Robert Habeck hat einen Lieblingsausdruck. Er lautet: „Die Zukunft hinter sich haben“. Er benutzt ihn ständig, in Reden, Diskussionen, Gesprächen. Was er eigentlich meint: Etwas ist vorbei. Aber Habeck, der Schriftsteller und promovierte Literaturwissenschaftler, spricht nun mal lieber von der Zukunft. Dieser Tage ganz besonders. Er ist der Meinung, sie sei im bisherigen Bundestagswahlkampf völlig unterbelichtet. Habeck will derjenige sein, der das ändert. Am Mittwoch hat er daher seine „Zukunftsagenda“ vorgestellt. Zusatz: „für das erste Regierungsjahr“.
Habeck will weiter regieren, den mageren Umfragewerten seiner Partei zum Trotz. Daran gab es in den vergangenen Wochen schon wenig Zweifel, seit Mittwoch nun ultimativ keinen mehr. „Das Wahlergebnis ist viel offener, als die Umfragen es vorgeben“, behauptet er, es könne jetzt noch mal „eine mächtige Dynamik“ eintreten. Um die auszulösen, haben die Grünen in der vergangenen Woche ihre zweite Kampagnenwelle gestartet: weniger Partei, mehr Habeck. In seinem achtseitigen Positionspapier verwendet der Vizekanzler ganze 51 Mal das Wort „ich“. Es ist seine Agenda, nicht die der Partei. Dass die einzig realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung eine Koalition als Juniorpartner der Union unter Friedrich Merz sein dürfte? Wird erst mal nicht groß thematisiert.
Früher war Klimaschutz noch selbsterklärend
Spätestens seit dem TV-Duell zwischen Olaf Scholz, dem SPD-Kanzler, und Friedrich Merz, dem Oppositionschef, haben die Grünen bemerkt, dass dieser Wahlkampf gewisse thematische Leerstellen aufweist. Weder über Klimapolitik noch über Bildungs- oder Frauenpolitik haben die Kandidaten dort diskutiert. Habeck will „die bisher verschwiegenen Themen“ jetzt besetzen, um bis zur Wahl am 23. Februar noch ein paar Prozentpunkte aufzuholen.
Klimaschutz sei das Thema der Zukunft, sagt Habeck. Dass es von den politischen Konkurrenten bisweilen mit einer „Lapidarität“ und „Wurstigkeit“ abgehandelt werde, sei unangemessen. Denn nicht nur Sicherheit, auch die soziale Frage sei mit dem Klimaschutz verknüpft. Die Grünen wollen den Strom günstig machen, die Haushalte entlasten, die Nachfrage nach E-Mobilität und Wärmepumpen schaffen. Oder wie Habeck es ausdrückt: „die grünen Technologien der Zukunft“ fördern.
Noch vor dreieinhalb Jahren war Klimaschutz aus Sicht der Grünen selbsterklärend. Der Bundestagswahlkampf 2021 war davon geprägt. Jeden Freitag gingen damals Klimaaktivisten auf die Straße. Den Grünen half die Stimmung im Land – zumindest anfangs – in den Umfragen, Olaf Scholz ließ Plakate mit dem Ausdruck „Klimakanzler“ aufstellen, selbst die Union entdeckte das Thema für sich. Oder wie Grünen-Chef Felix Banaszak heute sagt: „Da musste man befürchten, als Baum in diesem Land von Markus Söder umarmt und vereinnahmt zu werden.“
Alles Wortklauberei?
In dem aktuellen Winter-Wahlkampf ist das anders. Den Klima- und Umweltschutz haben die Grünen von der Poleposition in den Mittelteil ihres Wahlprogramms verschoben. Auch rhetorisch hat sich einiges verändert. Klimaschutz ist kein Selbstzweck mehr, er dient neben dem Erhalt der Lebensgrundlagen nun auch und vor allem dem Erhalt des Wohlstandes, so kommunizieren es die Grünen neuerdings. „Wir machen eine Klimapolitik, die effektiv und gleichzeitig sozial gerecht ist“, heißt es etwa im Wahlprogramm.
Habeck hebt das Thema nun wieder an die erste Stelle seiner „Zukunftsagenda“. Nach wochenlangen Debatten über Migration, Asyl und Sicherheit gibt er sich alle Mühe, die Prioritäten wieder geradezurücken. Doch der Elefant im Raum ist auch an diesem Mittwoch die Migrationspolitik. Schließlich müsste Habeck auf dem Gebiet schmerzhafte Kompromisse eingehen, würde er seine Partei wirklich in eine schwarz-grüne Regierung führen wollen.
Er selbst hat damit nicht so sehr ein Problem – seine Partei aber sehr wohl. Schon sein Zehn-Punkte-Papier für eine „Sicherheitsoffensive“, das Habeck über die Bild-Zeitung streute, war für viele Grüne ein Affront. Hinter vorgehaltener Hand – es ist ja schließlich Wahlkampf – kritisierten es insbesondere Mitglieder des linken Flügels, aber bis in die Führungskreise der Grünen hinein fühlten sich Menschen vor den Kopf gestoßen. Sie fürchten, die Suche nach einem Kompromiss mit der Union beim Thema Migration könnte die Partei zerreißen.
Nun ist Habeck immerhin einen winzigen Schritt auf seine Partei zugegangen, auch wenn er diesen am Mittwoch als „Wortklauberei“ abtut. In seiner Zukunftsagenda ist nicht mehr von einer „Begrenzung“ der Migration die Rede wie noch im Zehn-Punkte-Plan. Stattdessen steht da jetzt als Ziel, Migration „weiter zu ordnen“.