Süddeutsche Zeitung

Rita Süssmuth zur Corona-Krisenpolitik:"Schürt nicht Angst vor dem Gefährlichen"

Die ehemalige Bundestagspräsidentin plädiert dafür, den Bürgern etwas zuzutrauen. Und ihrer CDU rät sie, schnell über die Kanzlerkandidatur zu entscheiden.

Interview von Robert Roßmann, Berlin

Rita Süssmuth war zehn Jahre lang Bundestagspräsidentin. Sie war Bundesgesundheitsministerin, als ein anderes Virus anfing, die Welt in Schrecken zu versetzen: HIV. Sie hat die Parteispendenaffäre erlebt. Und der heutige CDU-Chef Armin Laschet hat für sie als Redenschreiber gearbeitet. Inzwischen ist Süssmuth 84 Jahre alt. Wie schaut sie auf die Maskenaffäre, Angela Merkels Corona-Krisenpolitik und die Lage der CDU?

SZ: Frau Süssmuth, sind Sie schon geimpft?

Rita Süssmuth: Ja, ich habe beide Impfungen gut hinter mich gebracht, die zweite mit etwas mehr Auffälligkeiten als die erste. Aber beide haben mich nicht für längere Zeit ans Bett gebunden. Ich bin heilfroh, nicht nur für mich selbst. Es ist ein gutes Gefühl, weniger Angst zu haben, sich selbst und andere anzustecken.

Fühlen Sie sich gerade an Ihre Zeit als Gesundheitsministerin erinnert? Sie hatten es auch mit einem neuen Virus zu tun?

Ja. Wir wussten in Deutschland anfangs sehr wenig über das Virus, über Aids. Wir standen damals weltweit in großer Unwissenheit. Es gab nur wenige ausgewiesene HIV-Forscher in der Welt. Heute gibt es viele. Ich hatte mit zwei namhaften Forschern zu tun, dem Franzosen Luc Montagnier und dem Amerikaner Robert Gallo, die mir sehr geholfen haben. Denn wir mussten handeln: Ausgrenzung vermeiden, Ängste durch Aufklärung und Hilfe bei den Betroffenen abbauen, das Leben der Todgeweihten dennoch lebenswert gestalten. Entscheidend für den Erfolg war, die Infektionen zu reduzieren, ohne Selbstbestimmung und Grundrechte einzuschränken, Zugehörigkeit zu erhalten und auszubauen. Experten rieten uns, das Wichtigste sei die Prävention. Ich habe das allen Widerständen zum Trotz versucht, konsequent umzusetzen.

Der Spiegel hatte damals einen bayerischen Politiker mit einem weiß-blauen Mund-Nasen-Schutz auf seinem Titel. "Einer gegen Aids" stand darüber. Es war Peter Gauweiler, der für einen extrem harten Kurs plädiert hat.

Aufgrund meiner damaligen und heutigen Erfahrungen ist meine Empfehlung an die jetzt Verantwortlichen: Denkt stets daran, Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, ihnen Fähigkeiten und Engagement zuzumuten und zuzutrauen. Schürt nicht Angst vor dem Gefährlichen, sondern stärkt das individuelle Selbstvertrauen und Eigenverantwortung. Aktiviert sie, erklärt immer wieder das medizinisch Komplizierte, bleibt verstehbar!

Das klingt jetzt eher nach Armin Laschet als nach Markus Söder?

Armin Laschet war in meiner Zeit als Bundestagspräsidentin mein Redenschreiber für Themen rund um Israel und die jüdische Kultur. Ich habe ihn schon damals sehr geschätzt. Und wir haben bis heute ein sehr gutes Verhältnis. Ich schätze an ihm Offenheit und zugewandten Umgang mit Menschen, Respekt vor Anderssein. Dazu gehört seine ungebrochene, engagierte Überzeugung, dass Integration mit großen Anstrengungen für jeden Menschen möglich sein muss. Ich erlebe immer wieder, dass er diese grundlegenden Werthaltungen auch im Alltag widerständiger Politik beibehält.

Aber Laschet ist derzeit schwer in Bedrängnis. Die CDU stürzt in den Umfragen ab. Immer mehr Bürger verlieren das Vertrauen in das Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung.

Krisenbewältigung ist äußerst anstrengend, voller Auseinandersetzungen und Kritik - eben auch nicht fehlerfrei. Unmut vieler Bürger ist die Reaktion. Natürlich hätte die Impfstoffbeschaffung besser organisiert werden können. Auch die Debatte um Astra Zeneca hätte gründlicher vorbereitet werden müssen. Darum ist es besser, Fehler zu benennen, und sie nicht zu vertuschen. Wir haben als Politiker oft die Sorge, dass uns die Menschen nicht vertrauen, wenn wir nicht alles bis zum Letzten er- und aufklären. Ich habe als Ministerin ausgesprochen, was ich wusste und nicht wusste - das hat Vertrauen gefördert.

Und was heißt das jetzt für Laschet?

Jeder Tag bringt für Armin Laschet neue politische Herausforderungen, die es anzunehmen und zu beantworten gilt. Armin Laschet weiß um die Bedeutung von Umfragen. Er ignoriert sie nicht, kämpft um bessere Ergebnisse, kämpft um Vertrauen - er will er selbst bleiben.

Die Kanzlerin hat sich wegen des Fiaskos um die Osterruhe in beispielloser Weise entschuldigt. Es ist natürlich gut, wenn jemand Fehler eingesteht. Aber zeigt das Fiasko nicht auch, dass Angela Merkel als Krisenmanagerin überschätzt wird?

Angela Merkel beherrscht Krisenmanagement in ganz besonderer Weise. Gerade in der äußerst kritischen Situation der Korrektur eines politischen Fehlers und alleiniger Verantwortungsübernahme beeindruckt sie mit persönlich und demokratisch vorbildhaftem Verhalten, sodass für den Augenblick der Fehler in den Hintergrund gerät. Sie beansprucht nicht, eine fehlerfreie Managerin in der Krise zu sein, nimmt sich zurück, korrigiert und entschuldigt sich. Man muss nicht alle Entscheidungen unserer Bundeskanzlerin unterstützen, aber in ihrer Stellungnahme ist sie Vorbild und zeigt, was gute Führung ausmacht: Souverän, selbstkritisch, offen und weiter lernend ermöglicht sie die Wiederaufnahme der Arbeit rund um die Bewältigung der Corona-Krise mit besseren, rechtlich und demokratisch abgesicherten Lösungen.

Nicht nur die Corona-Krisenpolitik, auch die Maskenaffäre hat das Vertrauen vieler in die Union erschüttert.

Die Erschütterung ist tatsächlich gewaltig und grundlegend. Wir müssen deshalb alles tun, um Vertrauen zurückzugewinnen. Dass unsere Bundestagsabgeordneten eine Ehr-Erklärung abgeben sollten, war deshalb keine Zumutung, sondern eine unverzichtbare politische Notwendigkeit - das Mindeste. Bei der katholischen Kirche sieht man gerade, zu welchen Verwerfungen es führt, wenn die Menschen das Gefühl haben, es werde etwas vertuscht. Es gibt Unmengen an Kirchenaustritten.

Hat die Union nicht ein strukturelles Problem? Es gibt gegen ein halbes Dutzend bisherige und aktuelle Abgeordneter Vorwürfe. Außerdem haben sich CDU und CSU jahrzehntelang gegen strikte Regeln und volle Transparenz bei Nebentätigkeiten und Spenden gewandt.

Deshalb ist es zwingend, dass die Unionsfraktion, CDU und CSU jetzt Konsequenzen ziehen und für klare Regeln eintreten. Ich bin gegen kollektive Pauschalverurteilungen, aber die Novellierung des Parteiengesetzes ist allein deshalb notwendig, um den Verdacht des strukturellen Problems schnellstmöglich auszuräumen.

Reicht das, um Vertrauen zurückzugewinnen? Viele haben den Eindruck, die Union bewegt sich jetzt nur, weil sie gar nicht mehr anders kann - aber nicht aus Überzeugung.

Wir brauchen Veränderung. Damals, in den Jahren 1998/99 hat die innerparteiliche Krise, die Parteispendenaffäre, Anstöße zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung herbeigeführt. Die Dringlichkeit für Neuregelungen ist heute groß, wir hätten nun die Möglichkeit, nach den Regeln politischer Vernunft umfassend zu reformieren; das gilt auch für die Wahlrechtsreform. Glaubwürdigkeit schaffen Personen und ihre Verhaltensweisen, gesetzliche Regelungen sind nur eine Voraussetzung dafür.

Sie haben die Parteispendenaffäre erlebt. Ist die Maskenaffäre schlimmer?

Es gibt Vergleichbares und Unterschiedliches. Gemeinsam sind die Verletzungen von Gesetzesvorschriften und Verhaltensvorschriften der Parteien. Der Unterschied besteht gerade in der Wahrnehmung der Problemlagen. Wenn heute diese Verstöße als massiver und weitreichender von vielen eingeschätzt werden als die damalige Kohl-Affäre, so hat das mit der unmittelbaren Betroffenheit, Verunsicherung und den Zukunftsängsten vieler Menschen in der Corona-Krise zu tun.

Armin Laschet ist angeschlagen. Seine Umfragewerte sind noch schlechter als die der Union. Was muss er jetzt tun?

Es muss ihm darum gehen, nah bei den Menschen zu bleiben, verlässlich zu sein, argumentativ zu überzeugen und klare Führung zu zeigen. Er muss die Zukunft im Blick haben - zum Beispiel mit der brennenden Suche nach Lösungen für Klima, Umwelt und Gesellschaftsfragen, wie die bestehende Ungleichheit in der politischen Beteiligung von Frauen und Männern.

Sollte die Kanzlerkandidatur der Union jetzt schnell geklärt werden?

Ja. Unsicherheit tut nicht gut, Sicherheit ist gefragt. Es müssen Entscheidungen fallen. Denn wir brauchen auch ein Programm - und das muss zum Kandidaten passen. Eine Herkulesaufgabe steht an, wir alle sind gefordert, es kann und muss gelingen.

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