Rhetorikexperte Bazil:"Wert des Schweigens wird unterschätzt"

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Kämpferisch, steif, durchdacht - die Reden deutscher Politiker sind vielfältig. Doch nur einer beherrscht das Reden wirklich, offenbart eine Studie.

T. Schwarzenbach

Klare Sprache, originelle Bilder, aber etwas laut - trotzdem schaffte es FDP-Chef Guido Westerwelle auf Platz eins der viermonatigen Beobachtungsstudie des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS). Ein Expertenteam nahm die Reden deutscher Spitzenpolitiker während des Wahlkampfs unter die Lupe: Wie ist die Rede aufgebaut, wie sind Körpersprache und Bühnenbild? Vazrik Bazil, Leiter des Teams und Vorstandsmitglied des Verbands, weiß, dass nicht alle gut wegkamen.

sueddeutsche.de: Herr Bazil, die Reden deutscher Politiker haben nicht gerade den Ruf, unterhaltsam zu sein. Manch einer sagt, die letzte gute Rede hätte Richard von Weizsäcker im Jahr 1985 gehalten ...

Vazrik Bazil: Selbstverständlich gibt es auch heute noch sehr gute und unterhaltsame Reden. Vielleicht nicht von Spitzenpolitikern, aber ein oder zwei Ebenen darunter. Desaströs ist die Lage also nicht. Aber es stimmt, dass wenige Reden aus der ersten Reihe der Politik, wie von der Bundeskanzlerin oder dem Bundespräsidenten, unterhaltsam sind. Wobei man sich hier die Frage stellen muss, ob Unterhaltsamkeit der Zweck einer politischen Rede sein sollte ...

sueddeutsche.de: Nun, vermutlich würden dann mehr Menschen zuhören. Im Bundestag kommt es durchaus vor, dass Politiker einfach einnicken, wenn ein Kollege eine Rede hält.

Bazil: Eine gute Rede hat natürlich eine größere Reichweite. Dabei spielt Humor eine wichtige Rolle. Das Publikum hört dann eher zu. Es hilft auch, Geschichten zu erzählen und die Elemente der Geschichte immer wieder in der Rede aufzugreifen. Frische Bilder zu verwenden und wenige Floskeln, von denen wir leider sehr viele haben: "Visionen", "Weichenstellen", "Zukunftsperspektive" - um nur einige aufzuzählen.

sueddeutsche.de: Die Ghostwriter sollten es eigentlich besser wissen. Doch offiziell gibt es sie gar nicht. Sie sind ein Tabu in der Politik. Woran liegt das?

Bazil: Auch Wirtschaftsbosse haben ihre Redenschreiber und auch deren Namen sind nicht immer bekannt. In der Politik ist es deshalb verpönt, die Namen preiszugeben, weil man meint, dadurch eine gewisse intellektuelle Minderfähigkeit zuzugeben. Vielleicht will man aber auch verhindern, dass gewisse Menschen über Redenschreiber an Politiker herankommen und ihnen über sie Worte in den Mund legen, die die Politiker selbst nicht aussprechen wollten.

sueddeutsche.de: In den USA geht man offener mit den Ghostwritern um.

Bazil: Die USA haben eine andere Tradition. Man weiß, wer der Redenschreiber von John F. Kennedy war oder jener von Präsident Barack Obama ist. Redenschreiben ist dort eine anerkannte Dienstleistung.

sueddeutsche.de: Barack Obama glänzte während des Präsidentschaftswahlkampfs darin, private Geschichten zu erzählen.

Bazil: Das Geschichtenerzählen, das sogenannte Storytelling, ist ein sehr mächtiges Instrument. Unsere Politiker haben seinen Wert noch nicht so entdeckt.

sueddeutsche.de: Gibt es denn niemanden, der das Storytelling auch bei uns beherrscht?

Bazil: Bundeskanzlerin Merkel übt sich darin. Vor vier Jahren war sie wesentlich zurückhaltender. In diesem Wahlkampf ist sie offener, aufgeschlossener, erzählt private Anekdoten und kommt dadurch besser an.

sueddeutsche.de: Die Opposition wirft ihr Schlafwagen-Wahlkampf vor.

Bazil: Sie führt als Bundeskanzlerin und Amtsinhaberin eben keinen konfrontativen, sondern einen einnehmenden Wahlkampf. Gerhard Schröder hat das zu seiner Zeit auch getan. Dieser Stil unterscheidet sich von dem eines Herausforderers. Frau Merkel umarmt alle, auch die Gewerkschaften, aber sie fährt damit eine klare Linie. Das ist eine Strategie. Man darf auch nicht vergessen, dass wir uns in einer Zeit ohne Utopien befinden. Jeder will die Mitte erobern und in der Mitte lässt es sich nicht mehr so stark polarisieren.

sueddeutsche.de: Warum überhaupt den Gegner provozieren?

Bazil: Um den Gegner aus der Reserve zu locken, ihn zu zwingen, Stellung zu beziehen und manches preiszugeben, was er ursprünglich nicht preis geben wollte. Provokationen können auch bestimmte Vorurteile schüren. Man denke nur daran, wie einige Politiker die Linke angreifen. Sie versuchenn mit Bezeichnungen wie "ehemalige Kommunisten" oder "DDR" alte Vorurteile zu schüren und dadurch Kapital zu schlagen.

sueddeutsche.de: Nicht jeder lässt sich aus der Ruhe bringen. Bundeswirtschaftsminister Guttenberg zum Beispiel hat während des Wahlkampfs wochenlang nicht auf Attacken reagiert. Er zog es vor zu schweigen.

Bazil: Der Wert des Schweigens wird leider unterschätzt! Denn auch Schweigen transportiert Botschaften. Es erweckt eine Erwartungshaltung, die die Aufmerksamkeit steigert. Wenn das Schweigen dann gebrochen wird, bleiben die ersten Worte und Sätze beim Publikum sehr gut im Gedächtnis haften. Weil die Medien aber immer irgendwelche Stellungnahmen erwarten, sind die Politiker gezwungen, dauernd Stellung zu beziehen.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass die Medien indirekt schlechte Reden verursachen?

Bazil: Die Medien und die Zitierfähigkeit der Sätze spielen beim Schreiben der Rede sicherlich eine große Rolle. Die Politiker wissen, dass die Presse nicht ganze Reden abdruckt, sondern nur einige wenige Sätze oder Wörter. Aber natürlich sollten die Politiker ihr Zielpublikum nicht aus den Augen verlieren.

sueddeutsche.de: Sie und Ihre Kollegen haben die politischen Redner in den vergangenen Wochen beobachtet. Wer hat am besten abgeschnitten?

Bazil: Bei beiden Beobachtungsphasen, also während der Wahlparteitage und während der Wahlkundgebungen, war es eindeutig Guido Westerwelle. Seine Reden waren strukturiert, beinhalteten wenig Floskeln, aber frische Bilder wie "Bei den Großen kommt der Bundesadler, bei den Kleinen der Pleitegeier". Der Nachteil aber war, dass er sehr lange und sehr laut gesprochen hat. Angela Merkel kam in unserer zweiten Phase auf den zweiten Platz.

sueddeutsche.de: Was haben andere falsch gemacht?

Bazil: Auf Wahlparteitagen lesen viele Manuskripte vor. Sie hemmen dadurch ihre eigene Spontaneität und behindern ihre rednerischen Talente. Zum Beispiel Oskar Lafontaine. Er hat auf dem Wahlparteitag der Linken eine sehr mäßige Rede gehalten, genau aus diesem Grunde. Er hat sehr viel vorgelesen und hatte wenig Blickkontakt zum Publikum. Jürgen Trittin und Renate Künast hingegen litten unter den Regieanweisungen des Wahlparteitags: Sie sollten die einzelnen Kapitel des Wahlprogramms präsentieren und hatten dadurch thematisch einen sehr engen Raum. Ein gewisser Spielraum, wie ihn Guido Westerwelle oder Frank-Walter Steinmeier hatten, hätte ihnen erlaubt, auch emotionale Dinge anzusprechen - und Geschichten zu erzählen.

sueddeutsche.de: Wie wichtig ist die Rede selbst und wie wichtig die Person, die sie vorträgt?

Bazil: Die Rede kann man von der Person nicht trennen. Die Person des Redners ist sehr wichtig, weil das Publikum nie eine Tabula rasa, also unvoreingenommen ist: Es hat immer Meinungen und Vorurteile. Wenn wir eine Person sympathisch finden, drücken wir bei kleinen Fehlern ein Auge zu. Aber wehe, wenn wir eine Person unsympathisch finden!

sueddeutsche.de: Kurt Tucholsky gab einst Ratschläge für schlechte Redner, zum Beispiel diesen hier: Kündige den Schluss an, und dann beginne deine Rede von vorne und rede noch eine halbe Stunde ...

Bazil: Falls Sie damit auf Frank-Walter Steinmeier anspielen - es war tatsächlich ein Bruch in seiner Rede auf dem Wahlparteitag. Man dachte, sie geht dem Ende zu, aber dann fügte Herr Steinmeier der ersten praktisch eine weitere Rede an. Das kam nicht sehr gut rüber. Klar, die Kürze einer Rede trägt zu deren Erfolg bei. Aber auch, dass man die Rede nicht bei Adam und Eva beginnt.

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