Süddeutsche Zeitung

CDU-Mann Roland Koch:Der Mann, der nicht Kanzler wurde

Roland Koch kannte lange nur einen Weg: nach oben. So wurde der Konservative hessischer Ministerpräsident und CDU-Vize. Alle weiteren Pläne scheiterten an Angela Merkel. Nun zieht sich Koch aus der aktiven Politik zurück.

Oliver Das Gupta

Lange Zeit sollte Roland Koch der neue Helmut Kohl werden. In der CDU galt er als der kommende erste Mann - doch die Rivalin Angela Merkel griff beherzt zur Macht. Der hessische Hardliner scheiterte an der Ostdeutschen - nun könnte er, gewissermaßen posthum, ihr gefährlichster Parteifreund werden.

So einer wie Friedrich Merz, der ehemalige Fraktionschef der CDU, der jüngst in einem Buch die Führungsschwäche der Kanzlerin und ihre konservative Profillosigkeit geißelte.

Am vergangenen Wochenende hat Roland Koch, 52, seinen engen politischen Freunden den folgenreichen Entschluss vermutlich verkündet. In Barcelona weilte der hessische Ministerpräsident gemeinsam mit dem niedersächsischen Amtskollegen Christian Wulff, während im fernen Berlin die Fetzen flogen: Bisweilen rüde debattierte der Bundestag über das deutsche 148-Milliarden-Paket für die Rettung des Euro. Die schwarz-gelbe Parlamentsmehrheit stimmte für das Gesetz, wenig später gab der Bundesrat sein Plazet - ohne die Länderchefs Koch und Wulff.

Rücktrittsbesprechungen im "informellen Freundeskreis"

Deren Fernbleiben, kolportiert die Stuttgarter Zeitung, ohne ihre Quelle zu nennen, habe keinen demonstrativen Charakter, das Treffen am Mittelmeer sei schon seit Monaten geplant gewesen. Koch und Wulff waren nicht allein ins sonnige Katalonien gereist: Um sich scharten die Ministerpräsidenten einen "informellen Freundeskreis" der Union.

Nun wird offenbar, was Koch und Konsorten besprochen haben: Den Rückzug aus den politischen Spitzenpositionen.

Schon von Juni an räumt er den hessischen Landesvorsitz, im August übergibt er die Wiesbadener Staatskanzlei, vermutlich an Volker Bouffier, den Landesinnenminister und politischen Weggefährten seit Jugendtagen. Und im November endet auch seine Amtszeit als stellvertrender Bundesvorsitzender der CDU.

Ein Abschied auf Raten.

Er möchte in die Wirtschaft wechseln, erklärt Koch, er sei schließlich auch Anwalt. Und er sagt den Satz: "Politik ist ein Teil meines Lebens, aber nicht mein Leben." Das mag heute gelten, früher hätte es wohl ganz simpel heißen müssen: "Politik ist mein Leben." Denn Koch wollte vor allem eines: nach oben, und das so schnell wie möglich.

Seine Karriere hat der gebürtige Frankfurter entsprechend rasant begonnen. Koch, der Sohn eines CDU-Politikers, trat mit 14 in die Junge Union ein, war bald jüngster Vorsitzender eines CDU-Kreisverbandes.

Klassensprecher Koch

Früh knüpfte er Seilschaften, die bis heute vital wirken: Ende der siebziger Jahre schloss Koch auf einer Südamerikareise den "Andenpakt", einen Männerbund, in dem Frauen nichts zu suchen haben. Neben Wulff sind Franz Josef Jung, Günther Oettinger, Volker Bouffier, Elmar Brok, Hans-Gert Pöttering dabei sowie auch Friedbert Pflüger, Christoph Böhr und Matthias Wissmann. Später werden laut Spiegel auch Peter Müller und Friedrich Merz aufgenommen. Man gelobt, sich politisch nicht in die Quere zu kommen.

Die Bundesrepublik wurde aufgeteilt: Brok und Pöttering zog es zur EU, Böhr versuchte es in Rheinland-Pfalz, Pflüger in der Bundespolitik. Wissmann wurde Bundesminister unter Kohl. Oettinger machte Karriere in Baden-Würrtemberg, Wulff in Niedersachen, Koch in Hessen. Bouffier und Jung blieben in Kochs Windschatten - denn der durchsetzungsfähige, alles andere als maulfaule Jurist galt als Klassensprecher.

Helmut Kohl soll schon in den späten Jahren seiner Kanzlerschaft den schneidigen Jung-Konservativen Koch dazu ausersehen haben, ihn politisch zu beerben. In diesem Bewusstsein trieb der Hesse seine Karriere voran.

1999 war seine große Chance gekommen: Im hessischen Landtagswahlkampf polemisierte er gegen die doppelte Staatsbürgerschaft der damals neuen rot-grünen Bundesregierung, Koch initiierte eine Kampagne, die grenzwertig war - und ihm den Wahlsieg brachte.

Koch wankt, fällt aber nicht

Im selben Jahr wurden die schwarzen Kassen der CDU bekannt. Es ist die Zeit, in der sich Kochs Mentor Kohl nachhaltig beschädigt, weil er sich hartnäckig weigert, die Spender zu nennen. Der hessische Zweig der CDU-Affäre machte dem Jung-Ministerpräsidenten Koch fast den politischen Garaus. Der versprach zunächst "brutalstmögliche" Aufklärung der Causa, musste später einräumen, über die Rückdatierung eines Kreditvertrages gelogen zu haben.

Roland Koch wankte, fiel aber nicht: Sein Staatskanzleichef Jung gab das willige Bauernopfer: Er nahm die Schuld auf sich und warf hin. Jahre später wird Koch seinen treuen Adlatus als Verteidigungsminister in die Regierung Merkel bugsieren, er wird Kochs Mann am Kabinettstisch.

Auch CDU-Chef Wolfgang Schäuble geriet in den Schwarzgeldstrudel. Er räumte ein, 100.000 Mark vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber angenommen zu haben - und musste zurücktreten. Schäubles Abgang kam zu früh für Koch, der mit Mühe die Schwarzgeldaffäre überstanden hatte. In diese Lücke stieß jemand, mit dem die westdeutschen CDU-Männer nicht gerechnet hatten: Angela Merkel.

Die Ostdeutsche unterscheidet sich gravierend von Koch, Wulff und Co.: Sie ist nicht nur kinderlos und geschieden, verheiratet, sondern hat ihren politischen Weg auch nicht durch Seilschaften und eine jahrelange Ochsentour durch die Partei geschafft. Merkel war 1999 einfach da.

Eine Übergangslösung, so dachten wohl nicht nur Koch und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auch der damalige FDP-Generalsekretär und heutige Vizekanzler Guido Westerwelle prophezeite im Jahre 2000, Merkel könne sich nicht halten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Gerhard Schröder Kochs Fahrplan ins Kanzleramt durchkreuzte.

Für Koch lief damals noch alles nach Plan: 2002 sprach er sich dafür aus, den damaligen CDU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidaten der Union zu machen. Weil sich Merkel eine eigene Kandidatur offenhielt, griff Koch zur Brechstange: Aus dem Skiurlaub rief er bei seiner Parteichefin an - und bearbeitete sie kräftig. Das von Koch lautstark geführte Telefonat zeigte Wirkung: Merkel fuhr nach Wolfratshausen und trug Stoiber die Kandidatur an. Der verlor später knapp gegen Schröder.

Der Hesse konnte zufrieden sein. Er spekulierte auf die Kanzlerkandidatur 2006. Zunächst schien sein Kalkül aufzugehen: Bei der hessischen Landtagswahl 2003 triumphierte er mit 48 Prozent, fortan regierte Kochs CDU alleine in Wiesbaden. Koch stand im Zenit seiner Macht. Im selben Jahr wurden massive Gesundheitsprobleme offenkundig: Im Mai musste sich Koch am Herzen operieren lassen. Seitdem galt er als angeschlagen.

Eine krachende Pleite - ohne Erholung

Dem Fahrplan ins Kanzleramt durchkreuzte ausgerechnet Gerhard Schröder: Nach dem Verlust des SPD-Stammlandes NRW gab es schon 2005 Neuwahlen - zu früh für Koch. CDU und CSU einigten sich schnell, wer gegen den amtierenden Kanzler antreten sollte: CDU-Chefin Angela Merkel. Knapp schaffte die Union den Wahlsieg im Bund, Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin der großen Koalition. Trotz des desolaten CDU-Ergebnisses gab Koch den loyalen Christdemokraten.

Im Jahr 2008 stellte sich der siegesgewisse Politiker abermals der Wiederwahl in Hessen. Trotz oder gerade wegen der von ihm initiierten Debatte über Jugendgewalt straften die Wähler die CDU ab: Zwölf Prozentpunkte verloren die Konservativen. Koch erholte sich nicht von dieser krachenden Pleite, daran änderte auch das Ypsilanti-Gewürge und die für Schwarz-Gelb erfolgreiche Neuwahl Anfang 2009 nichts.

Fortan durfte sich Koch als lame duck gefühlt haben: Von den Hessen offensichtlich nicht mehr wohl gelitten, der Karriereweg nach Berlin durch eine immer populärere Kanzlerin verbaut. Immer wieder wurde Koch als möglicher Bundesfinanzminister gehandelt; Merkel, hieß es immer wieder, wolle ihn auf keinen Fall im Kabinett haben.

So blieb Koch das, was er war: Ministerpräsident. Gescheitert in Wiesbaden.

Aus seiner Amtsmüdigkeit machte er keinen Hehl. So passt auch ins Bild, dass Koch nun sagt, die Kanzlerin habe seit einem Jahr schon grundsätzlich von seinem Polit-Ausstieg gewusst. Hin und wieder polterte der Hesse allerdings gegen Merkel, wie bei der Reform der Job-Center Anfang 2009. Koch hatte für die unionsgeführten Länder mit dem damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mühsam einen Kompromiss ausgehandelt, der dann von der Unionsfraktion kassiert wurde - die Kanzlerin scheute sich, ein Machtwort zu sprechen. Koch war derart erbost, dass er stellvertretend für Merkel den damaligen Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen coram publico zusammenfaltete.

Entfesselter Krawallmacher

Röttgen sitzt inzwischen als Umweltminister in der schwarz-gelben Bundesregierung. Er gilt als Verkörperung von Merkels Parteilinie: Pragmatisch, offen, progressiv. Für die Konservativen um Koch gilt Röttgen nach wie vor als Prügel-August, gerade weil er der Atomkraft keine Zukunft gibt. Zuletzt forderte der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus sogar Röttgens Abgang.

Nach der für CDU und FDP dramatisch verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sorgte Koch noch einmal für Krawall: Er forderte Haushaltskürzungen beim Bildungsetat und beim Ausbau für Kita-Plätze. Angela Merkel kanzelte ihn ab, aber das stoppte Koch nicht: Wie entfesselt machte er weiter, brachte Steuererhöhungen ins Spiel, um die Schuldenbremse zu halten. Es war ein letzter Kampf auf offener Bühne.

Der Mann verpackte seine Kritik kaum, er kaschierte nicht, dass er das Kanzleramt meinte. "Eins geht nicht", postulierte Koch beispielsweise im Focus, "weitermachen wie bisher, allen alles versprechen, Schulden machen." Vielen in der emotional arg ramponierten CDU sprach er damit aus dem Herzen.

Vor fünf Tagen brachte die liberale Zeit einen wohlwollenden Artikel über Roland Koch, Titel: "Gefährlich ehrlich". Als Koch mit der Autorin sprach, hatte der sich wohl schon zum Rückzug entschieden. Dass er weiterhin seinen Mund aufmachen will, womöglich sogar außerparlamentarisches Sprachrohr der partei-internen Merkel-Gegner wird, machte er unmissverständlich klar: "Ich habe in der Politik eine Unabhängigkeit erlangt, die mir die Möglichkeit gibt, meine Meinung zu sagen", so Koch. "Auch wenn sie nicht jedem auf den ersten Blick gefällt."

Es wird zugig um Angela Merkel: Roland Koch will ein "politisches Wesen" bleiben.

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