Süddeutsche Zeitung

Richtungsstreit in der SPD:Empfehlungen von Müntefering

Der frühere SPD-Chef Müntefering schreibt ein Buch zur Zukunft der Partei - und dürfte damit der Kursdebatte neuen Zündstoff geben.

Susanne Höll

Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering wird sich im Oktober mit grundsätzlichen Überlegungen zum politischen Weg der Sozialdemokraten zu Wort melden und damit in der Partei vermutlich eine neue Kurs- und Führungsdebatte entfachen.

Anfang Oktober will Müntefering ein Buch zur Zukunft der inzwischen stark geschwächten SPD veröffentlichen und darin nach Informationen der Süddeutschen Zeitung Empfehlungen für eine Weiterentwicklung sozialdemokratischer Politik auf der Grundlage der innerparteilich umstrittenen Agenda-Politik geben.

In der SPD wird erwartet, dass der einstige Vizekanzler klar für eine selbstbewusste SPD-Politik plädieren und vor der Versuchung warnen wird, der Konkurrentin Linkspartei durch populistische Versprechungen Wähler abspenstig machen zu wollen.

Es wird auch damit gerechnet, dass Müntefering weitere Reformen befürworten wird, um in einer alternden Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung einen Sozialstaat zu erhalten. "Der pragmatische Flügel der Partei wird sich mit seinen Thesen bestätigt sehen. Der linke Flügel und die Funktionärsebene werden es wohl anders beurteilen", hieß es in SPD-Kreisen.

Merkel würde sich freuen

Die Nachricht vom Erscheinen des Buches gepaart mit der anhaltenden Skepsis über die Führungsfähigkeit des Vorsitzenden Kurt Beck schüren abermals Spekulationen über eine Rückkehr Münteferings in hohe Parteiämter. Sogar Kanzlerin Angela Merkel sagte am Sonntag dem ZDF, dass sie eine Rückkehr des früheren SPD-Chefs in die aktuelle Politik begrüßen würde.

"Ich freue mich, wenn Herr Müntefering wieder kommt", sagte sie. "Wir haben gut zusammengearbeitet." Kehre Müntefering auf die politische Bühne zurück, sei das nicht nur eine Bereicherung für seine Partei, sondern für die gesamte politische Landschaft.

Dem Vernehmen nach ist das Buch aber keine Reaktion Münteferings auf die aktuell schwierige Lage, in die die SPD auch mit den Bemühungen um ein rot-grün-rotes Regierungsbündnis in Hessen geraten ist. Müntefering arbeitete seit seinem Ausscheiden aus der Regierung 2007 an dem Buch, wenn er sich nicht der Pflege seiner inzwischen verstorbenen Frau AnkePetra widmete.

"Für mich ist es eine Gelegenheit, mit mehr Muße als sonst ein paar Gedanken zu ordnen und aufzuschreiben. Luft zu holen und solche Anmerkungen zu machen, die einen jenseits des Tagesaktuellen begleiten - das mag wohl Sinn machen, im Rückblick, aber auch mit dem Blick nach vorne", schrieb Müntefering im Januar in der Zeit.

Einige SPD-Politiker hatten schon im Frühjahr darüber nachgedacht, ob Müntefering den Parteivorsitz übergangsweise wieder übernehmen und die Organisation des als besonders schwierig eingeschätzten Bundestagwahlkampfes 2009 übernehmen könnte. Die Chancen dafür wurden und werden aber als äußerst gering eingeschätzt.

Mögliche Rolle unklar

Beck zeigte sich zuletzt verärgert über die öffentlichen Müntefering-Spekulationen und traf sich am Samstag zu einem Gespräch mit seinem Vor-Vorgänger am Rande einer Gedenkveranstaltung für den SPD-Politiker Johannes Rau in Wuppertal. Das Verhältnis der beiden gilt als gespannt, spätestens seit der Änderung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I, die Beck gegen den Willen Münteferings durchgesetzt hatte.

Über das Gespräch in Wuppertal vereinbarten die beiden Vertraulichkeit. In SPD-Kreisen hieß es, Müntefering habe schon zuvor deutlich gemacht, dass er kein "operatives Amt" mehr übernehmen wolle, mithin nicht zurück in den Vorsitz strebe.

Welche Rolle Müntefering übernehmen könnte, hängt maßgeblich von den Entwicklungen in Hessen ab. Falls die Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti nicht genügend Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei erhalten und die Wahl zur Ministerpräsidentin verfehlen sollte, gilt auch die Zukunft Becks als ungewiss.

Vertreter des konservativen Parteiflügels halten Beck dann für nur noch schwer haltbar, gleiches gelte aber im Fall, dass Ypsilanti gewählt werden sollte. Somit bliebe nur eine Möglichkeit für Beck, das Ganze unbeschadet zu überstehen: wenn Ypsilanti auf die Macht verzichten würde.

Schwierige Zeit

Repräsentanten des linken Flügels sehen die Bedeutung Hessens anders. "Das wird Beck nicht gefährden. Wir werden ihn unterstützen", sagte ein führender Vertreter dieses Lagers. Einen Putsch muss Beck nach Einschätzung von Vertretern aller Flügel nicht fürchten.

Entgegen aller aktuellen Umfragen geben die Politiker aus Orts- und Landesverbänden Beck weiter klar den Vorzug vor Müntefering. Nur ein freiwilliger Rückzug Becks, für den es aber keinerlei Anzeichen gibt, könne einen Platz für Müntefering öffnen, heißt es.

Münteferings Buch fällt in eine für die SPD schwierige Zeit. Bei der bayerischen Landtagswahl am 28.September kann die SPD nicht mit einem großen Erfolg rechnen. Wenige Tage später will Beck in Berlin seine politische Autobiographie vorstellen, zudem dürfte das Verfahren über den Parteiausschluss des einstigen SPD-Ministers Wolfgang Clement in die nächste Runde gehen.

Im November will die Hessen-SPD über eine rot-grün-rote Zusammenarbeit entscheiden, anschließend soll auch der Kanzlerkandidat gekürt werden.

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SZ vom 25.08.2008/gal
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