Röttgen, Merkel und die NRW-Wahl:Merkels Sargnagel heißt Norbert

CDU-Spitzenmann Norbert Röttgen sollte nur eines: die NRW-Wahl mit Anstand verlieren. Jetzt steuert ausgerechnet Merkels Kronprinz die CDU geradewegs auf eine Blamage zu. Mit jedem Misserfolg wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Niederlagen auch auf die Kanzlerin abfärben. Einen schwachen Umweltminister Röttgen kann sich Merkel nicht auf der Regierungsbank leisten.

Thorsten Denkler, Berlin

Jetzt noch Nordrhein-Westfalen, dann hat Merkel erst mal Ruhe. Geht die Wahl so aus, wie die Vorhersagen der Demoskopen nahelegen, dann hat es ihre CDU in neun von elf Wahlen seit 2009 nicht geschafft, ihren Spitzenkandidaten zum Regierungschef zu machen. Die Kanzlerin selbst legt zwar in den Umfragen eine bemerkenswerte Stabilität an den Tag. Mit jedem Misserfolg aber wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Niederlagen auch auf sie abfärben.

Wahlkampf NRW - Merkel und Röttgen

Mit Anstand verlieren, so lautete der Auftrag, den Kanzlerin Angela Merkel ihrem Umweltminister Norbert Röttgen für den Wahlkampf in NRW implizit erteilte - doch nicht einmal danach sieht es derzeit aus.

(Foto: dpa)

Gut, die Chancen von Norbert Röttgen, den Trend in NRW umzukehren, standen von Beginn an schlecht. Aber ein Ergebnis von weniger als 30 Prozent, wie es in manchen Umfragen prognostiziert wird, wäre eine Katastrophe. Und vor allem wäre es das, was die Kanzlerin auf jeden Fall vermeiden will: Es wäre auch ihre Niederlage.

Der einzig wahre Auftrag, den Röttgen hat, lautet: Die Wahl mit Anstand verlieren. Ein Achtungserfolg soll es sein - damit würde der Umweltminister fröhlich nach Berlin zurückkehren können. Dafür müsste er nur das Minus von zehn Prozentpunkten des selbsternannten Arbeiterführers Jürgen Rüttgers vor zwei Jahren vergessen machen und ein klein wenig zulegen. Tatsächlich steuert Röttgen jedoch auf das schlechteste jemals erzielte Ergebnis in der Geschichte der NRW-CDU zu.

Alle Umfragewerte sprechen gegen ihn. Ob Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Sympathie - Königin Hannelore Kraft von der SPD führt mit meilenweitem Vorsprung. Kein Wunder bei der Performance: Röttgen erscheint weich und glibberig. Er will sich nicht festnageln lassen, ob er nach der erwartbaren Niederlage nach Düsseldorf geht oder in Berlin bleibt.

Koch, Merz, Müller - alle in der Versenkung

Er hält es für "bedauerlich" dass die Wähler und nicht die CDU zu bestimmen hätten, wer Ministerpräsident wird. Er will sparen, traut sich aber nicht zu sagen, wo. Zuletzt irritierte er seine Partei, in dem er die Abstimmung in NRW zum Votum über den Regierungskurs von Schwarz-Gelb in Berlin erklärte.

Dabei hatte sich doch alles so gut angelassen. Röttgen galt als Merkels Musterschüler, als Muttis Liebling. Er gehört zu den wenigen Männern in der CDU, die Merkel neben sich noch duldet.

Koch, Merz, Müller, Oettinger, Mappus, Wulff, die Reihe derer, die auf den unterschiedlichsten Wegen in der Versenkung verschwunden sind, ist lang.

Allen war eines gemeinsam. Sie konnten es nicht verknusen, dass die ostdeutsche Pfarrerstochter ihnen den Weg ins Kanzleramt versperrt hat. Und Merkel konnte deren Gejammer darüber nicht mehr hören.

Röttgens Arrangement mit Merkel

Röttgen gehört zu denen, die sich damit gut arrangiert haben. Merkel war immer klar, dass es Röttgen über kurz oder lang ins Kanzleramt zieht. Aber sie kann sich auch sicher sein, dass Röttgen nie und nimmer den Putsch gegen sie anführen wird. Solange sie im Amt ist, bleibt er ihr treu ergeben. Nur einer genießt einen ähnlichen Vertrauensvorschuss: Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier, der sich als Merkels bewährter Mehrheitsbeschaffer erwiesen hat.

Bis jetzt galt Röttgen als Kronprinz mit allerbesten Aussichten, Merkel eines Tages zu beerben. Wegen seines liberalen Atomkurses hat er zwar auch Gegner in den eigenen Reihen. Aber längst nicht so viele wie etwa Kanzleramtsaspirantin und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Andere geeignete Kandidaten sind nicht in Sicht. Verteidigungsminister Thomas de Maizière vielleicht noch. Ein Wahlkämpfer ist er aber nicht.

Jetzt aber tappt ausgerechnet Norbert "Das Gehirn" Röttgen in die Künast-Falle. Auch die Grünen-Spitzenfrau im Berlin-Wahlkampf wollte sich partout nicht festlegen, ob sie in jedem Fall ins Abgeordnetenhaus wechselt, sollte sie nicht Regierende Bürgermeisterin werden.

Renate Künast verlor die Wahl, blieb Fraktionschefin im Bundestag und fristet seither ein Dasein als lame duck, als lahme Ente. Geht es um die Frage, welche zwei Spitzengrüne die Partei in die Bundestagswahl führen, steht Künast nicht mehr auf dem Zettel.

Geschwächter Aktivposten

Für Merkel kann ein schwacher Röttgen im Bundestagswahlkampf noch zu einem echten Problem werden. Die Atomwende hat sie auch deshalb vollzogen, weil sie das Thema nach Fukushima unbedingt aus dem Wahlkampf heraushalten will. Röttgen ist so etwas wie ihr Garant für einen glaubhaften Atomausstieg.

Doch spätestens seit sich Röttgen im Wahlkampfmodus befindet, macht er gerade nicht den machttaktischen Fehler, die Energiewende mit der sachlich gebotenen brachialen Gewalt durchzusetzen. Damit würde er im Moment nur seine zum Teil immer noch atomverliebten Parteifreunde verschrecken.

Fällt er aber als Aktivposten aus, kann die Atomdebatte schnell neu aufbrechen. Die Atomlobby in der Union wartet nur auf ihre zweite Chance. So knapp wie derzeit Regierungsmehrheiten zustande kommen, kann sich Merkel an der Stelle keine offene Flanke leisten. Ihr Lieblingsminister könnte so unversehens zum Sargnagel ihrer Kanzlerschaft werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: