Großbritannien:Eine Wahl, die keinen richtig happy macht

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Der Wahlkampf beginnt sofort: Premier und Tory-Chef Rishi Sunak am Donnerstag mit Mitarbeitern einer Brauerei in Südwales. (Foto: Henry Nicholls/AFP)

Mit seiner Entscheidung für Neuwahlen schon in sechs Wochen überrumpelt Premier Rishi Sunak alle, selbst viele seiner Tories. Labour-Chef Keir Starmer setzt nun alles auf die Sehnsucht der Briten nach einer Veränderung.

Von Michael Neudecker, London

Am Mittwochnachmittag noch stand Rishi Sunak im Londoner Regen, am frühen Donnerstagmorgen schon trat der Premierminister seine erste Wahlkampfreise an, er wird in den kommenden Tagen in allen vier Ländern des Vereinigten Königreichs auftreten. Die Begeisterung über den Gast aus Westminster dürfte sich allerdings in Grenzen halten, Sunaks Tories liegen ja in allen Ecken des Königreichs in den Umfragen deutlich zurück.

In Schottland ist die Freude über Wahlen im Juli zudem getrübt durch den Umstand, dass dort in den meisten Gegenden dann schon Sommerferien sind. Die überraschend am Mittwoch verkündete Entscheidung, die Wahlen schon am 4. Juli abzuhalten, sei, sagte der neue schottische First Minister John Swinney, ein weiterer Beweis "der Verachtung, die die Tories für Schottland haben". Der Wahl fernbleibende, weil urlaubende Schotten nützen am ehesten den Tories, das weiß Swinney, und das weiß auch Rishi Sunak.

Labour baut mehr auf Gefühle als Argumente

Mit welcher Botschaft Sunak die kommenden sechs Wochen durchs Land ziehen wird, machte er am Donnerstagmorgen in Radio-Interviews deutlich: Die Inflation ist gesunken, das Ruanda-Gesetz durchgebracht, alles im Griff. Dass allerdings nicht einmal alle in seiner eigenen Partei Sunaks Botschaft glauben, war am Donnerstag unter anderem im in Westminster oft gut informierten Tory-Tabloid Daily Mail zu lesen. Mehrere Abgeordnete beschwerten sich über den frühen Wahltermin, ja, es gebe sogar die Überlegung, Sunak noch bis Freitag aus dem Amt zu zwingen, um alles wieder zurückzunehmen. So irre dürften zwar nicht einmal die Tories sein, die Stimmung in der Partei aber dokumentierte das doch ganz gut.

"Zeit, das Blatt zu wenden", findet der Führer der Labour-Party. Keir Starmer hält daher in der Wahlkampagne das Wort "change" für zentral. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Die Laune bei Labour war am Tag nach Sunaks verregneter Ansprache in Downing Street erwartungsgemäß deutlich besser. Es sei "Zeit, das Blatt zu wenden", sagte ihr Chef Keir Starmer bei einer Veranstaltung gemeinsam mit Vize-Parteichefin Angela Rayner. Und was das Ruanda-Gesetz angeht, mit dem die Regierung Flüchtlinge per Flugzeug in das afrikanische Land abschieben will, trotz des Protestes von Menschenrechtlern, sagte Starmer: "Rishi Sunak glaubt nicht an seinen Ruanda-Plan", deshalb habe er jetzt die Neuwahl ausgerufen, um zu verhindern, dass die Wähler mitverfolgen können, wie der Ruanda-Plan scheitere.

Labour selbst folgt bislang der goldenen Regel, die Regierung ihren Niedergang selbst gestalten zu lassen, weshalb sich die Partei davor hütet, inhaltlich zu sehr ins Detail zu gehen. Eine Wahl auf Basis von Gefühlen zu gewinnen, das hat 1997 bei Tony Blair auch schon funktioniert, weshalb auf die Tafel und Plakate, die Keir Starmer von nun an überall hin begleiten werden, nur ein Wort gedruckt ist: "change" - Wechsel.

Die Parlamentseröffnung mit der Rede des Königs ist für 17. Juli geplant

Die anderen Parteien folgen diesem Gefühl ebenfalls, die Liberaldemokraten etwa oder Reform UK, das in den Umfragen derzeit als drittstärkste Kraft hinter Labour und den Tories liegt. Reform-UK-Ehrenvorsitzender Nigel Farage verkündete am Donnerstag in einem etwas seltsamen Schreiben, er werde bei den Wahlen nicht antreten, weil er die Wahlen in den USA für wichtiger halte. Der Vorsitzende Richard Tice wiederum tönte selbstbewusst, Sunak habe doch nur Angst vor ihm, deshalb habe er jetzt schon Neuwahlen ausgerufen. Ganz falsch ist die Annahme, die Kleinpartei am rechten Rand könnte im Herbst besser organisiert sein als jetzt, in der Tat nicht. Kürzlich musste Reform UK zugeben, einen Kandidaten wegen Untätigkeit abgemahnt zu haben, um dann festzustellen, dass der Mann verstorben war.

Trotz des allgemein großen Wunsches im Land nach einer baldigen Neuwahl kommt die Auflösung des Parlaments nun abrupt. So abrupt, dass sich selbst Tory-Abgeordnete beschwerten, nicht mehr die Gelegenheit zu haben, wichtige Themen im Parlament anzusprechen. Das Parlament wird am kommenden Donnerstag formal aufgelöst und fünf Tage nach der Wahl erstmals wieder zusammentreten. Für 17. Juli ist die Eröffnung der neuen Parlamentssaison durch die "King's Speech" geplant", bis dahin, so teilte der Palast mit, werde sich auch König Charles mit öffentlichen Auftritten zurückhalten. Die Bühne gehört in den kommenden Wochen ganz Rishi Sunak und Keir Starmer.

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