Süddeutsche Zeitung

Roberto Saviano:Mut, Wut und die Rache der Mafia

Dank ihm spricht nicht nur Italien wieder über die Mafia - doch der Buchautor Roberto Saviano bezahlt für den Erfolg einen hohen Preis. Eine Begegnung in München.

Matthias Kolb

Der Mann, der das Italienbild der Deutschen verändert hat, kommt zu spät. Nach einer halben Stunde Warten steht Roberto Saviano plötzlich im Raum und blickt sich um.

Er trägt eine beige Hose zum schwarzen Hemd, dazu einen Dreitagebart. Der Kopf ist kahlrasiert. Klein ist er und schmächtig, er wirkt nicht wie einer, der es quasi im Alleingang mit der Camorra aufgenommen, die Täter beim Namen genannt hat - und dem die Mafia Rache schwor.

Wochenlang war unklar gewesen, ob der Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano an diesem Montag persönlich nach München kommen würde, um den Geschwister-Scholl-Preis für seinen Mut bei der Aufdeckung der Mafia-Machenschaften in Italien entgegenzunehmen. Seitdem sein Buch "Gomorrha" 2006 in seiner Heimat erschienen ist, wird der 30-Jährige rund um die Uhr von sieben Leibwächtern geschützt.

Im Ausland fühle er sich sicher, hat er jüngst in einem Interview gesagt, denn wenn ihn die Camorra umbringe, dann "auf eine möglichst spektakuläre Weise und in der Nähe von Neapel". Heute steht nur ein Personenschützer neben der Tür, der das Publikum aufmerksam mustert.

Schüchternes Klatschen

Und so sitzt er im Senatssaal der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und hört sich die Lobreden an. Mit 10.000 Euro ist der Preis dotiert, den die Stadt München und der Buchhandel zum 30. Mal vergeben. Er stützt sein Kinn auf die rechte Hand, während ihm die Übersetzerin ins Ohr flüstert, dass der Kulturreferent der Stadt, Hans-Georg Küppers, seinen Mut lobe.

Im Video: Der italienischen Polizei ist es gelungen, die Nummer Zwei der Cosa Nostra festzunehmen.

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Küppers betont, dass sich Saviano immer auch in die aktuellen Debatten einmischt. Der bayerische Vertreter des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels versichert ihm die Solidarität der deutschen Leser. Saviano blickt auf, fast schüchtern klatscht er selbst mit, als die Reden zu Ende sind.

Dann redet Saviano selbst. Er erzählt über sein Leben, seine Heimatstadt Casal di Principe und seine Heimat Kampanien. Es sind Beschreibungen, die kaum einer im Publikum wirklich nachvollziehen kann, selbst wenn er die Bücher verschlungen hat. Es beginnt bei der gefährdeten Pressefreiheit in Italien: "Wenn ein Journalist etwas Kritisches schreibt, dann wird sein Privatleben öffentlich und seine Freunde und Verwandten sind bedroht." Savianos Mutter, Tante und Bruder leben mit neuen Identitäten in Norditalien, der Vater - ein angesehener Arzt - hat sich von ihm losgesagt.

Als Nestbeschmutzer beschimpft

Das ist ein Extrem, aber mit dem Neid und der Kritik der Kollegen müsse jeder rechnen. Ihm selbst schlage "Hass" entgegen, er werde als Nestbeschmutzer beschimpft und im Internet gibt es in den sozialen Netzwerken Gruppen, die der Camorra helfen wollen, ihn zu töten.

Auf der anderen Seite erfährt er viel Unterstützung: Bei Facebook hat er momentan 386.344 Fans und auch dieser Preis sei Beweis dafür, dass sich etwas ändern könne. "Die Geschwister Scholl haben an die Macht der Worte geglaubt und ich tue das auch", sagt er und wippt währenddessen mit den Beinen. Natürlich ist Saviano routiniert, er macht Pausen, damit die Dolmetscherin seine Worte übertragen kann und lässt sich bereitwillig fotografieren.

"Mehr internationale Kooperation"

Doch immer wieder blitzt sie auf, diese Wut, die in seinen Essays und Reportagen immer wieder zu spüren ist. Verhaftungen der Mafia-Bosse seien nicht genug, solange die Strukturen nicht verändert würden. Nach dem Sechsfachmord in Duisburg sei man in Deutschland ein wenig aufgewacht, aber wenn es nur um Geld gehe, blieben die Behörden oft untätig. Noch immer existiere in Deutschland ebenso wenig wie in Frankreich oder Großbritannien der Straftatbestand "Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung".

Außerdem müsse es mehr internationale Kooperation geben, wiederholt Saviano eine altbekannte Forderung, wie sie auch von Leoluca Orlando und Raffaele Cantone immer wieder zu hören ist.

Denn solange die Mafia jedes Jahr 100 Milliarden Euro erwirtschafte und in ganzen Regionen der größte Arbeitgeber sei, werden große Teile der italienischen Gesellschaft weiterhin schweigen und wegsehen.

Mut zur Wahrheit

Ausgezeichnet wird Saviano nicht für den Tatsachenroman "Gomorrha", sondern für sein schmales Buch "Das Gegenteil von Tod". Er habe "den Mut, die Wahrheit zu sagen", heißt es in der Begründung der Jury und weiter: "Er spricht Dinge aus, die in Italien fast niemand zu sagen wagt und die damit unseren Blick auf Italien verändert haben."

Saviano schildert in zwei Erzählungen den Alltag in Süditalien mit der ihm eigenen Präzision und Poesie. Er schreibt über "ein Land, von dem sich ein Teil im Kriegszustand befindet, aber das Land weiß es nicht". Die erste Geschichte ist das Porträt einer 17-Jährigen, deren Freund als Soldat in Afghanistan getötet wird - und deren Leben zu Ende ist, bevor es eigentlich begann. Wer in Süditalien Geld verdienen will, der schließt sich der Mafia an oder er meldet sich freiwillig zur Armee. Denn, so schreibt Saviano, Militär bedeute in dieser Gegend "Lohn und Arbeit".

In der zweiten Erzählung treffen sich fünf Freunde auf der Piazza und trinken Bier. Vier schlagen sich mehr schlecht als recht durch, der Fünfte verkauft Drogen für einen Clan. Weil er sich auf das Territorium der Gegner gewagt hat, lauern ihm einige Killer auf. Der Drogendealer entwischt, zwei seiner Freunde laufen in die falsche Richtung und werden aus Vergeltung hingerichtet. Es sind zwei Seiten einer Medaille: Wer zur Armee geht, riskiert ebenso sein Leben wie derjenige, der bleibt.

Für seine künftige Arbeit als Schriftsteller sei der Ruhm eine zwiespältige Sache. Die Recherche vor Ort sei schwierig - kein Wunder, wenn man im ganzen Land bekannt ist und mit Personenschützern unterwegs ist. Doch es habe auch Vorteile: "Die halbe Welt schickt mir Unterlagen über die Mafia. Ich bekomme Material von Journalisten, Staatsanwälten und Richtern."

Sehnsucht nach einem normalen Leben

Deswegen, so antwortet Saviano auf eine Frage aus dem Publikum, würde er natürlich "Gomorrha" wieder schreiben. "Ich empfinde aber keine Liebe für das Buch, auch wenn ich als Schriftsteller stolz darauf bin. Aber es hat mein Leben als Mensch so ungemein verändert, dass ich es fast hasse."

Da ist sie wieder, diese Wut und zugleich die Verzweiflung eines 30 Jahre alten Mannes, der sich nichts sehnlicher wünscht als ein normales Leben. Ein Leben, in dem man nicht in Polizeikasernen schläft, sondern in der eigenen Wohnung.

"Ich möchte ein Leben, ich möchte mich verlieben, in der Öffentlichkeit ein Bier trinken", das hat er immer wieder in Interviews erklärt. Doch zugleich gibt es in ihm noch etwas anderes, das ihn treibt, wie er an diesem Novembertag in München erklärt: "Es ist diese Wut, die fast an Rache grenzt und die dafür sorgt, dass ich eines verhindern möchte: Dass die Camorra mich zum Schweigen bringt."

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