Italien: Ärger um Abgeordneten-Privilegien:Wie ein Blogger die Wut auf Politiker schürt

Nach 15 Jahren hat er angeblich seinen Job in der italienischen Abgeordnetenkammer verloren, jetzt lässt er seiner Wut freien Lauf: Ein Blogger prangert absurde Privilegien von Abgeordneten in Rom an - und wie sie Steuergelder verpulvern. Das Echo ist riesig. Denn die Bürger sind derzeit besonders sensibel - vor allem aus einem Grund.

Wer er ist, weiß man nicht. Aber er ist offenbar sehr wütend. Ein Blogger namens Spider Truman macht in Italien Furore. Er prangert an, wie Volksvertreter Steuergelder verpulvern, und welch absurde Privilegien sich Abgeordnete herausnehmen, die sowieso zu den bestbezahlten Parlamentariern Europas gehören.

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Italiens Regierungschef Berlusconi im Kreis der Parlamentarier. 23 Milliarden Euro kostet der italienische Politikapparat.

(Foto: dpa)

Der Blogger, dessen Tarnname auf die Comicfigur Spiderman und den Helden der Scheinwelt-Filmsatire Truman Show anspielt, hat angeblich nach 15 Jahren seinen Job als Angestellter im Palazzo Montecitorio, der Abgeordnetenkammer, verloren. Nun plaudert er auf Facebook jeden Tag aus dem Nähkästchen.

Vom Frust eines Polizeibeamten etwa, dessen Dienst daraus besteht, morgens die Gattin eines Abgeordneten zum Einkaufen zu begleiten und abends den Parlamentarier zu dessen Geliebter. Von Abgeordneten, die ihre kostenlosen Alitalia-Flüge - gebucht bei einer Agentur im Abgeordnetenhaus - zum Sammeln von Meilen nutzen, mit denen dann auch ihre Familien kostenlos fliegen.

Sauer ist Spider Truman auch wegen des Palazzo Marini, zu dem man in fünf Minuten vom Montecitorio schlendern kann. 25 Millionen Euro im Jahr lässt das Abgeordnetenhaus sich die Miete kosten. Genutzt wird das Objekt aber nur gelegentlich, zum Beispiel für die Buchvorstellung eines Abgeordneten.

Natürlich vergisst der fleißige Blogger nicht die neun Herrenfriseure des Montecitorio, die sich um Bart- und Haupthaar der Politiker kümmern, was den Steuerzahler 11.000 Euro im Monat kostet.

All das ist nicht wirklich neu. Aber das Echo auf Spider Trumans Nachrichten ist riesig. Seit Samstag folgen ihm mehr als 300.000 Menschen auf seiner Facebook-Seite als likers, Leute, die ihm zustimmen also.

Die Bürger sind derzeit besonders sensibel. Gerade haben die beiden Parlamentskammern das Sparpaket von 47 Milliarden Euro verabschiedet, das Bürgern in den kommenden Jahren einige Opfer auferlegt. Es war eine Notmaßnahme, um dem gewaltig verschuldeten Italien ein wenig Vertrauen auf den Finanzmärkten zu sichern. Die Kaste der Politiker bleibt von Kürzungen weitgehend verschont.

Als Klassiker öffentlicher Verschwendung gelten die "blauen Autos", Dienstwagen, die Amtsträgern bis hinunter zur Gemeindeebene Verfügung stehen: Etwa 600.000 gibt es davon in Italien. Immerhin hat der Finanzminister angeordnet, dass sie künftig höchstens 1,6-Liter-Motoren haben dürfen.

23 Milliarden Euro teuer ist der Politikapparat Italiens. Das liegt unter anderem an enorm großzügigen Diäten und Pensionen für Parlamentarier. 14.000 Euro bezieht jeder Abgeordnete im Monat. 144 Millionen macht das für die Senatoren und Deputierten im Jahr, auf 218 Millionen belaufen sich die Ruhestandszahlungen.

Die Halbierung des zu großen Parlaments, dessen zwei Kammern fast identische Funktionen haben, ist seit Jahr und Tag im Gespräch. Aber dort bleibt die Reform bisher auch: Während der Deutsche Bundestag 598 Sitze bei einer um 20 Millionen größeren Bevölkerung hat, gibt es in Rom 630 Abgeordnete und 315 Senatoren.

Ob Spider Truman wirklich ein Insider war, weiß im Moment niemand. Es ist auch fast egal, denn Hunderttausende Italiener geben ihm mittlerweile recht.

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