Süddeutsche Zeitung

Rock am Ring:"Mama, uns geht es gut"

Johlen, Klatschen, Tanzen gegen die Terroristen und ein viel beachteter Auftritt des Veranstalters Marek Lieberberg - die Fans von Rock am Ring setzen ein Zeichen. Sie wollen dem Terror keine Chance geben.

Von Gianna Niewel und Ronen Steinke

Der Frontmann der Broilers wechselt von der Akustikgitarre auf die E-Gitarre, es ist das sechste oder siebte Lied der Band, gleich würde es weiter gehen. Bis dahin ist alles wie immer bei Rock am Ring. Dann aber ist nichts mehr wie sonst. Veranstalter Marek Lieberberg kommt auf die Bühne, Polizei, das Festival am Nürburgring wird unterbrochen. Terroristische Gefährdungslage. Vor der Hauptbühne bleiben nur leere Plastikbecher und Müll liegen.

Noch am Freitagabend gibt es eine Pressekonferenz. Marek Lieberberg, 71, steht vor den Journalisten, die Hemdsärmel hochgekrempelt, das Gesicht gerötet, es gibt Videos davon. "Ich bin der Meinung, es muss jetzt Schluss sein mit This is not my Islam!" Lieberberg fuchtelt mit den Armen, die Stimme laut. "Ich habe bisher noch keine Moslems gesehen, die zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: Was macht ihr da eigentlich!" Die Journalisten vor ihm schweigen, filmen, weiter Lieberberg: "Und ich möchte, dass in dem Land etwas geschieht, dass Gefährder beispielsweise auch festgenommen werden. Wir zahlen den Preis für den Skandal um Amri."

Eine Wutrede. Er wurde kritisiert dafür, so pauschal, so unfair, wann haben Zehntausende Deutsche gegen den NSU-Terror demonstriert? Er wurde auch bestärkt. Die AfD auf Twitter: "Nein, er "rastet nicht aus", sondern spricht nur das aus, was jeder vernunftbegabte Mensch längst denkt!" Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, CSU, forderte am Samstag, der Verfassungsschutz solle auch Kinder beobachten können, die Altersgrenze solle wegfallen. Und Lieberberg? Er hat seine Aussage abgeschwächt, er sei von Reportern bedrängt worden, hoch emotionalisiert, "kann gut sein, dass ich da etwas übers Ziel hinausgeschossen bin", sagt er am Montag danach. Er ist in Köln, Depeche Mode, die Arbeit geht ja weiter. Am Montag scheint auch schon klar zu sein, dass es ein Fehlalarm war.

Die Hinweise auf Terror waren dünn, es gab keine Drohungen. Es waren bloß zwei junge Männer in Koblenz in eine Polizeikontrolle geraten, schon am Donnerstagabend. Beide haben deutsche Pässe, die Eltern sind aus Syrien. Beide sind Anfang zwanzig, und einer von ihnen war nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am 16. Mai aus der Haft entlassen worden, wo er wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung saß. Freigelassen, das heißt: Der Verdacht konnte nicht erhärtet werden. Sein Zwillingsbruder sitzt zwar heute noch immer in Haft, er war als Kämpfer in Syrien. Aber auch das: Kein Grund, die Männer in Koblenz festzuhalten. Erst später, als sie weg sind, stellt eine Polizeibeamtin die Frage: Wie kann es sein, dass die Beiden "Staff"-Pässe von Rock am Ring bei sich hatten, die sie als Helfer auf dem Festivalgelände ausweisen? Die Durchsuchung der Handys und der Wohnungen in Frankfurt und in der Nähe von Fulda am Freitag erbringt nichts. Aber die Zeiten sind so, dass der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, entscheidet, keinerlei Risiko einzugehen. Die Polizei soll das Festgelände absuchen.

Eindeutig jedenfalls war die Reaktion der Festival-Besucher. Ruhig liefen sie zurück zu ihren Campingplätzen, sangen "Eins kann uns keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben." Sie trotzten der Angst, sie warteten ab. Und als die Konzerte am Samstag weitergingen, reckten manche Pappschilder: "Mama, uns geht es gut", "Saufen gegen den Terror". Als dann die Broilers noch einmal spielten, da tanzte, johlte, klatschte die Menge vor der Hauptbühne. Es sah aus, als sei alles wie immer bei Rock am Ring.

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SZ vom 06.06.2017
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