Rolle des BND im Spähskandal:Im Steinbruch des Rechtsstaats

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Demo gegen Überwachung vor dem BND-Neubau in Berlin: Eine von einem Demonstranten gelenkte Drohne. (Foto: dpa)

Die US-Geheimdienste haben sich in der NSA-Affäre an der Substanz des Rechtsstaats vergriffen. Wenn der BND an den Ausspähungen beteiligt war, müsste die deutsche Bundesanwaltschaft wegen illegaler Agententätigkeit ermitteln. Denn Paragraf 99 des Strafgesetzbuches schützt nicht nur Staatsgeheimnisse, sondern auch die Alltagskommunikation der Bürger.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Papst Urban VIII. hat einst das römische Colosseum zum öffentlichen Steinbruch erklärt. Heute, vierhundert Jahre später, behandeln die Geheimdienste den Rechtsstaat so, wie einst der Papst das Colosseum behandelt hat. Der Papst baute aus dessen Trümmern Paläste und Kirchen; die Geheimdienste bauen aus den Bruchstücken des Rechtsstaats die Zitadellen der Sicherheit. Die US-Geheimdienste sind bei diesen Abbruch-und Aufbauaktionen zugleich Architekt, Bauherr und Generalunternehmer; die anderen westlichen Geheimdienste sind offenbar Subunternehmer.

Als das Colosseum zum Steinbruch wurde, bedienten sich die Bauherren aus der toten Substanz des Gestrigen. Die Bauherrn des Präventions- und Sicherheitsstaats dagegen greifen ein in die lebendige Substanz des Heutigen. Die Substanz des Rechtsstaats, an der sich die Geheimdienste vergreifen, ist aber nicht materiell, sondern immateriell. Das macht die exakte Beobachtung, Bezifferung und Bewertung dieser Vorgänge so schwierig. Wenn die auf den Informanten Snowden gestützten Berichte nur halbwegs zutreffen, muss sich nicht nur das Bundesverfassungsgericht größte Sorgen um den verfassten Rechtsstaat machen.

Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat diese Sorge nun den kleinstmöglichen Ausdruck gefunden: Sie hat alle mit der NSA-Ausspähaffäre befassten deutschen Geheimdienste und Ministerien um "Informationen" gebeten. Von Ermittlungseifer kann man da nicht reden. Es soll die Frage geprüft werden, ob Ermittlungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach Paragraf 99 Strafgesetzbuch erforderlich sind. "Wer für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik ausübt (. . .), wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren."

Wenig Willen, das Instrument zu nutzen

Das Besondere an dieser Vorschrift ist, dass es nicht um Staatsgeheimnisse gehen muss; geschützt sind alle irgendwie relevanten Fakten und Geschehnisse; dazu gehört auch die Alltagskommunikation der Bürger. Dieser Paragraf könnte durchaus ein Instrument sein, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Aber das müsste man wirklich wollen - und von diesem Willen ist nicht viel zu spüren.

Es geht der Bundesanwaltschaft offenbar nur darum, der öffentlichen Unruhe eine Schelle anzuhängen - und darauf zu warten, dass die Unruhe wieder abflaut, um die rechtlichen Prüfungen zu stornieren. Wenn gegen die US-Supermacht zu ermitteln wäre, ist die Bundesanwaltschaft seit jeher zahm - wohl aus Einsicht, dass kraftvolle Ermittlungen hier die Geschäftsgrundlage verlassen, auf der die Staatsschutzdelikte stehen.

Wenn es stimmt, dass der Bundesnachrichtendienst in gewaltigem Umfang bei den US-Ausspähungen beteiligt war, wenn es stimmt, dass er nicht nur (was zum nachrichtendienstlichen Austausch gehört) einzelne Erkenntnisse weitergegeben hat, wenn es stimmt, dass der deutsche Geheimdienst die Rohdaten, also alles, was er aus den deutschen Leitungen gefischt hat, ungefiltert dem US-Dienst weitergeliefert hat - dann wäre das ein Skandal mit hartem strafrechtlichen Kern. Dann wäre nämlich gegen den BND wegen illegaler Agententätigkeit zu ermitteln; dann hätte der BND sich, seine Aufgaben und die Grundrechte der deutschen Bürger verraten.

Es mag sein, dass den Geheimdienstlern das Unrechtsbewusstsein fehlt. Man beruft sich gern darauf, dass Recht sei, was dem Antiterrorkampf nützt. Das ist so falsch wie einst der Satz, dass Recht sei, was dem Volke nützt. Den Menschen, der Sicherheit und dem Gemeinwohl nützt letztendlich nur, was Recht ist, Rechtssicherheit schafft und Gerechtigkeit erstrebt. Die Missachtung von Grundrechten gehört nicht dazu.

© SZ vom 05.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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