus ihr ins Grundwasser, Gase traten aus, Dreck flog in der immer wieder stinkenden Luft. Mit Ausnahmegenehmigungen hielt die Stadt die Deponie noch sechs Jahre in Betrieb. Die etwa 30 000 Menschen, die in der Umgebung leben, protestierten immer wieder verzweifelt. Es kursierten – schwer belegbare – Schätzungen, dass die Deponie bis zu 85 000 Menschen krank gemacht habe.

Natürlich ist Malagrotta noch immer ein riesiger Dreckhaufen, auch sickern noch immer giftige Stoffe in den Boden. 2014 drohten wieder Strafzahlungen an die EU, weil die stillgelegte Deponie nicht richtig gesichert wurde. Es dauerte weitere Jahre, bis man das Problem anging. Bis 2027 soll der Müllberg von 80 Millionen Kubikmetern verkapselt sein, zehn Millionen Kubikmeter Biogas in Energie umgewandelt, 20 Millionen Kubikmeter Sickerwasser abgepumpt und alles begrünt sein. Der Staat zahlt dafür 250 Millionen Euro. 

Zumutungen, die Römer gelegentlich ertragen müssen: Solche und größere Müllberge um Container in den Wohnvierteln. (Foto: TIZIANA FABI/AFP)

Dass die gefährlich gewordene Deponie so lange in Betrieb blieb, ist Teil der skandalösen Müllpolitik. Der heute 98-jährige Deponie-Besitzer Manlio Cerroni wurde im Juni nach zehnjährigem Verfahren in letzter Instanz zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt, wegen fahrlässiger Verursachung eines Umweltdesasters. Ein Mitarbeiter erhielt drei Jahre. Cerroni konnte sein Millionengeschäft dank eines mächtigen Beziehungsnetzes weiterführen, zu dem der 2008 bis 2013 regierende rechte Bürgermeister Gianni Alemanno gehörte. Erst dessen Nachfolger, der Sozialdemokrat Ignazio Marino, schloss die Deponie. Ihm folgte nach zwei Jahren Virginia Raggi auf dem Kapitol, die als Fünf-Sterne-Bürgermeisterin nichts wissen wollte vom „Termovalorizzatore“. Die Römer sagen, ihre Stadt sei nie schmutziger und verwahrloster gewesen als in Raggis Zeit.

Auch der Bürgermeister war erst gegen einen „Termovalorizzatore“

Auch Bürgermeister Gualtieri wollte erst kein Müllkraftwerk. Er trat 2021 mit der Idee an, eine Verbrennungsanlage bei Frosinone auszubauen und vorübergehende Deponien anzulegen. Nach einem halben Jahr, beraten von Experten, änderte er die Ansicht: Eine moderne Energierückgewinnungsanlage sei nötig, um das EU-Ziel zu erreichen, alle Deponien abzuschaffen. Der Plan sei vernünftig und umweltfreundlicher als alles andere, dazu senke eine neue Anlage Kosten. Ein Sturm der Entrüstung brach über Gualtieri herein, die Gegner waren außer sich. Er brauchte seine besonderen Vollmachten als Kommissar für das Heilige Jahr 2025, um das Projekt durchzusetzen.

Auch ein Standort wurde gefunden, bei den Industriehallen von Santa Palomba in der Gemeinde Pomezia östlich von Rom. Die Nachbargemeinde Albano, am Fuß der berühmten Albaner Berge mit Castel Gandolfo, der einstigen Sommerresidenz der Päpste, klagte gegen alle Beteiligten des Projekts. Sie wurde aber in zwei Gerichtsurteilen abgewiesen.

Nun hat der Bürgermeister eine Art Wunderwerk angekündigt. Das Müllkraftwerk werde dem Kopenhagens ähneln, das eine halbe Milliarde Euro kostete. In Santa Palomba sollen jährlich 600 000 Tonnen Restmüll verarbeitet werden bei 44 Prozent weniger Emissionen als bisher, auch weil der Abfall auf die Schiene gebracht wird. Gualtieri erklärte, die Anlage werde mindestens so viel Strom erzeugen wie 150 000 Haushalte brauchen. Rom werde sauberer, man spare jährlich 40 Millionen Euro, die Müllgebühr sinke um 20 Prozent auf etwa 178 Euro.

„Park der Kreislaufwirtschaft“ soll das Ensemble heißen, samt Grünanlagen und Gewächshaus für Versuche, CO₂ umzuwandeln. 10 000 Tonnen Stahl sollen im Jahr aus dem Müll wiedergewonnen werden, 2000 Tonnen Aluminium und 1600 Tonnen Kupfer. „Endlich wird Rom nicht nur mit Europas großen Hauptstädten gleichziehen, sondern sogar besser sein – es wird die fortschrittlichste Anlage der Welt“, schwärmte das Stadtoberhaupt. Im Sommer 2027 soll sie fertig sein. Zum Restmüll gehört die Frage, warum über eine solche Lösung so viele Jahre gestritten wurde.

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