Süddeutsche Zeitung

Roland Jahn soll auf Marianne Birthler folgen:Unverwüstlich für die Freiheit

Ein Mann, der die DDR in- und auswendig kennt - vor allem ihre hässlichen Seiten: Kulturstaatsminister Neumann will offenbar den Journalisten und DDR-Oppositionellen Roland Jahn als künftigen Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde vorschlagen.

Sarina Pfauth

Er hat in diesem Staat selbst Verfolgung erlitten, er wurde inhaftiert und gewaltsam ausgebürgert. In Westdeutschland wurde er danach weiter von der Stasi bespitzelt. Der ARD-Journalist Roland Jahn, der Marianne Birthler offenbar als Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde nachfolgen soll, hat die DDR kennengelernt, vor allem ihre hässliche, freiheitsraubende, gewaltsame Seite.

Roland Jahn ist aber auch ein Mann, der sich nicht brechen ließ. Und der - trotz oder wegen schrecklicher Erlebnisse - den größten Teil seines Lebens damit verbracht hat, sich für Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen.

Jahns Biographie ist es wohl auch, die Kulturstaatsminister Bernd Neumann davon überzeugt hat, dass er der richtige Mann für die Position an der Spitze der Stasi-Unterlagen-Behörde ist. Einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung zufolge will der CDU-Politiker dem Bundeskabinett den früheren DDR-Bürgerrechtler vorschlagen.

Die zweite Amtszeit von Marianne Birthler, der bisherigen Amtsinhaberin, läuft im März 2011 aus. Die Nachfolge soll nun im Einvernehmen mit SPD und Grünen geregelt werden. Birthler selbst steht nach Informationen des Blattes hinter Jahn, während in SPD-Kreisen eine gewisse Skepsis herrsche, weil er keine Verwaltungserfahrung hat. Was hingegen für ihn spricht: Der 57-Jährige ist ein intimer Kenner des Unrechtsstaats.

Roland Jahn stammt aus Jena. Er wächst in einem Elternhaus auf, das eher unpolitisch ist, doch die Kriegserfahrung seines Vaters, der als Jugendlicher eingezogen wurde und ein Bein verlor, prägt ihn. Schon bald bekommt der Junge Probleme in der Schule, weil sein Gerechtigkeitssinn ausgeprägt und der Drang, selbstbestimmt zu leben, unbändig ist.

Den Pflichtdienst bei der Bereitschaftspolizei, den er 1972 antritt, stürzt ihn in tiefe Gewissenskonflikte - seine Einheit muss für mögliche Einsätze bei offenbar befürchteten Studentenunruhen in Jena üben. Diese Zeit prägt ihn - und festigt seine Ablehnung dem Regime gegenüber.

Nach seiner Rückkehr nach Jena besucht er dort Lesekreise der Jungen Gemeinde und andere oppositionelle Gruppen. Im Jahr 1975 beginnt er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften. Zwei Jahre später wird Jahn exmatrikuliert - weil er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert. Statt Akademiker zu werden, arbeitet der junge Mann als Transportarbeiter beim VEB Carl Zeiss Jena - zur "Bewährung in der Produktion".

Er lässt sich von den Schikanen des Staates nicht beeindrucken: In den folgenden Jahren setzt sich Jahn gegen Bildungsverbote und Militarisierung in der DDR ein, er protestiert für Menschenrechte. Mehrmals wird er deshalb festgenommen und verhört. Im Frühjahr 1981 stirbt sein Freund Matthias Domaschk in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Gera. Freunde stiften eine Skulptur, damit dieser Tod nicht in Vergessenheit gerät - die Stasi entfernt sie wenige Tage nach der Beerdigung. Roland Jahn liegt auf der Lauer und fotografiert den Abtransport.

1982 wird Roland Jahn verhaftet. Der Vorwand: Jahn hatte eine polnische Flagge mit dem Schriftzug der verbotenen polnischen Gewerkschaft Solidarność an seinem Fahrrad hängen, schon wochenlang. Er wird nach fünf Monaten in U-Haft zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach internationalen Protesten gegen seine Inhaftierung darf er das Gefängnis nach zwei Monaten vorzeitig verlassen.

Auch die Haft kann seinen Drang nach Gerechtigkeit nicht bremsen: Jahn widerruft seinen Ausreiseantrag, den er im Gefängnis gestellt hat, und wird nach seiner Entlassung Mitbegründer der Oppositionsgruppe "Friedensgemeinschaft Jena". Das Regime hat ihn satt. Am 8. Juni 1983 wird Roland Jahn in Knebelketten und gegen seinen Willen in die Bundesrepublik ausgebürgert und abgeschoben.

Er zieht nach Berlin-Kreuzberg. In der Folgezeit unterstützt er die DDR-Opposition von der BRD aus: Jahn besorgt Druckmaschinen und Videokameras, er vermittelt Kontakte zwischen Oppositionellen und dem Westen - zu Politikern, Journalisten, Diplomaten. Er gibt Informationen über die Aktivitäten der DDR-Oppositionsbewegung und über staatliche Repressionsmaßnahmen an die Presse weiter.

"Ich habe Kameras gekauft und an Freunde in den Osten geschickt, die damit dann zum Beispiel Mülldeponien gefilmt haben", erzählt er in einem Interview mit dem RBB. Ein ganzes Netz an Schmuggelwegen habe ihm dabei geholfen.

"Diese Beiträge haben etwas verändert", sagt er im Nachhinein. "Sie haben den Menschen die Augen geöffnet für Dinge, die direkt um sie herum geschahen." Er begründet in dem Interview sein damaliges Engagement damit, dass er als DDR-Bürger erfahren habe, wie wichtig Informationen aus dem Westen sind. Das TV-Magazin Kontraste, das viele seiner Beiträge ausgestrahlt hat, habe den Menschen in der DDR Halt gegeben: "Da kümmerte sich jemand und vermittelte das Gefühl, nicht alleingelassen zu werden."

Die Stasi sieht seine Arbeit für das Westfernsehen nicht gern - auch nach seiner Ausbürgerung lässt sie ihn nicht in Ruhe. Sein Telefon wird abgehört, Spitzel lassen ihn nicht aus den Augen.

Als die Mauer fällt und Wolf Biermann erstmals wieder in die DDR einreist, ist Roland Jahn dabei. Er dokumentiert und begleitet in der folgenden Zeit die Auflösung des MfS in Berlin und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur journalistisch, 2005 wird ihm dafür der Bürgerpreis zur deutschen Einheit verliehen.

Seit 1991 arbeitet der Journalist fest beim Berliner TV-Politikmagazin Kontraste. Seit 1996 sitzt der Bürgerrechtler im Beirat der Robert-Havemann-Gesellschaft, seit 1999 ist er im Fachbeirat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig. 1998 wird Roland Jahn das Bundesverdienstkreuz verliehen.

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