Roland Jahn über Ex-Stasi-Mitarbeiter:"Es geht um Verantwortung für das eigene Handeln"

Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, will 45 Bedienstete loswerden, weil sie für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben. Ein neues Gesetz schafft dafür nun die rechtliche Grundlage. Im SZ-Gespräch erklärt der Behördenchef, warum ihm dies so wichtig ist.

Franziska Augstein

Roland Jahn, 58, ist seit dem 14. März Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Als SED-Gegner und Bürgerrechtler gehörte er in der DDR zur Opposition. 1983 wurde er ausgebürgert.

Gesetz schliesst Stasi-Mitarbeiter aus Jahn-Behoerde aus

Ist seit März Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen: Roland Jahn.

(Foto: dapd)

SZ: Herr Jahn, das Gesetz, das am Freitag verabschiedet wurde, ist Ihnen wichtig, im Besonderen das Neue daran ist Ihnen wichtig?

Roland Jahn: Das Neue daran? Das kann ich so nicht sagen. Das Entscheidende ist, dass der Bundestag sich bekennt zur Aufarbeitung, dass es ein Gesetz gibt, das Menschen hilft. Es geht darum, den Zugang zu den Akten zu gewährleisten, darum, dass Hinterbliebene besseren Zugang zu den Akten bekommen, dass die wissenschaftliche Arbeit erleichtert wird. Und es geht darum, dass die Überprüfung des öffentlichen Dienstes rechtsstaatlich geregelt fortgesetzt wird, damit das Vertrauen in den öffentlichen Dienst da ist.

SZ: Es geht auch um die 45 ehemaligen Stasi-Bediensteten, die Sie aus der Behörde entfernen wollen.

Jahn: Das hat die Regierungskoalition in den Entwurf in der Sommerpause noch eingefügt.

SZ: Sie würden aber schon sagen, dass Sie sich dafür starkgemacht haben?

Jahn: Meine Aufgabe ist es, das Gesetz umzusetzen, nicht, es zu machen.

SZ: Pardon, in Ihrer Antrittsrede im März 2011 haben Sie gesagt: "Jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter, der in der Behörde angestellt ist, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer." Zuvor war niemand auf diese Idee gekommen.

Jahn: Marianne Birthler hat immer betont, dass es eine schwere Hypothek ist, dass hier ehemalige Stasi-Mitarbeiter arbeiten. Es gab Gutachten darüber. Es ist immer wieder über Versetzungen gesprochen worden.

SZ: Es hat nun aber Frau Birthler sich mit dieser Frage, im Gegensatz zu Ihnen, nicht öffentlich exponiert.

Jahn: Ich habe sehr viel Kontakt zu den Opferverbänden, die mir immer sehr deutlich gemacht haben, dass sie diesen Zustand als Verletzung empfinden. Deshalb habe ich das Problem noch mal öffentlich benannt.

SZ: Joachim Gauck und Birthler haben die Behörde geprägt. Ist Ihr Engagement gegen die 45 Mitarbeiter Ihre Weise, auch einen Markstein zu setzen?

Jahn: Jeder setzt entsprechend seiner Persönlichkeit Akzente. Mir ist wichtig mitzuhelfen, für die Zukunft der Aufarbeitung der DDR-Geschichte die Weichen zu stellen. Was wir hier im Archiv an Schätzen haben, die Akten, muss weiter genutzt werden können.

SZ: Wie lange soll es diese Behörde noch geben? Ewig?

Jahn: Allein in diesem Jahr haben wir bereits 54.000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht. Die Behörde wird es so lange geben, wie die Behörde Aufgaben hat. Was es ewig geben wird: die Notwendigkeit von Aufklärung, Aufarbeitung.

"Mir geht es um ein Klima der Versöhnung"

SZ: Es kann aber vorkommen, dass diese beiden Ziele nicht Hand in Hand gehen. Wenn die Akten dazu benutzt werden, einzelne Personen zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer zu diskreditieren, obwohl ihr einziges Vergehen darin bestand, bei der Stasi unter Vertrag gewesen zu sein, als Kraftfahrer, als Archivar, dann hat das mit Aufklärung doch eigentlich wenig zu tun.

Jahn: Niemand soll diskreditiert werden. Mir geht es um ein Klima der Versöhnung. Es geht um einen sachlichen Umgang mit den Fakten, eine differenzierte Bewertung von Biographien und Verhaltensweisen. Aber auch um eine Verantwortung für das eigene Handeln und Konsequenzen daraus. Wenn es das gibt, dann gibt es eine Chance zur Versöhnung. Ich habe mit vielen Opfern gesprochen, die sich danach sehnen, dass einer auf sie zukommt, der sagt: Es tut mir leid. Ich suche nach einem Weg, wie man allen gerecht wird: den Mitarbeitern der Staatssicherheit und den Opfern. Und das bedeutet, dass man die Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht in der Behörde einsetzt, die das Wirken der Staatssicherheit aufarbeitet.

SZ: Obwohl diese Leute seit zwanzig Jahren loyal zur Bundesrepublik und Ihrer Behörde ihre Arbeit versehen haben?

Jahn: Ich habe Respekt vor den Menschen und ihrer Arbeit. Doch ich kann eines nicht ausblenden. Die haben alle einen Eid geschworen, auf eine Organisation, die zur Unterdrückung der Bevölkerung da war, zum Machterhalt einer Diktatur.

SZ: Rehabilitierung ist nicht möglich?

Jahn: Selbstverständlich sollen Sie eine neue Chance bekommen. Doch wenn wir die Opfer vernachlässigen, dann reißen wir die Gräben tiefer und tiefer auf. Ich weiß gar nicht, warum Sie und andere Medien so viel über die 45 Mitarbeiter reden, die ja nicht entlassen, sondern lediglich in eine andere Behörde versetzt werden sollen. Die drei Kernpunkte unserer Behörde sind: ein modernes Archiv, Akteneinsicht für die Betroffenen, Wissenschaft und Medien, und Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Wirken der Staatssicherheit. Das Entscheidende ist für mich: Wir wollen doch etwas lernen für unsere Demokratie. Mein Leitsatz für unsere Arbeit heißt: Wir müssen die DDR-Diktatur begreifen. Je besser das gelingt, umso besser können wir Demokratie gestalten.

SZ: Stichwort 'Demokratie gestalten': Nach der deutschen Einigung gab es viele ostdeutsche Bürgerrechtler, die sich in der Politik weiter engagieren wollten. In den allermeisten Fällen ist nichts daraus geworden. Mir scheint: Darin spiegelt sich eine damals unter westlichen Politikern verbreitete Vorstellung: Wir können deutsche Politik selber machen, die Ostdeutschen brauchen wir dafür nicht.

Jahn: Das sehe ich überhaupt nicht so. Unsere Kanzlerin kommt aus dem Osten.

SZ: Ja, aber ich spreche von den Bürgerrechtlern.

Jahn: Frau Merkel hat vielleicht nicht den Kopf rausgestreckt. Aber ich spreche ihr nicht ab, dass sie die DDR kritisch gesehen hat.

SZ: Sicher. Aber wir sind uns doch einig, dass es einen Unterschied gibt zwischen Leuten, die sich öffentlich engagiert haben, und anderen, die, sagen wir, in ihrem physikalischen Institut arbeiteten und nur heimlich kritisch über die DDR redeten?

Jahn: Nehmen Sie mich: Ich bin Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen.

SZ: Aber Sie sind kein Politiker.

Jahn: Ich denke: Jeder konnte den Weg in die Politik gehen. Matthias Platzeck, der sich für Umweltschutz einsetzte, was der SED gar nicht passte, ist Ministerpräsident von Brandenburg. Ich sehe das nicht so wie Sie. Es gab im Übrigen nicht so viele Bürgerrechtler, die schon zu DDR-Zeiten vor '89 den Kopf rausgestreckt haben.

SZ: Seien wir großzügig, nehmen wir die Öffnung der ungarischen Grenze im Sommer 1989 als Stichtag.

Jahn (lacht): Ja, sicher, als es nicht mehr so viel gekostet hat, wurden es dann mehr. Nein, Sie haben natürlich recht. Man fragt sich schon, warum von den ostdeutschen Bürgerrechtlern nicht mehr in die Politik gegangen sind.

SZ: Ein Vorschlag, der Ihnen nicht schmecken wird: Es gibt Dinge, die organisieren sich scheinbar von selbst. Und zufällig entspricht das Ergebnis dann der Meinung der Herrschenden. Es sieht doch so aus: Die Westler haben den politischen Einfluss behalten, also die Zukunft; dafür haben sie den ostdeutschen Bürgerrechtlern die Vergangenheit überlassen, dazu gehört auch Ihre Behörde.

Jahn: Ich finde, dass man zwischen Ostlern und Westlern nicht trennen sollte. Das mache ich nicht mit. Was bin ich? Ich lebe die deutsche Einheit. Und deshalb lasse ich mich auf diese Trennung nicht ein. Wichtig ist doch, dass wir gemeinsam Werte formulieren. Und da denke ich schon, dass auch die Werte der friedlichen Revolution in der DDR wichtig sind für die Entwicklung dieser Gesellschaft.

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