Riskante Rüstungshilfe für Kurden:Was mit westlichen Waffen im Irak passieren könnte

Die Kurden wünschen sich vor allem Waffen, mit denen sie die gepanzerten Fahrzeuge der IS-Milizen zerstören könnten. Doch niemand weiß, gegen wen die Kurden das Kriegsgerät tatsächlich einsetzen werden.

Von Sonja Zekri

Barbarei ist Interpretationssache. In Syrien kreuzigen die Dschihadisten, morden, vergewaltigen, breiten sich aus. Aber ihre Gegner bekommen keine Waffen aus dem Westen - oder nur wenige. Man kann ja nicht absehen, in wessen Hände sie gelangen.

Im Irak kreuzigen die Dschihadisten, vergewaltigen, breiten sich aus. Aber nun will selbst Deutschland Waffen an ihre Gegner schicken. Dabei weiß auch hier niemand, wo diese in einem halben Jahr sein werden.

Die Lage im Nordirak ist nur auf den ersten Blick übersichtlicher: hier die blutrünstige Horde der Gotteskrieger, dort die dem Westen zugewandten Kurden in ihrem Autonomiegebiet und eine neue Regierung in Bagdad, die den Westen um Hilfe bittet und von der Bundesregierung vor Waffenlieferungen an die Kurden "konsultiert" werden soll.

Am Rande des Besuchs von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth - einer leidenschaftlichen Gegnerin von Waffenlieferungen in die Krisenregion und die erste hochrangige Politikerin in Erbil - waren die Wünsche der Kurden oft ein Thema. Der kurdische Verteidigungsminister Mustafa Qader klagt, dass seine 150 000 Mann bestenfalls mit sowjetischen Panzern, Mörsern und Katjuscha-Raketen kämpfen würden. Gern hätten die Kurden moderne Schnellfeuergewehre wie das deutsche G36 und panzerbrechende Waffen. Auch Nachtsichtgeräte und Schutzwesten stehen auf ihrer Liste.

Für die Kurden, den Irak und die gesamte Region geht es um viel. Erstmals rüsten westliche Staaten gezielt die kurdische Armee auf. Zwar betreiben die Kurden ihre Unabhängigkeit mit Rücksicht auf die Krise nicht ganz so intensiv wie noch vor zwei Monaten, aber das kann sich schnell ändern, wenn die neue Regierung in Bagdad die Erwartungen nicht erfüllt.

Was macht die PKK?

Lässt sich ausschließen, dass die Kurden die neuen Waffen eines Tages gegen die irakische Armee einsetzen? Nein. Lässt sich verhindern, dass sie sie irgendwann gegeneinander einsetzen? Nein. Seit zehn Jahren genießen die Kurden im Nordirak Frieden. Zuvor führten sie oft Krieg, auch untereinander und mit wechselnden Koalitionären unter den Mächten der Region: Türkei, Iran, Syrien, Irak. Derzeit hat der furchtbare Feind, das Kalifat, die rivalisierenden kurdischen Milizen und Parteien zusammengeschweißt. Aber schon beäugen sie sich misstrauisch.

Die größte Unbekannte ist dabei die kurdische Arbeiterpartei PKK. In der Türkei, ihrem Heimatland, kämpft sie inzwischen selten, dafür ist sie nach drei Jahren Krieg in Syrien und zwei Monaten IS-Offensive inzwischen in Syrien und Libanon aktiv - und im Irak ohnehin: Tausende Männer haben sich aus der Türkei in die Kandilberge im Nordosten des Irak zurückgezogen. Hält die Kooperation mit den Peschmerga, könnten auch Waffen in die Hände der PKK gelangen, die von Deutschland als Terrororganisation eingestuft wird. Was aber, wenn die PKK ihren Waffenstillstand mit Ankara bricht und den Nato-Partner Türkei mit Waffen aus Deutschland angreift?

Westliche Waffen für Afghanistans Sicherheitskräfte sind inzwischen in den Händen der Taliban gelandet. Raketen aus dem Westen für Libyens Muammar al-Gaddafi destabilisieren heute die gesamte Region. Und mit den Humvees, die Amerika einst an Bagdad lieferte, fahren derzeit die Dschihadisten durch Mosul und Ramadi. Zu kontrollieren ist da nichts mehr.

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