Umweltpolitik nach Röttgen:Altmaier muss die Wende bringen

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Merkels Prestigeprojekt stockt: Für die Energiewende fehlt es an Stromleitungen und Reservekraftwerken, bei der Förderung von Ökostrom herrscht Wirrwarr. Peter Altmaier hat als Nachfolger des geschassten Umweltministers Röttgen viel vor sich.

Michael Bauchmüller, Berlin

Große Probleme können unendlich lapidar daherkommen, zum Beispiel in einer kurzen Zusammenfassung. "Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung" steht darüber, die Bundesnetzagentur hat ihn vorige Woche vorgelegt. Vordergründig soll er Engpässe des vorigen Winters aufarbeiten, de facto aber ist es ein Hilfeschrei aus dem Inneren der Energiewende. "Die Kraftwerkssituation hat sich nachteilig entwickelt", steht da nüchtern. Oder: "Es wird davon ausgegangen, dass die Situation in den Übertragungsnetzen angespannt bleibt."

Peter Altmaier (CDU) soll neuer Umweltminister werden. Die Energiewende stockt - gleichwohl liegt die Last der Verantwortung nun vor allem bei ihm. (Foto: dpa)

Auch Angela Merkel kennt diese Erkenntnisse, sie wurden ihr neulich dargelegt, als sie sich mit der Energiebranche, Wissenschaftlern und Mitarbeitern der Netzagentur traf. Die Energiewende ist noch nicht einmal seit einem Jahr im Gange, da türmen sich die Probleme. Wie sagte die Kanzlerin bei der Entlassung ihres Umweltministers? "Es sind die Grundlagen dafür gelegt worden, aber wir haben noch ein Stück Arbeit vor uns."

Wohl wahr. Da wäre etwa der Ausbau der Stromnetze. Weil immer häufiger Strom von den Windparks des Nordens Richtung Süden abtransportiert werden muss, werden die großen Stromleitungen immer häufiger überbelastet. Allein im vorigen Winter mussten deren Betreiber knapp 200 Mal Kraftwerke anweisen, weniger Strom ins Netz einzuspeisen - fünfmal so oft wie im Jahr zuvor.

Doch der Bau selbst lange geplanter Entlastungsleitungen kommt nicht voran, mal wegen Widerständen vor Ort, mal wegen klammer Netzbetreiber. Knapp drei Jahre nach Erlass eines Ausbau-Gesetzes für Stromleitungen sind gerade mal 200 von 1800 Kilometern Leitungen fertig. Wie bedrohlich die Lage ist, darüber streiten Experten - während sich Nachbarländer schon darüber beschweren, dass immer mehr Windstrom nun auch in ihre Stromnetze fließt. Schließlich nimmt er den Weg des geringsten Widerstands; was die Elektrizität offensichtlich von der deutschen Energiewende unterscheidet. Das Atomunglück in Fukushima, so sagte Merkel kürzlich, habe eben "noch nicht zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt, was die Infrastruktur angeht". Das war beim Atomausstieg noch viel leichter.

Damit nicht genug, drohen nun auch bei den Kraftwerken neue Engpässe. Denn wenn immer mehr Ökostrom ins deutsche Netz fließt - im vorigen Jahr lag der Anteil schon bei mehr als 20 Prozent -, dann trifft dies auch die deutschen Kraftwerke, und das gleich doppelt. Zum einen müssen sie öfter als bisher ihre Leistung drosseln, damit der viele Ökostrom durchs Netz kann. Zum anderen drücken vor allem die vielen Solarzellen auf deutschen Dächern und Äckern den Börsenpreis für Strom. Früher war der in der Mittagszeit besonders hoch, weil dann hierzulande besonders viel Strom verbraucht wurde. Heute ist er bei schönem Wetter besonders niedrig, weil dann die Solarmodule liefern.

Was den Stromkunden freuen kann, macht die Lage für die Kraftwerke immer unberechenbarer. Schon erwägt der Eon-Konzern, Gaskraftwerke in Süddeutschland stillzulegen - just jene Reserve, die vor allem im Winter benötigt wird, wenn der Tag kurz und der Wind flau ist. "Viele bestehende Kraftwerke kommen ökonomisch unter Druck", sagt Hildegard Müller, Chefin des Stromverbandes BDEW. Weitere Stilllegungen seien wahrscheinlich, viele Investitionen ungewiss. Die Lösung könnten staatliche Anreize für die Reservekraftwerke sein, wie es sie auch schon für erneuerbare Energien gibt, die aber gehen wieder ins Geld. "Wir müssen aufpassen, dass nicht alles subventioniert wird", sagt Merkel. Noch mehr aber muss sie aufpassen, dass der Strom nicht ausfällt. Am größten ist die Gefahr stets im Winter - ausgerechnet vor der wichtigen Wahl in Niedersachsen. Womit die Chancen gut stehen, dass es die Subventionen geben wird.

Das allerdings führt gleich zum nächsten Problem - die steigenden Kosten. Derzeit beteiligen sich die Stromkunden schon an der Energiewende, sobald sie zu Hause das Licht anschalten: Auf jede Kilowattstunde Strom kommen knapp 3,6 Cent Umlage für den Ökostrom drauf, macht rund 100 Euro im Jahr für einen Vier-Personen-Haushalt. An die 18 Milliarden Euro werden so an die Betreiber von Windrädern und Solaranlagen umverteilt. Weil einerseits immer mehr Ökostrom so gefördert wird, die Bundesregierung aber gleichzeitig eine wachsende Zahl von Unternehmen von der Umlage befreit hat, wird die Belastung für die privaten Haushalte weiter wachsen. Diese finden auch den Ausbau der Stromnetze auf ihrer Rechnung wieder. Wie viel aber ist dem Einzelnen die Energiewende wert?

Als Minister wollte Norbert Röttgen deshalb, ausnahmsweise im Verein mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, die Vergütung neuer Solaranlagen massiv senken. Doch zu allem Überfluss ließen selbst unionsgeführte Länder die Koalition vorige Woche im Bundesrat auflaufen. Nun muss sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Länderkammer mit der Senkung befassen. Das kann dauern. Die geplanten Steuervorteile für die Sanierung alter Gebäude stecken dort seit Monaten fest. Dabei sollten sie helfen, den Wärmeverbrauch zu senken, als Beitrag zur Energiewende. Stattdessen verschwendet das Vorhaben die Energie von Bürokraten aus Bund und Ländern, und das völlig ergebnislos.

Für Merkel braut sich damit einiges zusammen. Zurück zur Atomkraft kann sie nicht mehr, nach zwei Energiewenden in nur einer Legislaturperiode. Einen Blackout, den Zusammenbruch der Stromversorgung, muss sie um jeden Preis verhindern, er wäre ein Desaster für die Regierung, ein Ausweis des mäßigen Managements der Energiewende. Doch zu viel kosten darf die Wende nicht, sonst drohen soziale Verwerfungen: Schließlich zahlen Geringverdiener die Energiewende ebenso mit wie Gutverdiener. Und den Ökostrom vernachlässigen kann Merkel auch nicht - sonst wird die Opposition mit Recht behaupten können, die ganze Wende sei nur Lug und Trug.

Wohin Merkel auch schaut, es droht Ärger. Schuld daran ist ganz bestimmt nicht Ex-Minister Röttgen allein, auch das Wirtschaftsministerium wirkt mit. Gleichwohl liegt die Last der Verantwortung nun vor allem bei Röttgens Nachfolger Peter Altmaier. Am Dienstag wird Röttgen offiziell entlassen, Einarbeitungszeit hat der Nachfolger nicht. Gleich vormittags wird Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammentreffen, Altmaier und Rösler sind auch dabei. Die Themen: Netzausbau, Kraftwerke, Ökostrom. Was auch sonst.

© SZ vom 18.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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