Süddeutsche Zeitung

Robert Maxwell:Zocker aus Leidenschaft

Der britische Verleger und Politiker Robert Maxwell kam 1991 unter dubiosen Umständen ums Leben. Seine Biografie ist wahrhaft abenteuerlich. Die seiner Tochter Ghislaine auch.

Von Willi Winkler

Das Buch mit der kostbaren Unterschrift ist im Internet für die Kleinigkeit von 1250 Euro zu haben. Es heißt, nur die Lumpen sind bescheiden, "Aus meinem Leben", und der Autor hat es in regelmäßiger blauer Schrift "meinem Freund und Kampfgefährten Erich Mielke" gewidmet. Es stammt von niemand anderem als Erich Honecker, der damit in die Reihe der "Leaders of the World" aufrückte, deren Memoiren der "Präsident Robert Maxwell" herausbrachte. Leonid Breschnew war dabei, Deng Xiaoping, János Kádár, Gustáv Husák, Wojciech Jaruzelski, Nicolae Ceausescu - all die spätsozialistischen Könige.

Robert Maxwell, geboren 1923 als Ján Ludvík Hoch in eine streng orthodoxe jüdische Familie in der heutigen Ukraine, hatte nur drei Jahre eine Schule besucht, beherrschte aber neun Sprachen; Englisch hatte er sich angeblich in sechs Wochen beigebracht. Fast seine gesamte Familie wurde im Holocaust umgebracht; ihm gelang die Flucht nach England, wo er sich der britischen Armee anschloss. In Paris lernte er seine spätere Frau kennen, der er sich als Ivan du Maurier vorstellte.

Drei Dinge versprach er ihr: dass er einen hohen Orden erhalten, unfassbar reich und eines Tages britischer Premierminister sein werde. Tatsächlich heftete ihm Feldmarschall Bernard Montgomery das Military Cross an die Heldenbrust und beförderte ihn zum Hauptmann. Maxwell wurde als Abgeordneter der Labour Party ins Parlament gewählt und zählte bald zu den reichsten Männern Großbritanniens. Premier wurde er nicht, aber als Besitzer eines Verlagsimperiums konnte er sich zum Präsidenten befördern, der allerdings, wie der zeitweilige Labour-Vorsitzende Tony Benn in seinem Tagebuch festhielt, ein "richtig fieser Gauner" war.

Maxwells einmalige Karriere begann als Presseoffizier in Berlin, wo er die Papierzuteilung nutzte, um sich Anteile am Wissenschaftsverlag Julius Springer zu sichern, aus denen er die Pergamon Press formte. Im dritten Anlauf gelang ihm der Kauf der englischen Boulevardzeitung Daily Mirror, später kam die New York Daily News dazu. Rastlos reiste er zwischen seinen Unternehmen und Redaktionen hin und her. 1990, kurz nach der Wende, brachte er The European heraus, ein teures Symbol für seinen Ehrgeiz, als Mittler zwischen Ost und West in die Weltpolitik einzugreifen.

Was er anpackte, musste Riesenformat haben. Maxwell war jemand, wie die New York Times in ihrem Nachruf schrieb, der "nie das Auto nutzte, wenn es auch ein Hubschrauber tat". Sein Boot hatte er nach seiner jüngsten Tochter Ghislaine getauft, die jetzt als Helferin des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein angeklagt wird. In seinem Daily Mirror schrieb er Leitartikel und ließ alles sammeln, was über ihn in anderen Zeitungen stand.

Seine Frau schnitt brav aus und schenkte ihm zu Weihnachten den Jahresertrag als Buch, das manchmal 60 Pfund wog. Nie konnte es genug Aufsehen sein, ganz gleich, ob er einen Fußballverein kaufte oder seinen Angestellten mit Entlassung drohte, wenn sie streiken wollten. Er charterte ein Flugzeug, das dreißig Tonnen Lebensmittel ins hungernde Äthiopien bringen sollte.

Dort trat er vor die Fernsehkameras, erklärte seine Arbeit für abgeschlossen und verkündete: "Und jetzt muss ich mich um den Bergarbeiterstreik kümmern." Seinem Einsatz soll die Ausreise von 300 000 Juden aus der Sowjetunion zu verdanken sein. Wenn er Gutes tun wollte, musste die Welt sofort davon erfahren, zumal sich damit seine eigene Schattenwirtschaft umso besser tarnen ließ.

Maxwell war von Anfang an mit gleich mehreren Geheimdiensten verbandelt und schon deshalb so misstrauisch, dass er seine eigene Buchhaltung verwanzen ließ. Den Überblick über seine 400 Firmen muss er irgendwann verloren haben: Er kaufte und verkaufte, belieh Unternehmen, die er längst nicht mehr besaß, erbettelte sich einen neuen Kredit, um eine überfällige Ratenzahlung bedienen zu können, verpfändete erneut.

Wie später bei Donald Trump wollten sich die Banken das scheinbar lukrative Geschäft nicht entgehen lassen, sie wetteiferten darum, ihm Geld zu geben: die Dresdner Bank half beim Börsengang in Frankfurt, die Bayerische Vereinsbank war dabei, als Maxwell 1990 in einem Joint Venture mit Gruner + Jahr aus der Konkursmasse der SED-Nachfolger die Berliner Zeitung kaufte. Von der Weltpolitik mochte er nicht lassen: Am 12. Oktober 1989 erschien in der Zeit ein Artikel von Robert Maxwell mit der völlig unironischen Überschrift "Hoffnungsträger Honecker".

Maxwell hatte seinen "alten Freund" eben besucht, konnte melden, dass "die meisten DDR-Bürger" ihre subventionierte Existenz "schätzen" und bat um Vertrauen für seinen Autor, denn das sei der Mann, um "Reformen anzupacken". Fünf Tage später wurde Honecker vom eigenen Politbüro abgesetzt.

Pensionsfonds seiner Angestellten geplündert

Maxwell überlebte das Ende seiner Ostblockautoren nicht lange. Am Morgen des 5. November 1991 sprang oder fiel er vor Gran Canaria von Bord seiner Yacht "Lady Ghislaine". Unvermeidlich wurde von Mord geraunt, schließlich war er auch an klandestinen Waffenlieferungen beteiligt gewesen. Jetzt rückte auch der Daily Mirror mit der Wahrheit heraus und bezeichnete den ehemaligen Chef als "größten Gauner der Geschichte".

Es stellte sich nämlich heraus, dass Maxwell die Pensionsfonds seiner Angestellten geplündert und sie um fast eine halbe Milliarde Pfund (580 Millionen Euro) gebracht hatte. Der Staat musste einspringen, um wenigstens die Hälfte der Altersvorsorge zu gewährleisten. Der Bankrotteur Maxwell, verantwortlich für den "größten Betrug in der britischen Firmengeschichte" (The Independent), wurde in Israel auf dem Ölberg begraben. Ein abenteuerliches Leben, ein rätselhaftes Ende - Stoff genug für immer neue Biografien über den Unersättlichen.

Der Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe vom SZ vom 11. Juli 2020.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2020
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