Europäische Union:Die Präsidentin und ihr Hinterzimmer

Europäische Union: EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola steht im Mittelpunkt der Spekulationen darüber, wie der neue Generalsekretär des Parlaments an seinen Posten kam.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola steht im Mittelpunkt der Spekulationen darüber, wie der neue Generalsekretär des Parlaments an seinen Posten kam.

(Foto: Petros Karadjias/dpa)

Das EU-Parlament bekommt einen neuen Generalsekretär. Eigentlich eine Nebensache - wären da nicht die Gerüchte über unsaubere Deals. Die bringen jetzt auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in Schwierigkeiten.

Von Josef Kelnberger, Straßburg

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird an diesem Mittwoch im Straßburger Parlamentsplenum ihre Rede zur Lage der Europäischen Union halten, die wahrscheinlich wichtigste ihrer bisherigen Amtszeit. Der Krieg in der Ukraine, der Systemkonflikt mit Putin, die explodierenden Energiepreise, die Gefahr, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt reißt und die Union auseinanderdriftet: Das alles ist großer Stoff, der am Dienstag schon im Parlament diskutiert wurde. Die Chefs der Fraktionen äußerten ihre Erwartungen an die Rede von der Leyens - und konnten gar nicht verstehen, dass zwischendurch immer wieder eine vergleichsweise nachrangige Frage auftauchte: Wie stehen Sie zum neuen Generalsekretär des Europaparlaments?

Der Italiener Alessandro Chiocchetti, bislang Kabinettschef von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, ist am Montagabend für den Posten erwählt worden. Er tritt am 1. Januar die Nachfolge des allseits hoch geschätzten Deutschen Klaus Welle an, der den Posten seit 2009 innehatte. Doch so läppisch, wie diese Personalie zunächst klingt, ist sie nicht. Der Generalsekretär ist ranghöchster Beamter des Parlaments, Chef von mehr als 8000 Angestellten, Herr über einen Etat von zwei Milliarden Euro. Nur: In den vergangenen Wochen ist der Eindruck entstanden, dieser zudem hochbezahlte Job werde in politischen Hinterzimmerdeals verschachert. Es geht um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen.

Die Entscheidung über diesen Posten fällt in einem Gremium namens "Bureau", dem die Präsidentin des Parlaments, die 14 Vizepräsidenten sowie fünf sogenannte Quästoren angehören, die vom Parlament ernannt werden und mit Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut sind.

Wird hier um Posten geschachert? So lautet jedenfalls die Theorie

Die Theorie, die sich um die Ernennung des Italieners Chiocchetti rankt, geht so: Manfred Weber habe als Anführer der Europäischen Volkspartei (EVP) auch nach dem Abschied von Klaus Welle (CDU/EVP) nicht von dem Job lassen wollen und deshalb Chiocchetti (Forza Italia/EVP) aus dem Büro von Metsola (EVP) protegiert - und, um ihn abzusichern, einen windigen Deal mit anderen Fraktionen geschlossen. Nur deshalb bekomme eine Politikerin der Linken nun die Führung einer neu geschaffenen Generaldirektion für "parlamentarische, demokratische Partnerschaften", und nur deshalb werde ein Liberaler nun zum stellvertretenden Generalsekretär des Parlaments ernannt.

Kronzeugin für diese Theorie ist immerhin eine Vizepräsidentin des Parlaments, Heidi Hautala von der Fraktion Grüne/EFA. "Die schmutzige Geschichte um die Ernennung von Herrn Chiocchetti", schrieb Hautala am Montagabend, "wird dem Ansehen des Parlaments in den Augen der europäischen Bürger und der Vertreter anderer EU-Institutionen schaden." Metsola habe die Entscheidung noch vor den italienischen Wahlen Ende September durchpeitschen wollen, so ihr Vorwurf. Der Vorgang erinnere stark an die Ernennung des Deutschen Martin Selmayr zum Generaldirektor der Kommission im Jahr 2018 - vom Parlament damals als Vetternwirtschaft des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker kritisiert.

In Roberta Metsolas Umfeld verweist man darauf, der Zeitplan für das Verfahren sei festgelegt worden, lange bevor man wusste, dass es in Italien Neuwahlen geben würde. Metsola selbst erklärte am Dienstag, alle vier Kandidaten - die drei Rivalen des Italieners waren hochrangige EU-Beamte - hätten sich unter gleichen Bedingungen im "Bureau" vorstellen dürfen, und die Mehrheit für Chiocchetti sei eindeutig gewesen, mit nur einer Gegenstimme und drei Enthaltungen. Übrigens, sagte Metsola, habe es noch nie ein so offenes Auswahlverfahren gegeben.

Linke und Liberale sagen, es gab keinen Deal

In dem Punkt erhielt die Präsidentin ausdrücklich Unterstützung aus anderen Fraktionen. Martin Schirdewan, Co-Chef der deutschen und der europäischen Linken, legte Wert auf die Feststellung, seine Fraktion habe bei der Abstimmung im Bureau keinem der vier Kandidaten die Stimme gegeben und sei nicht Teil irgendeines "Deals". Stéphane Séjourné, Chef der Liberalen, lobte Metsola dafür, dass Spitzenjobs im Parlament nicht mehr nur wie früher in Deals zwischen EVP und Sozialdemokraten vergeben werden. Man könne es für problematisch halten, dass die Ernennung eines derart wichtigen Jobs in den Händen eines politischen Gremiums liege, sagte der Franzose. Aber das Parlament habe im Rahmen der Regeln sehr demokratisch entschieden. Seine Fraktion jedenfalls sei "sehr zufrieden".

Die 43-jährige Roberta Metsola, die aus Malta stammt, wurde erst im Januar zur Parlamentspräsidentin gewählt, hat aber durch ihre forschen Auftritte - im Parlament und auch außerhalb - viel Renommée gewonnen. Der Streit um den Topjob in ihrer Verwaltung ist ihr erster Härtetest. In den Institutionen der EU wird offen darüber spekuliert, dass sie irgendwann die Reden der Lage der Europäischen Union halten könnte - als Nachfolgerin von Ursula von der Leyen.

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