Rösler über Sozialausgleich:"Sie verderben es sich immer mit einem"

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Gesundheitsminister Rösler will mehr Wettbewerb, mehr mündige Patienten. Und Musik von Udo Jürgens auf dem iPod.

Guido Bohsem und Claus Hulverscheidt

Philipp Rösler, 36, war vier Wochen lang jüngster Bundesminister. Mit der Ernennung von Kristina Köhler ist der FDP-Politiker seinen Titel als Benjamin schon wieder los. Im SZ-Interview ruft der gelernte Mediziner die Bürger zu mehr Selbstbewusstsein im Gesundheitssystem auf.

Warum Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler so gern Udo Jürgens hört, weiß er selbst nicht so genau. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Rösler, wir haben den Eindruck, dass Sie der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthalten.

Philipp Rösler: Warum?

SZ: Es geht das Gerücht, dass sich auf Ihrem iPod Hunderte Udo-Jürgens-Stücke befinden - und nichts anderes.

Rösler: Und wenn's so wäre?

SZ: Wir hätten Sie eher in der Robbie-Williams- oder U2-Ecke vermutet.

Rösler: U2-Fan bin ich auch. Ich habe Karten für das Konzert nächstes Jahr. Im Übrigen können Sie gerne einen Blick auf meine Musik werfen ... (Er holt seinen iPod.) Hier: Gaby wartet im Park, Aber bitte mit Sahne, Ein ehrenwertes Haus...

SZ: Was gefällt Ihnen an Udo Jürgens?

Rösler: Keine Ahnung. Warum mag man Musik? Ich höre das einfach gerne, und die Texte haben ja zumindest teilweise durchaus Tiefgang.

SZ: Jürgens singt oft von Mitmenschlichkeit, etwa in "Griechischer Wein". Das verbinden wenige mit der FDP, wie der Vorwurf der "sozialen Kälte" zeigt. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Rösler: Die beiden zentralen Werte für mich sind Toleranz und Solidarität. Toleranz bedeutet, dass Menschen vernünftig und bewusst miteinander umgehen und Interesse aneinander zeigen. Und Solidarität heißt zu akzeptieren, dass jeder Mensch Stärken und Schwächen hat, und dafür zu sorgen, dass Starke Schwachen helfen. Das geschieht etwa in Familien ja völlig selbstverständlich.

SZ: Wie sähe vor diesem Hintergrund ein idealer Sozialstaat aus, könnten Sie das Land noch einmal neu aufbauen?

Rösler: Auf das Gesundheitswesen bezogen bedeutet Solidarität: Der Gesunde hilft dem Kranken. Darüber hinaus muss es im Sozialstaat aber auch einen Ausgleich zwischen Arm und Reich geben. Anders als heute sollte dieser im Steuersystem stattfinden, weil nur dort alle Bürger gemäß ihrer Leistungsfähigkeit einbezogen werden. Im Gesundheitssystem sind Menschen mit einem guten Einkommen dagegen nur mit einem Teil ihres Einkommens und maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze beteiligt. Daraus ergibt sich für mich: Eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie mit steuerfinanziertem Sozialausgleich ist die gerechteste Lösung.

SZ: Dieser Sozialausgleich würde aber pro Jahr 20 bis 40 Milliarden Euro kosten. Das ginge nicht ohne Steuererhöhungen. Stattdessen verspricht die FDP den Menschen Steuersenkungen - und veralbert sie damit.

Rösler: Wir veralbern niemanden. Das weise ich zurück. Unabhängig davon dürfen diese Themen nicht statisch betrachtet werden. Wir setzen darauf, dass die Steuersenkungen Wachstum und somit höhere Einnahmen bringen.

SZ: Nicht einmal die FDP kann so viel Wachstum kreieren.

Rösler: Deshalb wollen wir die Reform ja auch schrittweise einführen.

SZ: Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer will die Gesundheitsprämie nicht schrittweise einführen, sondern gar nicht.

Rösler: Der Koalitionsvertrag spricht von einem einkommensunabhängigen Beitrag. Das haben die Koalitionspartner unterschrieben - Herr Seehofer ins besonders großen Buchstaben.

SZ: Bis wann soll die Reform denn vollendet sein? Bis 2019, Ihrem letzten Jahr als aktiver Politiker?

Rösler: Wir werden die Vorarbeit der Reform zügig, aber in aller gebotenen Gründlichkeit angehen. Die von mir geplante Kommission wird sich auch mit dem konkreten Zeithorizont befassen.

SZ: Wer sitzt denn eigentlich in der Kommission? Ohne das Kanzleramt, das Finanzministerium, die Fraktionen und die Länder werden Sie ja aller Voraussicht nach nicht verhandeln können. Das könnte eine ziemlich zähe Veranstaltung werden.

Rösler: In der Kommission wird der Sachverstand, den wir brauchen, vorhanden sein. Wie sie sich zusammensetzt, ist noch nicht entschieden.

SZ: In Ihrem Konzept sollen die Versicherten mehr Freiheit erhalten, aber auch mehr Verantwortung übernehmen. Wie wollen Sie die Menschen dazu bringen, dass sie sich gegenüber dem Arzt ähnlich kritisch und selbstbewusst verhalten, wie beim Kauf eines Autos oder einer Waschmaschine?

Als Philipp Rösler das Gesundheitsministerium von Ulla Schmidt übernommen hat, war er noch jüngster Bundesminister. Bevor Kristina Köhler kam. (Foto: Foto: dpa)

Rösler: Der Vergleich hinkt. Ich bin davon überzeugt, dass ein aufgeklärter, mündiger Patient besser beurteilen kann, ob das Preis-Leistungsverhältnis bei seiner Behandlung in Ordnung ist, als wenn man versucht, das staatlich zu regeln. Der Vorteil ist, dass dieser mündige Versicherte mehr für seine eigene Gesundheit tun kann und wird.

SZ: Bislang nehmen die Versicherten aber nicht einmal ihr Recht in Anspruch, sich beim Arzt eine Rechnung ausstellen zu lassen. Die trauen sich nicht - oder sie wissen es nicht. Eine solche Kontrolle scheint nich zu funktionieren...

Rösler: Natürlich darf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beeinträchtigt werden, weshalb wollen wir keine Pflicht zur Kostenerstattung wollen. Wir werden Transparenz für die Patienten erhöhen und ihre Rechte stärken. Außerdem wollen wir es für Kassenpatienten einfacher und lohnender machen, ihre Rechnung zu prüfen, selbst zu bezahlen und sich das Geld dann erstatten zu lassen.

SZ: Wie lange soll es denn dauern, bis wir alle so gut informiert und gesundheitsmündig sind?

Rösler: Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass dieser optimale Zustand von heute auf morgen zu erreichen ist. Doch man kann sich dem durchaus nähern. Das hängt sehr stark mit Gesundheitsaufklärung und Gesundheitsbildung zusammen.

SZ: Wollen Sie den Leuten auftragen, in der Volkshochschule einen Grundkurs "Gesundheit für Anfänger" zu belegen?

Rösler: Nein, so geht es natürlich nicht. Da müssen Sie über die Verträge mit den Kassen ran. Schon jetzt werden bei manchen Kassen Beiträge erstattet, wenn sie sportliche Betätigung nachweisen. Das muss man ausbauen.

SZ: Das macht die Leute nicht klüger.

Rösler: Aber der Anreiz steigt, sich klüger zu verhalten.

SZ: Wollen Sie auch Verbote aussprechen, etwa für Alkohol-Werbung?

Rösler: Von Verboten halte ich nichts. Das geht nur durch Aufklärung wie: dreimal täglich Zähneputzen, Sport treiben, möglichst nicht rauchen, sich vernünftig ernähren und so weiter. Es liegt doch im Interesse jedes Einzelnen, auf seine Gesundheit zu achten. Wenn Sie wollen, dass vernünftig mit den Beiträgen umgegangen wird, dann brauchen Sie einen mündigen Versicherten.

SZ: Ursula von der Leyen sagt, man erkenne eine schlecht wirtschaftende Kasse daran, dass sie Zusatzbeiträge erhebt. Wer das vermeiden wolle, solle sich eine andere suchen. Sehen Sie das auch so?

Rösler: Die große Koalition hat das derzeitige System auf Zusatzbeiträge angelegt. Erst wenn im Gesundheitsfonds zwei Jahre lang weniger Geld ist als festgelegt, müssen wir den allgemeinen Beitrag ansteigen lassen. Es gibt viele Faktoren, die für die Finanzlage einer Kasse verantwortlich sein können und zwar stärker als das reine Management. Zum Beispiel wenn eine Kasse nur wenig Gutverdiener als Versicherte hat.

SZ: Viele Kassen halten es für unvermeidlich, einen solchen Zuschlag zu erheben, weil sie 2010 mit einem Defizit von 7,5 Milliarden Euro rechnen.

Rösler: Nächste Woche wird der Schätzerkreis eine Prognose abgeben. Warten wir es ab.

SZ: Das beruhigt die Kassen nicht.

Rösler: Wir geben den Kassen 3,9 Milliarden Euro aus der Kasse des Bundes! Fast vier Milliarden Euro! Das ist ein enormer Betrag.

SZ: Uns ist noch nicht klar, wie Sie durch mehr Wettbewerb sparen wollen.

Rösler: Wir brauchen ein System, das vernünftig ordnet, aber sich nicht anmaßt, alles regeln zu wollen. Die Gratwanderung ist so einfach nicht. Trotzdem ist es möglich, mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Aber richtig, derzeit haben wir vor allem eine Konkurrenz um das größere Stück Kuchen.

SZ: Das würde meine Mutter, die Sie wegen Udo Jürgens richtig gut findet, nicht verstehen. Was soll das heißen?

Rösler: Mein Ziel ist, dass Ihre Mutter auch morgen noch gut versichert ist und die Beiträge, die sie einbezahlt, effizient verwaltet werden. Wettbewerb ist möglich. Schauen Sie sich die Rabattverträge zwischen Pharmafirmen und Kassen an. Da ist es zu echten Kostensenkungen gekommen. Probleme gibt es auch da. Aber es ist besser, durch Verhandlungen zu einer Lösung zu kommen, als durch staatliche Vorgaben.

SZ: Bei den Apothekern zeichnet sich durch solche Verhandlungen ein Honorar-Plus von sechs Prozent ab. Das sind 350 Millionen Euro - mitten in der Krise.

Rösler: Das ist das Ergebnis der geltenden Rechtslage. Die stammt nicht von mir, sondern von meinen Vorgängern. Es wird sehr stark von der Begründung abhängen, wie wir damit umgehen.

SZ: Sie nehmen keine Rücksicht auf bestimmte Gruppen?

Rösler: Sie werden lachen, auch ein Liberaler schaut sich alle Bereiche im Gesundheitssystem an. Egal, was Sie tun, Sie verderben es sich immer mit mindestens einer Gruppe. Das habe ich in vier Wochen gelernt. Sie müssen also erst gar nicht versuchen, es allen recht zu machen. Das gibt mir die Freiheit zu tun, was ich für richtig halte.

© SZ vom 5.12.2009/sukl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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